Zwischen Indie-Rock und Stadion-Pop: White Lies in Berlin

3. März 2019

BERLIN, HUXLEYS NEUE WELT

Als das Saallicht erlosch und der erste Titel der Vorgruppe „Boniface“ – benannt nach der Gegend, in der Sänger und Gitarrist Micah Visser aufwuchs – erklang, stand noch so manch Konzertbesucher in einer der beiden Garderoben-Warteschlangen; äußerst willig, sich schnell von dem einen oder anderen Kleidungsstück zu befreien. Trotzdem war der sich mit zunehmender Fortdauer aufheizende Saal schon recht gut gefüllt und somit konnte sich das junge Quartett aus Kanada über viel Aufmerksamkeit und Applaus freuen. Vollmundig ist von „einer neuen Art des Pop des 21. Jahrhunderts“ zu lesen. Diese Übertreibung sei der sympathischen Band (oder ihren Beratern) verziehen, da die äußerst poplastigen Songs viel Anklang beim Publikum fanden. Umbaupause.

Mit zurückhaltenden Keyboardklängen und ganz ohne den Einsatz von Gitarren startete der Auftritt der „White Lies“. Doch der gefühlsbetonte, über siebenminütige Epos „Time to give“, welcher auch das aktuelle Album eröffnet, lässt nach und nach Raum für weitere Instrumente, um sich gemächlich aufzubauen und die Anwesenden zunehmend auf die noch kommenden Stücke einzustimmen. Bereits mit dem anschließenden Klassiker „Farewell to the Fairground” befand sich das Publikum im Konzertmodus. Weitere Überzeugungsarbeit musste kaum geleistet werden. Mit „Believe it” folgte ein weiterer Song des kürzlich erschienenen fünften, schlicht „Five“ betitelten Albums. Und was für einer. Der Refrain grub sich umgehend voller Macht in die Gehörgänge und setzte sich im Gedächtnis fest. Noch lange hallten die von Harry McVeigh gesungenen Worte des für diese Band so typisch eingängigen Chorus im Kopf nach:

„Believe it, believe it, believe it, believe it, you can pay any way you like,
Believe it, believe it, believe it, believe it, you`ll be good if you shut your eyes.”

„Believe it“ – ein Stück, dass es dauerhaft ins Liveprogramm der White Lies schaffen könnte. Nein, unbedingt sollte!

Das aus Harry McVeigh (Gesang, Gitarre), Charles Cave (Bass) und Jack Lawrence-Brown (Schlagzeug) bestehende Trio – live verstärkt durch Tommy Bowen (Keyboard) – versteht es meisterhaft, popig-melancholische Musik mit Ohrwurmcharakter irgendwo zwischen Indie-Rock und Stadion-Pop zu kreieren.

Schon die Titel der nächsten drei Stücke wiesen auf ein Thema hin, welches die britischen Musiker dauerhaft umtreibt: Liebe. So lag spätestens zu diesem Zeitpunkt das für diese Band bekannte und durchaus geliebte Pathos in der Luft. Wohl wenig verwunderlich: Vereinen die Sehnsucht nach Zuneigung und bittere Erfahrung der Zurückweisung doch die meisten Menschen in einer gewissen Art und Weise.

Nahtlos schloss „Unfinished Business” an und so mancher langjährige Bewunderer staunte, dass diese erste Veröffentlichung noch keine elf Jahre zurückliegt. Hat man doch den Eindruck, dass die White Lies schon ewig zu begeistern wissen.

Der noch einen Tag zuvor zu einem Krankenhausaufenthalt gezwungene Lichttechniker sorgte mit Hilfe von zahlreichen Scheinwerfern (u. a. 24 LED-Strahler im Rücken der Musiker) für eine vereinzelt blendende, aber meist aufregende Lichtstimmung, welche wirkungsvoll mit der dargebotenen Musik verschmolz.

In der Folge wurden bekannte Ohrwürmer wie „Big TV“ und „Death“ von neuen Stücken eingerahmt, die womöglich nicht allesamt Hitpotential haben, aufgrund einer gewissen Andersartigkeit aber für Spannung sorgten und sich gut ins Gesamtgefüge eingliederten. Zugegeben: Man hörte auch gegenteilige Aussagen, die jedoch nicht spürbar ins Gewicht fielen.

Schließlich dominierte die bereits erwähnte Eingängigkeit. In dieser Angelegenheit sind die Musiker aus London Experten ihres Fachs. Bestes Beispiel: „To lose my life“, dessen Refrain aus vollen Kehlen enthusiastisch mitgesungen wurde, ehe die Band unter heftigem Applaus das Rampenlicht erstmals verließ. Selbstverständlich nur kurzfristig.

Nach entsprechend lautstarker Aufforderung kam überraschenderweise nur Harry McVeigh zurück auf die Bühne, um am Keyboard Platz zu nehmen und das sehr gefühlvolle „Change“ zum Besten zu geben. Ein Kontrapunkt zu den anderen, zum Mitsingen animierenden Stücken. Als mindestens ebenso ungewöhnlich dürfte die Wahl der zweiten Zugabe bezeichnet werden: „Fire and Wings“ vom aktuellen Album. Der für die White Lies wenig exemplarische Song hat sich seinen Platz an dieser Stelle jedoch sehr wohl verdient. Ein schleppendes Schlagzeug und eine zuweilen rockige Gitarre sorgten für einen weiteren angenehmen Gegenpol. Mit einem der bekanntesten Stücke – „Bigger Than Us“ – mobilisierte die Band noch einmal alle Kräfte, bevor nach etwa 100 Minuten ein kurzweiliger Auftritt sein Ende fand und die Melodien und Worte vieler Titel im Geiste nachhallten…

„I want you to pray, cause it’s bigger than us… bigger than us… than us… than us… than us… ”

Fotos: Marcus Rietzsch

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