Nocturnal Culture Night 2017

Zanias beim NCN 2017

08. - 10. September 2017

DEUTZEN, KULTURPARK

Während ich mir für diesen Rückblick auf das Nocturnal-Culture-Night -Festival die Geschehnisse des vergangenen Wochenendes ins Gedächtnis rufe, blicke ich aus dem regentropfenbenetzten Fenster auf eine graue, wolkenverhangene Landschaft. Was hatten wir, die Besucher des 12. NCN, doch für ein Glück. Bis auf wenige Regentropfen, die der Erwähnung kaum wert sind, durften wir uns über angenehme Temperaturen und Trockenheit freuen. Und am Sonntag zeigte sich die meiste Zeit sogar die Sonne. Auch wenn die Gäste des NCN in der Vergangenheit bewiesen haben, dass sie sich von nasskaltem Wetter nicht die Laune verderben lassen, ist es doch immer recht wohltuend, nicht auf Regenschirme, sondern in die Augen der Musiker blicken und deren Emotionen visuell verfolgen zu können.

In vielen Bereichen setzte der Veranstalter auf Kontinuität. Der Kulturpark Deutzen – zum zwölften Mal Heimstätte dieses Festivals – bot den gewohnt angenehmen Rahmen: vier Bühnen, ein schönes Gelände, Sitzgelegenheiten unter Bäumen. Neben aller Beständigkeit versuchte man sich aber ebenso weiterzuentwickeln. So konnte erstmalig ein Shuttle-Service genutzt werden. Zudem hatte ich den Eindruck, dass das Essensangebot erweitert wurde. Der Mittelaltermarkt ist hingegen verschwunden. Einige mögen diesen vermisst haben. Allerdings war das musikalische Programm so reichhaltig, dass dieser Verlust alles andere als schwer wog.

Das NCN zeichnet sich schließlich ferner dadurch aus, ungewöhnlichen Projekten und musikalischen Nischen eine Bühne zu bieten. So wie „The Red Paintings“, die teils durch ein extravagantes, fernöstliches Erscheinungsbild und eine Kunstperformance, bei der ein menschlicher Körper bemalt wurde, die Blicke auf sich zogen. Als mindestens ebenso außergewöhnlich darf das nächtliche Konzert von „Zanias“ bezeichnet werden. Mit einer an eine schamanische Hohepriesterin erinnerten kühlen Aura fesselte Zoé Zanias (bekannt als Stimme von „Keluar“ und „Linea Aspera“) das Publikum. Beispielhaft war außerdem der mehr als verstörende Auftritt von „Antichildleague“ (ACL), deren einziges Mitglied Gaya Donadio sich ein schwarzes Tuch mit Sehschlitz um den Kopf band, Handschuhe mit peitschenähnlichen Verlängerungen an den Fingern trug, die wiederholt auf dem Rücken der Protagonistin landeten und elektronischen Gerätschaften lärmende Klänge entlockte. Für mich zu lärmend, aber ein Beweis, dass die Veranstalter schwer zugänglichen Projekten Platz einräumen, welche von den meisten Festivals unbeachtet bleiben.

Wer es weniger sperrig mag, ließ sich evtl. wie ich von „Drangsal“ in die 80er Jahre entführen. „Drangsal“ ist eine junge Band, die voller Energie und Zielstrebigkeit zu stecken scheint und einige musikalische Perlen im Gepäck hatte, die nicht nur nach 80er klangen, sondern in gewisser Weise den Geist dieses aus musikhistorischer Sicht so wichtigen Jahrzehnts versprühten. Die eingängigen und tanzbaren Titel, welche großen Spaß bereiteten, mündeten abschließend in eine Interpretation von Metallicas „For whom the bell tolls”. Einziger Wehrmutstropfen war die unerwartet kurze Spielzeit von geschätzt maximal 35 bis 40 Minuten. Aber wie heißt es so schön? In der Kürze liegt die Würze.

Auf selbiger Bühne konnte vorher schon die italienische Band „Ash Code“, bei der ein sechssaitiger Bass stillprägend ist, mehr als überzeugen und für einen weiteren Höhepunkt sorgen. Die Zwillinge Alessandro und Adriano Belluccio – zwei Drittel der Besetzung – waren bereits zum dritten Mal zu Gast beim NCN, wo sie 2013 mit ihrer Band „Low-Fi“ erstmalig ihr großes Gespür für Melodien bewiesen haben. Zusammen mit Claudia Nottebella präsentierten sie nun herrlich melancholischen und tanzbaren Dark Wave. Manch Festivalgast schloss die Augen und ließ sich von der Musik treiben…

Ein weiteres grandioses Konzert gestalteten „Goethes Erben“. Die Band um Oswald Henke ist sicherlich nicht jedermanns Sache und es gab auch ein paar Besucher, die weder der Musik noch der Darbietung auf der Bühne etwas abgewinnen konnten. Für die begeisterte Mehrheit war dieser Umstand aber bedeutungslos. Die richtigen Worte zu finden, fällt schwer. Intensiv. Beeindruckend. Emotional. Energiegeladen. Nachdenklich stimmend. Theatralisch. Durch das Verteilen von Kerzen an das Publikum wurde zudem eine wundervolle Atmosphäre kreiert. Neben bekannten Stücken wie „Vermisster Traum“, „Mensch sein“ und „Glasgarten“ (vorgetragen im Duett mit Sonja Kraushofer) wurde der brandneue Titel „Lazarus“ vorgestellt. Ein Song, der den Klassikern in nichts nachzustehen schien und dessen Text betreten machte.

Noch länger als „Goethes Erben“ (1989) sind „The Invincible Spirit“ (1986) aktiv. Insbesondere in den Anfangsjahren (und davor mit „Invisible Limits“) hat Thomas Lüdke zahlreiche Klassiker geschrieben und aufgenommen. „Devil dance“, „Make a device“, „Love is a kind of mystery“, „Provoke you” und natürlich der TIS-Song schlechthin: „Push!“ Der unwiderstehlichen Rhythmik dieser Titel konnte man sich nur schwer entziehen und so kam ordentlich Bewegung ins Publikum.

Neben den zahlreichen Konzerten standen jeweils zur Mittagszeit zwei Lesungen auf dem Programmplan. Kurz bevor Christian von Asters Lesung beginnen sollte, hatten sich gerade einmal sechs Personen vor die Kulturbühne eingefunden. Eigenartig. Erfreuen sich astersche Texte und Lesungen doch für gewöhnlich großer Beliebtheit. Nach und nach erschienen aber weitere Interessierte, so dass Herr von Aster seine hervorragenden Texte über die Beobachtungen und Erlebnisse einer Elfe, eine Liebesbrieftaube auf Arbeitssuche und die dramatischen Geschehnisse rund um die Mitternachtshüpfburg einer in Anbetracht der frühen Zeit respektablen Anzahl Lauschwilliger vortragen konnte. Ein perfekter Einstieg in einen langen Festivaltag.

Wer sich nicht wie ich für die humorvollen Worte von Christian von Aster, den kühlen Sound von „Ash Code“, Drangsals Reise in die 80er, die mitreißende Rhythmik von „The Invincible Spirit“ oder die Theatralik von „Goethes Erben“ begeistern konnte, fand an anderer Stelle bzw. zu anderen Zeiten seine Höhepunkte.

Beispielsweise auf der Kulturbühne, wo neben den Lesungen ein ungewöhnliches musikalisches Programm präsentiert wurde: „Spritual Front“ spielten ein viel beachtetes Set aus „The Smiths“- und „Morrissey“-Songs. „Rome“, „Of The Wand And The Moon“ und „Traum’er Leben“ erfreuten die Liebhaber neofolkischer Klänge. Zudem fanden hier u. a. elektronische Projekte wie „Thorofon“ oder die bereits erwähnten „ACL“ ihr Publikum.

Andere überzeugten die Headliner wie „Phillip Boa And The Voodoo Club“, die am Samstag u. a. mit den Klassikern „And then she kissed her”, „Container love“, „This is Michael“ und natürlich „Kill your idols“ die Menge vor der Amphibühne in Begeisterungsstürme versetzte. Nicht weniger stimmungsvoll waren die Auftritte von „Covenant“ am Freitag und „Suicide Commando“ zum Abschluss am Sonntag.

Nicht wenige Besucher erfreuten sich unübersehbar an den stampfenden und treibenden Rhythmen diverser EBM-Bands wie „Sturm Café“, „Wulfband“ und „Pouppèe Fabrikk“, die für viel Bewegung sorgten.

Alle Künstler zu erwähnen und ihnen gerecht zu werden, ist fast unmöglich. Zumal meistens zwei Bühne zeitgleich bespielt wurden.

Für viele Besucher stand bereits vor dem letzten Konzert und der traditionellen Würdigung der „NCN-Mannschaft“ fest, nächstes Jahr wiederkommen zu wollen. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Neben der Garantie einer interessanten Bandauswahl sind die schöne Örtlichkeit und die größtenteils entspannten Besucher entscheidende Faktoren. Und so wird man vom 7. bis 9. September 2018 wohl wieder einige bekannte Gesichter im Kulturpark Deutzen sehen.

Fotos: Marcus Rietzsch

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