Laibach live – Love is still alive

4. Februar 2023

SCHAUSPIEL, LEIPZIG

Laibach sind Kernstück und musikalischer Ausdruck der Organisation „Neue Slowenische Kunst“ (NSK). Sie beschäftigen sich musikalisch wie textlich mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Menschheit. Oftmals denken sie aktuelle Entwicklungen weiter, spitzen zu und ahnen dabei künftige Entwicklungen mit erschreckender Präzession voraus. Gerade bei ihrer jüngst erschienen Veröffentlichung „LOVE IS STILL ALIVE“ ist dies intensiv zu spüren.

Pünktlich um 20 Uhr erloschen die Lichter im großen Saal des Schauspiel Leipzig. Die sechs Bandmitglieder betraten die Bühne und die ersten Töne des Liedes „LOVE IS STILL ALIVE I (Moon, Euphoria)“ erklangen. Hinter der Band und an den Seitenwänden des Saales lief eine Projektion des dazugehörigen Musikvideos. Im eingeblendeten Text wurde mitgeteilt, dass wir uns im dritten Millennium der Menschheitsgeschichte befinden, die Erde von Kriegen, Pandemien und all dem Bösen, das Menschen erzeugen, zerstört wurde und selbst die letzten Siedlungen auf dem Mond existieren nicht mehr. Nun reist eine kleine Gruppe Überlebender in einem Raumschiff durch die Galaxie zum Mars, um dort eine letzte Zuflucht zu finden. Und damit betrat Milan Fras mit einem Cowboyhut auf seiner typischen Kopfbedeckung die Bühne.
Der erste Teil des Konzertabends bestand aus einer Performance des gesamten „LOVE IS STILL ALIVE“-Albums. Begleitet von futuristischen Projektionen und an alte Computerspiele angelehnte Animationen intonierte die Band alle acht Kapitel des Liederzyklus. Die Musik stellte dabei eine Reise durch die Synthpopwelten der letzten dreißig Jahre dar. Natürlich wurden diese eingängigen Melodien im laibachesten Klang dargeboten. Die Bässe dröhnten, die Gitarre wavete und rockte sich durch die Lieder und Milan Fras intonierte die Texte mit seiner markant tiefen Stimme. Unterstützt wurde er gesanglich von Marina Mårtensson, deren klare Stimme durch Mark und Bein ging. Und immer wieder wurde der Refrain „we lost the earth forever, but our love is still alive“ mal gesungen, mal von effektverfremdeten Stimmen intoniert. Eine perfekte Metapher für unsere moderne Welt. Eine Computerstimme behauptet, dass die Liebe noch am Leben sei. Doch in wie weit ist eine Maschine der Liebe mächtig?
Nach diesem weltraumlastigen Start in den Abend folgte eine dreißigminütige Pause. Während dieser lief eine trance/technolastige Instrumentalversion des Hauptthemas und ein Ausschnitt aus der „Winnetou“-Verfilmung mit Pierre Briece als Winnetou aus den 1960er-Jahren. Beachtet man die kürzlichen Debatten über kulturelle Aneignung und darüber, wie zeitgemäß Karl Mays Winnetou-Romane noch sind, ein sehr direkter Zeitbezug.

Nach der Pause eröffnete Milan Fras, diesmal ohne Cowboyhut, mit einem brachial intonierten „Ordnung und Disziplin“ den zweiten Block des Konzertes. Es folgte eine Reise durch die letzten Jahre der Banddiskografie. Neben „Ordnung und Disziplin (Müller versus Brecht)“ und „Ich bin der Engel der Verzweiflung“ vom 2022 veröffentlichten Album „Wir sind das Volk – Ein Musical aus Deutschland“ folgten „Das Nachtlied I“ und „Als Geist“ vom Album „Also Sprach Zarathustra“. Die sehr atmosphärischen Lieder wurden mit ebenso atmosphärischen Videoprojektionen untermalt. Neu im Programm waren die Lieder „Glück auf!“ und „Lepo – Krasno“. Diese sind Teil der erst in diesem Jahr erschienen Veröffentlichung „Sketches from the Red Districts“. Diese Lieder sind sehr brachial, industriell und laut. Sie passen perfekt zu den im Hintergrund projektierten Videos von Maschinen, Bergbausiedlungen und historischen Bildern aus Trebovlje, der geschichtsträchtigen Heimatstadt Laibachs. Beängstigend wurde es, als nach „Smrt za Smrt“ und „Krvava gruda – plodna zemlja“, das Lied „Ti, ki izzivaš“ angestimmt wurde. Die teils historischen, teils an Linolschnitte erinnernden Bilder vergangener Kriege spiegelten die Grausamkeit der kriegerischen Auseinandersetzungen der heutigen Zeit. So eingängig und rhythmisch die Musik war, so sehr weigerte man sich innerlich sich zu diesen Bildern entspannt im Takt mitzuwippen.
Die Band verließ die Bühne, tosender Applaus erklang und wieder lief der Filmausschnitt aus „Winnetou“. Pierre Briece ging auf sein Pferd zu, wollte sich auf dessen Rücken schwingen und wurde kurz vorm Aufsitzen wieder zurückgespult. Das Video wurde mehrfach wiederholt und immer um ein kleines Stück länger abgespielt, bis die Band erneut die Bühne betrat. Es folgte das Leonard Cohen Cover „The Future“. Ein Lied, dessen Musikvideo und Animation ein perfekter Spiegel der jetzigen Zeit ist. Beklemmend, verzweifelt, skurril, strange und dennoch eingängig. Ein Lied von Leonard Cohen so einfühlsam und dringlich dargeboten wie nie zuvor. Gesteigert wurde dies durch das The Rolling Stones Cover „Sympathy for the Devil“. Gerade durch die Videoprojektion, welche auf den Ukraine-Krieg zugeschnitten wurde, rief dies pure Gänsehaut hervor. Das Lied wurde so zu einem krassen Protestsong und einer puren Provokation gegen Putin. Mit diesem Block kehrte die Band vom Weltraum über die Vergangenheit in die Gegenwart ein. Doch am Ende wurde wieder der Bogen zur Zukunft geschlagen und das dem Soundtrack zum Film „Iron Sky – The Coming Race“ entnommene Lied „The Coming Race“ inbrünstig von Marina Mårtensson performed. Dazu zeigte man Bilder einer teils bereits eingetretenen, teils hoffentlich nie eintretenden Zukunft…

Im Laufe des Abends sah man ein Konzert, eine Kunstperformance, einen Film in vier Akten. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ein perfektionistisches Kollektiv bestehend aus Milan Fras (Gesang), Marina Mårtensson (Gesang und Akustikgitarre), Bojan Krhlanko (Schlagzeug), Luka Jamnik und Rok Lopatič (Synthesizer) und Vitja Balžalorsky (E-Gitarre). Alle wechselten zwischen starrem Spiel und energischen Performen. Der gesamte Raum wurde durch die aufwendigen Projektionen von Ivan „Jani“ Novak zur Spielfläche. Jeder Basston dröhnte im Leib, jedes Wort – egal ob auf Slowenisch, Deutsch oder Englisch – hallte im Gehörgang und Gehirn nach und jedes gesehene Bild fraß sich ein. Ein Abend, der noch lange nachwirkte. Und am Ende blieb die Begeisterung für die gerade gesehene Performance und die Gänsehaut ob der eindringlichen Vorführung im Gedächtnis.

Fotos: Jacob Kluge

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