Wunderkammer der Humanität – ein Werk von Matthias Korb

Initium et Finis

Die Wunderkammern (…) der Spätrenaissance und des Barock gingen aus den früheren Raritäten- oder Kuriositätenkabinetten (Panoptika) hervor und bezeichnen ein Sammlungskonzept aus der Frühphase der Museumsgeschichte, das Objekte in ihrer unterschiedlichen Herkunft und Bestimmung gemeinsam präsentierte.“
(Quelle: Wikipedia)

Als Matthias Korb die beiden Holztore seines Museums „Initium et Finis“ (Anfang und Ende) öffnet, versetzt mich der Anblick des ersten Raums der „Wunderkammer der Humanität“ (so der ergänzende Titel) in ehrfürchtiges Staunen. Anfänglich wandert mein Blick ruhelos zwischen unzähligen Exponaten hin und her. Nahezu jeder Winkel wurde ausgenutzt, um Tierschädel, alte Waagen, Reagenz- und Einmachgläser, verschlissene Bücher und deren Umschläge, verblichene Schwarz-Weiß-Fotografien, Heiligenfiguren und vieles mehr zu präsentieren.

Welch Fülle die Räumlichkeiten der in der kleinen Gemeinde Lohrheim, etwa 15 Kilometer südlich von Limburg an der Lahn gelegenen Wunderkammer für seine Besucher bereithält, wird mir erst nach und nach bewusst. Der Versuch, jede Kleinigkeit, jedes Detail zu erfassen, ist zum Scheitern verurteilt. Zu vielfältig, zu umfangreich gestaltet sich diese überwältigende Sammlung. Umso bemerkenswerter ist die Information, dass der Startschuss für dieses Projekt erst im Jahr 2008 fiel. 2011 fand der erste Tag der offenen Tür statt. Fünf Jahre später öffnete das Museum offiziell zum ersten Mal seine Pforten für interessierte Besucher, die seither an den Wochenenden durch das Museum geführt werden. Voraussetzung ist eine Voranmeldung und die Volljährigkeit.

Eine steile Treppe führt in einen weiteren Bereich empor. Zunehmend wird deutlich, dass es sich um keine reine Präsentation handelt. Matthias Korb ist nicht nur ein von der Suche nach altertümlichen und kuriosen Objekten Getriebener, sondern zudem ein Künstler, der dem Leben und Tod nachspürt. Die auf zahlreichen Floh- und Antikmärkten in den frühen Morgenstunden ergatterten Stücke wurden und werden gezielt arrangiert und ebenso künstlerisch „verwertet“. Matthias Korb will Dinge erhalten. Der Künstler schreckt aber auch vor der unumkehrbaren „Zerstörung“ besonderer Gegenstände nicht zurück, um einzigartige Kompositionen und Werke zu erschaffen. Ebenso dienen neuwertige Objekte wie kleine Skelette oder Schädel als Material. Raum um Raum erschließt sich eine immer umfangreichere Welt aus einzelnen, angeordneten Exponaten und durch Künstlerhand geschaffene Darstellungen. Sukzessive entsteht ein Gesamtbild, welches Werden und Vergehen widerspiegelt.

Matthias Korbs Wunderkammer befindet sich im stetigen Wandel. Gesammelte Objekte werden zusammengefügt, integriert, ergänzt, künstlerisch verarbeitet, neu arrangiert. Unfertiges und Unverarbeitetes bilden einen Teil des Museums. So lässt der Künstler seine Gäste ein Stück weit an diesem Entstehungsprozess teilhaben. Künstliche, teils farbige Beleuchtung und spärliches Tageslicht sorgen für eine ruhige und zuweilen spirituelle Atmosphäre. Schmerzliche, leidvolle, mitunter verstörende Darstellungen stehen der Ästhetik und Schönheit antiker Möbel und anderer Fundstücke gegenüber. Leere Blicke aus Puppengesichtern, die einst Freude bereiten sollten oder der um ein ursprünglich niedliches Kinderporträt gewickelte Stacheldraht lösen ein beklemmendes Gefühl aus. Unzählige Kruzifixe, neben- und hintereinander von der Decke baumelnd sind Sinnbild für Religion und Spiritualität. Und immer wieder stimmt die Kombination aus Zitaten und verblassenden Fotografien von wohl längst verstorbenen Menschen nachdenklich:

„Das Leben und der Tod sind zwei Geraden,
deren Krümmung zum Kreis wir nicht wahrhaben wollen.“

In diesen Worten zeigt sich das Hauptthema abermals: Leben und Sterben.

Oder:

„Man wird uns in schlechter Erinnerung behalten.
Uns alle.“

Was bleibt von uns, wenn der Leib eingeäschert oder vergraben wurde? Was hinterlassen wir dieser Welt?

Ehe der Weg wieder nach unten und durch weitere Zimmer führt, fällt der Blick auf ein über der Treppe angebrachtes Schaubild, welches den Sterbeprozess von Körper und Geist wiedergibt. Die nüchtern, auf Worte und Linien beschränkte Präsentation mag für manchen Besucher bedrückend wirken. Der Tod hat nur in einer verklärten literarischen Darstellung etwas Romantisches.

Man kann sich dem Werk von Matthias Korb verschließen und sich den einzelnen Exponaten und Kuriositäten pragmatisch nähern. Oder einen emotionalen Zugang zulassen, sich den aufgeworfenen Fragen stellen und den eigenen Gedanken freien Lauf lassen. Zurück bleiben eine gewisse Melancholie und eine große Zufriedenheit, diesen besonderen und einzigartigen Ort entdeckt zu haben.

Fotos: Marcus Rietzsch

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