Dornenreich und Perchta: urwüchsige Musik voller Leidenschaft

Dornenreich

22. Mai 2022

CAFÉ WAGNER, JENA

Der Freitag war ein vom Wetter her sehr extremer Tag. Nach anfänglicher Hitze gab es einen bedeckten Himmel mit drückenden Temperaturen. Und pünktlich am Abend entlud sich ein Starkregen über der thüringischen Stadt, inklusive starkem Wind und Getöse. Ähnlich intensiv und abwechslungsreich gestaltete sich der Konzertabend im Café Wagner.

Als erste Band des Abends betrat Perchta die Bühne. Ebenfalls wie Dornenreich stammt diese Musikgruppe aus Tirol. Sie wurde 2017 um die mysteriöse Sängerin „Frau Perchta“ gegründet und veröffentlichte im April 2020 ihr Debütalbum namens „Ufång“. Dieses sorgte für einiges Aufsehen in der Presse und unter Verehrer*innen der urigen Musik härterer Gangart. Denn auf dem Debüt bietet die Band eine Mischung aus alpiner Folklore und rauen Black Metal. Die in Mundart verfassten Texte werden dabei von einer Sängerin vorgetragen, die sowohl clean als auch schreiend intonieren kann und das so, dass einen der eine oder andere Gänsehautmoment heimsucht. Textlich dreht sich alles um den Perchtenkult sowie die Natur. Und eben jenes Flair schaffte die Band in Jena auf die Bühne zu bringen. Der Mikrofonständer der Sängerin sieht aus wie ein Besen, an ihm ist eine bemalte Rahmentrommel befestigt. Daneben steht ein naturbelassener Holzstab mit Schellen und Schnitzereien. Am rechten Bühnenrand stand ein Hackbrett bereit. Nach dem atmosphärischen Intro enterte die Band die Bühne. Zwei Gitarristen, ein Schlagzeuger, ein Hackbrettspieler und dann die Sängerin. Jene war in ein schwarzes Trachtenkleid inklusive besticktem Gürtel und schwarzem Schleier gehüllt. Das Gesicht war mit Bemalungen verziert, die Augen durch Kontaktlinsen schwarz. Im Grunde genommen spielten Perchta das komplette Debütalbum. Als erstes rumpelte das brachiale Lied „Erdn“ durch den gut gefüllten Club. Dann folgte das folkige Stück „Långs“, bei dem die Sängerin mehr rezitiert als singt. Bevor es mit dem eingängigen und nicht weniger hartem Lied „Åtem“ härter und auch ein wenig eingängig weiterging. Ein großer Moment war der Titel „Wåssa“. Dieser geht circa neun Minuten und vereint alle stilistischen Elemente der Band. Vor allem gesanglich wurde hier gezeigt, wie genial klarer und schreiender Frauengesang miteinander harmonieren. Frau Perchta zog durch ihr Gebaren, ihr wütendes Holzstabstampfen, ihr versunkenes Trommelspiel und ihre Gänsehaut bescherende Stimme während des Auftrittes alle Anwesenden in den Bann. Und auch ihre Bandkollegen wussten ihre Energie auf der Bühne zu entfalten, sodass diese auf das Publikum überging. Dieses schenkte zwischen den Stücken und gerade am Ende des Auftritts reichlich Applaus.

Nach einer kurzen Umbaupause betraten Dornenreich die Bühne. Die Temperatur im Club war mittlerweile extrem hoch und die Luftfeuchtigkeit sorgte für Schweißausbrüche auf und vor der Bühne. Bei Dornenreich treffen zwei vermeintliche Extreme aufeinander. Einerseits spielen sie akustische Sets, bei denen die Lieder von Eviga am Mikrofon und an der Gitarr und Inve an der Violine vorgetragen werden. Andererseits gibt es die Metal-Shows, bei denen die Band vom Drummer Gilván und von David „Eklatanz“ C., seines Zeichens Bandkopf von Heretoir, am Bass und Gesang unterstützt wird. Beide Spielweisen bieten stets intensive Interpretationen der auf zahlreichen Alben erschienen Stücke. An jenem Abend in Jena wurde ein klares Metal-Set gespielt, dessen Schwerpunkt wie angekündigt auf dem vor mittlerweile zwanzig Jahren veröffentlichten Album „Her von welken Nächten“ und dem kürzlich erschienen Werk „Du wilde Liebe sei“ lag. Bereits mit dem ersten Lied hatte die Band das Publikum auf ihrer Seite. Es wurde konzentriert zugehört, geheadbangt, mitgesungen und mitgeschrien und kaum jemand stand nur still da. Spätestens beim zweiten Lied, dem aggressiven „Flammenmensch“ vom „Flammentriebe“-Album, war der Funke übergesprungen. Dornenreich ist keine Band, die ihr Publikum aktiv animiert. Alle emotionalen Äußerungen der Zuhörenden werden allein durch das intensive Spiel, die pure Energie und dem hingebungsvollen Gesang hervorgerufen. Gerade die Art, wie Eviga die Texte flüstert, rezitiert, schreit und kreischt, geht durch Mark und Bein und trifft mitten in die Seele. Ergänzt wird dies passend durch die tiefe und fast beruhigende Stimme von Eklatanz, die die einst von Valñes eingesungenen Parts übernimmt. Gerade die Lieder des eingangs erwähnten Albums „Her von welken Nächten“ riefen frenetischen Beifall hervor. Davon erklangen unter anderem „Eigenwach“, „Wer hat Angst vor Einsamkeit?“, „Schwarz schaut tiefsten Lichterglanz“ und „Ich bin aus mir“. Doch auch andere Klassiker wie „Der Hexe nächtlich‘ Ritt“, bei dem die Zuschauer*innen lauthals mitsangen und das sonst akustische „Jagd“, das an dem Abend in einer mitreisenden, metallischen Version erklang, waren Teil der Setlist. Besonders spannend war die Umsetzung der Lieder vom neuesten Album. Auf „Du wilde Liebe sei“ wurde statt einem klassischen Schlagzeug Darbuka, Djempe und weiteres Schlagwerk eingespielt. Doch live erklangen Lieder wie „Der Freiheit Verlangen nach goldenen Ketten“ und „Dein knöchern‘ Kosen“ in einer härteren, Schlagzeug dominierten Version. Das ist im Allgemeinen die Stärke von Dornenreich. Je nach Rahmen und Instrumentierung werden bekannte Stücke neu arrangiert und deren Tempo manchmal sogar variiert. So kann ein einst akustisches Stück als ein lauernd kreischendes Lied daherkommen oder gar ein metallisch barsches Lied als ruhiges Akustikstück. Für wahre Gänsehautmomente, trotz hoher Temperatur, sorgte das durchdringende, hauptsächlich instrumentale Stück „Erst deine Träne löscht den Brand“ und das abschließende und vom Publikum sehr geliebte Lied „Trauerbrandung“, bei dem sich sämtliche Emotionen vor und auf der Bühne unter dem Ausspruch „Für den gelebten Moment“ auf einmal entluden.

Dornenreich-Konzerte finden aber nicht nur auf der Bühne Ausdruck tiefster Emotionen. Die Bandmitglieder sind ihrem Publikum sehr verbunden. Inve ist stets am Merchandise-Stand zu finden und Eviga erscheint nach der Show ebenfalls dort. Beide unterhalten sich gerne mit angereisten Freunden und neuen Gästen. Es wird signiert, für Fotografien posiert und Dankesbekundungen geäußert und angenommen. Man kennt sich, man schätzt sich und so manche Bekanntschaft fand bei einem Gespräch nach dem Konzert ihren Anfang. Und auch die Gäste kommen untereinander ins Gespräch. Das Dornenreich-Publikum ist ebenfalls wie eine große Familie. Ganz nach dem von der Band einst auf eine Strickjacke gedruckten Motto: Leben und Leidenschaft. Und auch die Mitglieder von Perchta fanden Anklang in dieser Gemeinschaft. Alle waren sich am Ende des Abends einig, auf und vor der Bühne einen sehr intensiven und schönen Moment miteinander erlebt und durchlebt zu haben.

Am Ende des Abends hatte sich auch das Wetter beruhigt. Die Temperaturen waren in der Nacht recht angenehm und der mittlerweile abgeklungene Regen sorgte für frische, klare Luft. Dies passte perfekt zur inneren Ruhe und Ausgewogenheit nach diesem reinigenden Konzert und den freundschaftlichen Gesprächen.

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