Nocturnal Culture Night 2009

The Cassandra Complex

7. - 9. September 2009

DEUTZEN, KULTURPARK

DAS Herbst-Festival machte dieser Bezeichnung anfänglich alle Ehre. Noch bei strahlendem Sonnenschein und sommerlichen Temperaturen angereist, änderte sich das Wetter pünktlich zum offiziellen Einlass am Freitag Nachmittag. Direkt am Eingang befand sich ein Stand mit diversem Informationsmaterial und – natürlich – Regencapes. Am ersten Festivaltag beherrschten dann auch Regenschirme, Lederjacken, Kapuzen und sonstige Utensilien, mit welchen man das Durchnässen bis auf die Haut verhindern konnte, die Szenerie im Kulturpark Deutzen. So mancher Camper, welcher später an diesem Tag angereist ist, wird den Wettergott verflucht haben – und sich nach etwas Wärmenden gesehnt haben…

Die Auswahl an kalten Getränken war reichlich, das Angebot an den Witterungsverhältnissen angepassten heißen Getränken hingegen… nun ja, doch eher mangelhaft zu nennen. Und der Mittelaltermarkt: leider kaum vorhanden. Einzig zwei Buden fanden die Besucher vor. Schade. Dies waren dann aber auch schon die einzigen, kleineren Wehrmutstropfen, mit welchen man sich leicht abfinden konnte, stand die Live-Musik doch eindeutig im Mittelpunkt. Auf zwei Bühnen – immer im zeitlichen Anschluss – wurde ein abwechselungsreiches Programm ohne Überschneidungen und längere Leerlaufzeiten wegen Umbauarbeiten geboten.

Mit Auftritten von u.a. XP8, Painbastard und Angels & Agony, welche verkündeten, dass sie die Band vorerst auf Eis legen werden, bestimmten vornehmlich elektronische Klänge den ersten Festivaltag. Den krönenden und unübertroffenen Abschluss boten „Diary of Dreams“. Sänger Adrian Hates – ohnehin mit einem starken charismatischen Ausdruck begnadet – erschien an diesem Abend enthusiastischer und entspannter als je zuvor. Die Begeisterung und die Kraft, mit welcher die Lieder vorgetragen wurden, begeisterte das Publikum bis in die letzten Reihen. Einzigartig!

Der Samstag bescherte einen Wechsel im Programm: Für „Lady Bloody Mary“ musste die Berliner Band „Manipulation“ den schwierigen ersten Auftritt am Mittag auf der großen Bühne übernehmen.

„Die Perlen“ unterhielten die Gäste anschließend mit viel Temperament, frechen, aber auch nachdenklichen Texten und minimalistischen, 80er-Jahre angehauchten Klängen.

Am frühen Abend betraten martialisch ausgestattete Kämpfer mit finsterem Blick die kleine Bühne: „Jesus and the Gurus“. Keine Ahnung, was die Schweizer eingeworfen hatten: aber sie waren wirklich extrem böse drauf. Nur: leider waren die Texte nicht abartig, sondern eher lebensnah. Ein gelungener Auftritt.

Vor der große Bühne brachte „Das Ich“ die Menge zum Kochen. Auch nach 20 Jahren Bühnenpräsenz war bei den drei Musikern kein Temperamentsverlust zu spüren. Im Gegenteil. Stefan Ackermann, Bruno Kramm und Marty Söffker boten eine energiegeladene Show, woran die drei Musiker augenfällig ihren Spaß hatten. Klassiker wie „Gott ist tot“ oder „Destillat“ wurden mit überwältigendem Beifall belohnt. Dass Bruno Kramm Papa geworden ist, hatte zwar mit dem Auftritt an sich nichts zu tun, wurde aber trotzdem bejubelt.

Im letzten Jahr konnte man sich während des Wave Gotik Treffens schon von den Livequalitäten der reaktivierten Band „The Cassandra Complex“ auf großer Bühne überzeugen. Aber auch in einem kleineren Rahmen wussten die vier Musiker durchweg zu überzeugen. Der leidenschaftliche Frontmann Rodney Orpheus war sichtlich erfreut, dass der herumstehenden Bande der Auftritt offensichtlich sehr gefiel – das erfreute Lächeln legte er bis zum letzten Ton nicht mehr ab.

Mit „In Strict Confidence“ betrat eine gewohnt professionelle Band die Bühne und sorgte für einen begeistert aufgenommenen Abschluss des zweiten Tages. Feuerspuck- und -tanzeinlagen der Gitarristin werteten die Show zusätzlich optisch auf.

Hielt sich der Regen am Vortag schon deutlicher zurück, überraschte der Sonntag mit noch freundlicherem Wetter. Ohne Schirm in der Hand oder Kapuze auf dem Kopf macht so ein Festival doch deutlich mehr Spaß.

Obwohl bei der Gruppe „Nachtgeschrei“ auch ein Dudelsack für die Tonerzeugung benutzt wurde, hoben sich die Frankfurter erfreulicherweise von den unzähligen Mittelalter-Dudelsack-Bands ab. Der dynamische Sänger Holger Franz überraschte mit nachdenklich machenden Texten und einer gut ausgebildeten Stimme. Und er nannte den Grund, warum die Musiker von „Nachtgeschrei“ neben ihren Jobs das Wochenende mit solchen Auftritten besetzen: das Strahlen in den Augen der Besucher. Wenn diese vor der Bühne stehen, zuhören, mitfühlen und begeistert Beifall spenden.

Man stelle sich vor: schwarze Melone, rotkariertes Hemd, weißes T-Shirt, blaue Jeans und schwarz-weiße Yuppie-Schuhe. Also ein Outfit so richtig zum „Pickel-bekommen“. So präsentierte sich der Sänger von „KLOQ“. Ein stimmgewaltiges Temperamentsbündel, ein Einheizer, welcher die Zuhörer zum Tanzen animierte, was bei den treibenden Beats nicht schwer viel.

Funker Vogt schlossen nahtlos an und sorgten für noch mehr Bewegung und Stimmung vor der Bühne. Sänger Jens Kästel war von der Feierlaune der Besucher so beeindruckt, dass er den kompletten Auftritt über ein Strahlen im Gesicht hatte. Der Kontakt zwischen Band und Publikum war grandios. Eine „Familie“. Frank Schweigert, der Gitarrist und ein etwas älteres Modell, entlockte mir ein Lächeln. Er bewegte sich so voller Temperament über die Bühne, dass die Technik öfter damit beschäftigt war, das Gitarrenkabel wieder in den Verteiler zu stecken.

Und was einem so auffällt: die „Urgesteine“ werden gemeinsam mit den Fans „reifer“. Sprich: Das Haar wird grau und/oder etwas lichter. Das eine oder andere Wohlstandsbäuchlein zeichnet sich unter der Kleidung ab. Verzichtet wird auf rosafarbene falsche Locken und neongrüne Röckchen. Eine Wohltat (für die Seele und für die Augen).

Jean-Luc De Meyer dürfte vielen Electro-Fans ein Begriff sein. In Deutzen enterte der Sänger aber nicht mit seinen Kollegen von „Front 242“, sondern gemeinsam mit den beiden Musikern von „Implant“ in Form des Projekts „32 Crash“ die kleine Bühne. Teils heftig, teils nachdenklich wussten die belgischen Künstler die bis zum Ende ausharrenden Besucher zu fesseln.

Der Abschluss am Sonntag Abend wurde durch „Crematory“ gestaltet. Hierfür musste man aber wohl Fan sein: die Langhaargermanen mit personenbezogenen Grunzen-Grollen-Gurgeln vertrieben uns vorzeitig.

Es war ein vielfältig gemischtes Programm, welches auf eine gute Resonanz traf. Nicht alle Bands wurden nun erwähnt. Dies stellt natürlich keine Wertung dar, sondern ist eben einfach Geschmackssache.

Wir freuen uns auf ein weiteres kleines aber feines Festival im nächsten Jahr. Ganz ohne neongrün und pink. Ohne übertriebenen Kommerzialisierungsgedanken. Einfach nur „schwarz“. Die ersten Gruppen wurden auch schon bestätigt. Auf ein Wiedersehen im Herbst 2010 im Kulturpark Deutzen.

Fotos: Marcus Rietzsch

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