Ein Abend in Schwarz II

Christian von Aster, Oswald Henke

1. April 2017

BAYREUTH, DAS ZENTRUM

Wenn Oswald Henke und Christian von Aster aufeinandertreffen, ist ein unterhaltsamer Abend garantiert. So wie bei der zweiten Ausgabe des Abends in Schwarz, dessen Hauptteil ganz im Zeichen des gesprochenen Wortes stand.

Und auch wenn die beiden Protagonisten nicht gemeinsam auf der Bühne standen, sondern sich vor und nach einer kurzen Pause nur jeweils den Staffelstab übergaben, entwickelte sich die eine oder andere kleinere und zumeist amüsante Konversation – saß der jeweils andere doch im Publikum und wurde dementsprechend zum Adressat humoriger und selbstverständlich nicht ernst gemeinter Kommentare.

Oswald Henke trug seine Texte mit der ihm bekannten intensiven Ausdrucksweise vor. Voller Körpereinsatz ist für den Sänger diverser Bands (Goethes Erben, Henke, Fetisch: Mensch) obligatorisch. An seiner Seite nahm der Pianist Sebastian Böttcher Platz, der „im Unterhalt günstiger“ als eine komplette Band sei und so bekamen die Anwesenden keine normale Lesung, sondern vielmehr ein Konzerterlebnis geboten. Traditionell für eine Henke-Lesung lockerten einige dezente Seifenblasen die Stimmung auf. Ungeachtet der vorhandenen Bekanntheit von Oswald Henkes dargebotenen Worten besitzen diese schließlich viel Schwere und so manche Formulierung und manches Bild, dass sich vor dem geistigen Auge abzeichnete, schnürte einem die Kehle zu.

„Vermisster Traum – ich will jetzt tanzen
im kalten Bach – ganz regungslos
Vermisster Traum – will dich erträumen
ein letztes Mal – mit dir allein

Vermisster Traum – hör auf zu atmen
sieh den Ast – den Baum, den Wald
Vermisster Traum – will dich berühren
ein letztes Mal – bin ich allein“

(aus „Vermisster Traum“)

Nach einer amüsanten Bemerkung oder einer kurzen Schimpftirade auf die GEMA glitt Henke wieder in den „Wahnsinn“ ab, den er – wie ihm Christian von Aster attestierte – wie kaum ein anderer verkörpern und ausdrücken kann.

„Ich schlage die Augen auf im Wachsaal
von Augenpaaren angestarrt zensiert
5 Jahre, 5 Jahre, 5 Jahre bin ich hier
5 Jahre und noch immer nicht verrückt
Wie lange noch? Bis ich sterbe?
5 Jahre Wahnsinn ich will hier raus
Wahnsinn 5 Jahre ich will hier raus
Bitte, bitte lasst mich raus…“

(aus „5 Jahre“)

Christian von Aster – ohne Pianist – bemerkte sogleich, dass die sich durch das für ihn bereitgestellte Mikrophon unweigerlich ergebende unästhetische Sitzhaltung sicherlich vollste Absicht des gastgebenden und mit Headset ausgestatteten Oswald Henkes sei. Nichtdestotrotz sprach er seine Texte in seiner unnachahmlichen mitreißenden Art, die wohl alle Anwesenden begeistert haben dürfte.

Aufmerksam lauschten die Gäste den Worten des kürzlich veröffentlichten Kinderbuchs „Ausflug mit Frau Runkelrettich“, dessen Untertitel „Eine kleine Geschichte über tote Leute“ auf den eher kinderbuch-unüblichen Inhalt hinweist. Durch die herausragende Art zu lesen, gewannen die Texte zusätzlich an Qualität und zogen die Hörer in ihren Bann. Es folgte „eine Geschichte über Tauben. Und Fledermäuse. Und eine Erstere, die Zweiteres ist. Sowie jemanden, der genug Taubisch versteht, um das Ganze zu übersetzen. Gurrr.“ Auch Erwachsene haben an dieser Taube, die sich als Fledermaus fühlt, ihren Spaß. Ebenso wie an den Tagebuchaufzeichnungen einer Elfe. Dieses Buch ist noch nicht erschienen, aber ein Prototyp konnte bereits vorgezeigt werden. 4 x 4 cm klein mit geprägtem Ledereinband – ein herrliches Stück für Liebhaber besonderer Dinge. Wie mir vertraulich versichert wurde, sind keine Adleraugen notwendig. Menschliche Leser des Elfentagebuchs erhalten die Einträge zusätzlich auf Postergröße. Vorgetragen wurde zudem der Inhalt einer Flaschenpost, die der umtriebige Autor auf den Grünflächen verschiedener Städte versteckt und deren Inhalt sich fernab des üblichen und äußerst beliebten asterschen Finsterwitzes bewegt.

Neben Spaß und Nachdenklichkeit kam auch die Bildung der Hörwilligen nicht zu kurz. So wurden diverse Begriffe aus dem NeuDeutsch 2.0 vorgestellt. Mit einem schwarzhumorigen Augenzwinkern Richtung Oswald Henke und sich der freudigen Reaktion des Publikums bewusst, brachte Christian von Aster folgende Neuschöpfung näher:

„Wortsteinschwalbe (subst. fem.)
Umgangssprachliche Bezeichnung für käufliche Schriftsteller und/oder Journalisten“

Und den Abend trefflich beschreibend:

„Textosteron (subst. neutr.)
Ein im Rahmen des Vortrags, Verfassens oder Lesens gewisser Texte ausgeschüttetes Intellektualhormon“

Um Herrn Henke in Sachen Seifenblasen in nichts nachzustehen, ließ es sich Christian von Aster zum Abschluss nicht nehmen, zwei „Konfettipistolen“ abzufeuern und dabei nicht nur die Bühne zu beschmutzen, sondern auch den Wein des Gastgebers zu verunreinigen. Auf das vertraglich festgelegte Tragen eines Lack-Negligés wurde trotz dieser „Ausschreitungen“ – glücklicherweise (?) – vom Veranstalter nicht gepocht.

Nach etwa zwei Stunden endete ein Hörvergnügen zwischen nachdenklich und amüsant, laut und leise. In Anbetracht der aufwühlenden wie kurzweiligen Darbietungen hatte mein altersschwaches Hinterteil die Härte der Bestuhlung glatt vergessen. Oswald Henke und Christian von Aster – zwei formidable Autoren sowie grandiose Leser, die mit Worten exzellent umzugehen wissen.

Nach einer klitzekleinen Pause folgte eine Party im Gedenken an die ehemalige „Etage“. Tanzen wurde zur Pflicht erklärt und eine Schweißkontrolle am Ausgang angekündigt. Für Missachtung wurde mit einer Fleischschuld von 1 bis 2 Fingergliedern gedroht.

Gerne erinnere ich mich an die Abende in der „Etage“ zurück, an denen ich den einen oder anderen Song entdeckt habe. Ja, damals konnten Schallplattenunterhalter durchaus das eigene Hörverhalten mitprägen. Leider hatte ich viel zu selten die Gelegenheit, ehe der Club am 31. März 1996 seine Pforten für immer schloss und eine Ära endete. Nein, die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen und das ist auch gar nicht nötig. Ein paar nostalgische Gedanken sind jedoch erlaubt und so durfte man sich an Stücken von u.a. Joy Division, Deine Lakaien, Nichts, Grauzone und Dead Can Dance erfreuen und den zweiten Abend in Schwarz musikalisch ausklingen lassen.

Der dritte und vorerst letzte Abend in Schwarz findet übrigens am 14. Oktober 2017 an selber Stelle statt. Karten können bereits geordert werden.

Fotos: Marcus Rietzsch

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