11. April bis 25. Mai 2025
SECRET LOCATION, BERLINWo sonst Büros, Geschäfte und Stadtverkehr das Bild prägen, öffnet sich ein Ort jenseits des Gewöhnlichen: Ein verlassenes Vier-Sterne-Hotel wird temporär zur Ausstellungsfläche. „The Dark Rooms Hotel“ lädt nicht einfach zum Betrachten ein, sondern lässt die Gäste eintauchen, schweifen, spüren.
Eintritt in die Leere
Beim Betreten des Gebäudes wird man von gleißenden Lichtern geblendet, ehe vollkommene Dunkelheit folgt. Ein Guide führt die kleine Gruppe in einen spärlich beleuchteten Raum, bis auch hier das Licht vollständig erlischt. Eine Stimme aus dem Off erzählt von William Turner. Der britische Maler ließ Besucher seines Ateliers zunächst durch einen dunklen Raum treten – ein „Reinigungsprozess für die Augen“. Ein Auftakt, der zugleich als sinnliche Einstimmung dient und das Programm der Ausstellung verdichtet. Licht wird zur Ausnahme, Dunkelheit zur Regel. Die Sinne sortieren sich neu. Hier geht es nicht um museale Rezeption, sondern die Unterbrechung des Gewohnten, um so den Kunstwerken und den Gedanken der Besucherinnen und Besucher mehr Raum zu geben.
Der Ort als Darsteller
Es ist kein Zufall, dass sich The Dark Rooms immer wieder leerstehende Orte aneignet. Was einst Lobby, Tiefgarage, Hotelzimmer war, wird nun zur Ausstellungsfläche – oder besser: zum Resonanzraum für Irritation und Gedanken. Das Gebäude selbst ist kein bloßer Rahmen. Es ist ein stiller, aber machtvoller Akteur. Die Wände sind teils makellos, die Teppiche unversehrt, einige Zimmertüren tragen noch Nummern. Es scheint, als wären die letzten Gäste erst kürzlich abgereist. Über allem liegt eine merkwürdige Leere, die schwer zu greifen ist.
Aber nicht alles wurde im ursprünglichen Zustand belassen. Streift man durch die dunkle Gänge, fallen die ausgebauten Türspione auf. Der eingeschränkte Blick durch die Löcher zeigt jedoch keine Hotelbetten und Nachttische, sondern einen kleinen Ausschnitt der gegenüberliegende Fassade. Vieles wirkt vertraut und gleichzeitig fremd. Beklemmend. Ein Etage weiter kriecht Nebel über den Boden. Durch unregelmäßige Löcher in den Türen, die wie Einschusslöcher wirken, dringen Lichtstrahlen. Zahlreiche Scherben von zerstörten Spiegeln wurden zum Kunstobjekt arrangiert.
Laut einem Zeitungsartikel aus dem Jahr 2022 soll das Gebäude abgerissen werden – um Platz für einen Bürokomplex zu schaffen. In Zeiten wachsender Sensibilität für Nachhaltigkeit und Ressourcenverschwendung wirkt der geplante Abriss fragwürdig. Und so wird das Gebäude selbst zur Skulptur, zur Metapher: für Zwischenzustände, für Verlust, für das, was verschwindet.
Hinter einigen Türschwellen verbergen sich Kunstinstallationen, hinter anderen Ruheorte oder schlicht: Stille. So hängen in einigen Räumen Schaukeln, die zur kurzen Rückverwandlung in ein Kind einladen. An den Wänden Zitate – kleine Wegmarken für die Gedanken. Nicht immer erschließt sich ein Objekt auf den ersten Blick – doch dann helfen Begleittexte. Sie sind nicht bloß Erklärungen, sondern teils kleine Essays, die einem Werk Tiefe verleihen.
Kabel, Licht und Klang
Einige Werke haben sich besonders eingeprägt. „Tentacles“ von Ausgang Studio etwa, eine Installation, die sich über zwei Räume verteilt. Kabelstränge hängen von der Decke oder winden sich an den Wänden entlang. Immer wieder durchzucken Lichtimpulse die Kabel, begleitet von einer kühlen elektronischen Klanglandschaft. In einem der Räume durchschneiden rote Laserstrahlen die Dunkelheit. Es erinnert an einen zerstörten Technikraum eines Raumschiffs aus einem Science-Fiction-Film. Aber auch an ein Lebewesen. Durch die Lichtimpulse wirkt die Installation wie etwas Organisches, Lebendiges – als wäre die Technik in eine neue Lebensform übergegangen. Obwohl sich die „Tentakel“ nicht bewegen, ist da ein Puls, ein Leben, das durch sie fließt. Eine seltsame Ambivalenz zwischen Präzision und Poesie. Beklemmend und faszinierend zugleich.
Ein weißer Raum
Auch „Ganze Tage dazwischen“ von Wiebke Maria Wachmann bleibt im Gedächtnis. Ein vollkommen weißer Raum, den man durch eine Art glasloses Fenster bzw. Rahmen betrachten kann. Darin ein schwebend wirkendes Bett, ein vertikal herabhängendes Laken, alles in gleißendem Weiß, fast unwirklich hell. Der Übergang vom dunklen Flur in diesen Raum zwingt die Augen zum Anpassungsprozess. Was ist das? Eine Erinnerung? Eine Sehnsucht? Ein Ort des Rückzugs? Ganze Tage dazwischen wirkt wie ein eingefrorener Moment zwischen Wachsein und Traum. Und lädt ein zur Projektion: Was wäre, wenn dieser Raum eine Erinnerung in uns wäre?
Einige der internationalen Künstlerinnen und Künstler sind alte Bekannte. Sven Sauer etwa, der bei The Dark Room Vertical mit Lauffeuer beeindruckte – eine immersive Installation, in der Besucherinnen und Besucher durch rotes Licht, Suchscheinwerfer, Wärmequellen und Nebel in eine physisch spürbare Katastrophensituation versetzt wurden. Ein Werk, das den Klimawandel nicht bloß thematisierte, sondern fühlbar machte.
Die Kunst der Stille
Es sind nicht nur die 15 Installationen selbst, sondern oft die Gedanken dahinter, die bewegen. Immer wieder kreisen Werke um zentrale Fragen unserer Gegenwart. Beispielsweise die Frage nach der Macht des Algorithmus. Zunehmend entscheidet dieser über die Inhalte, die erstellt und gesehen werden. Es ist nicht mehr entscheidend, was gesagt werden muss, sondern aktuelle Trends und Klickzahlen. Eine stille Kritik an einer Gesellschaft, die sich der Sichtbarkeit überantwortet hat. In diesem Kontext wird auch die Dunkelheit der Ausstellung zum Statement. Sie schützt vor dem Zwang zur Sichtbarkeit. Sie gibt Raum zurück. Für Stille. Für das Ungeplante.
Ein Fazit ohne Antwort
Was bleibt? Keine stringente Erzählung, kein klares Verstehen. Eher ein Gefühl. Eine Verstörung vielleicht. Oder ein Innehalten. Und die Ahnung, dass Kunst nicht immer greifbar sein muss, um Emotionen in uns zu wecken.