Scientia mortuorum: Ein Interview mit Anja Kretschmer über das Festival rund um den Tod

Anja Kretschmer
Anja Kretschmer

Dr. Anja Kretschmer-Rodenbröker ist Kunsthistorikerin, Friedhofsexpertin, Veranstalterin – und die kreative wie leidenschaftliche Initiatorin des Wissensfestivals Scientia mortuorum – Von der Wissenschaft der Toten. Am 30. August 2025 findet die sechste Ausgabe dieses einzigartigen Festivals im Herrenhaus Vogelsang im idyllischen Mecklenburger Parkland statt.

Die Besucherinnen und Besucher erwartet Vorträge von Fachleuten aus Kriminalpsychologie, Forensik, Archäologie und weiteren Disziplinen rund um das Thema Tod, Trauer und Bestattungskultur. Für teils leichtere Zwischentöne sorgen künstlerische Darbietungen aus den Bereichen Comedy, Musik, Pantomime bzw. Clownerie.

Im Gespräch mit T-Arts gewährt Dr. Kretschmer-Rodenbröker sehr persönliche Einblicke in die Entstehung, Hintergründe und Entwicklung des Festivals – und verrät, warum ein Leichenwagen für sie mehr ist als ein Fahrzeug.

Wie entstand die Idee für das Wissensfestival „Scientia mortuorum“?

Die Idee entstand auf einem Vortrag von Dr. Mark Benecke. Ich war begeistert von dem Format und der Möglichkeit als Laie Einblicke in Wissenschaftsbereiche zu bekommen, die einem sonst verwehrt sind. Aber ich fand es schade, dass nach dem Vortrag alles schnell vorbei war. Ich wollte ein Format entwickeln, bei dem man auch in Ruhe mit den Referenten, dem Publikum ins Gespräch und in den Austausch gehen kann – in unbeschwerter Festivalatmosphäre.

Das diesjährige Festival findet im Herrenhaus Vogelsang statt – einem historisch bedeutsamen Ort. Warum hast Du Dich für diese Location entschieden, und welche Rolle spielen solche besonderen Orte für die Atmosphäre und das Erleben des Festivals?

Es sind immer vergessene, leerstehende Orte, die ebenso wenig Beachtung in der Gesellschaft finden wie der Tod selbst. Lost places versprühen einen gelebten Charme und besitzen viel von der Energie der einst dort agierenden Menschen. Sie lassen die Gänsehaut des Unbekannten, Mystischen auf unserer Haut entstehen – gleichsam wie der Gedanke an unser Lebensende.

Das Festival vereint Wissenschaft, Kunst und persönliche Geschichten rund um das Thema Tod. Warum ist Dir diese Mischung wichtig?

Die Besucher sollen sich neben dem wissenschaftlichen Input auch wohlfühlen, bei Musik und Kunst in andere Sphären tauchen und einen unterhaltsamen, entspannten und gern auch lustigen Tag verbringen. Die Mischung aus Kunst, Kultur und Wissenschaft eröffnet die große Bandbreite, die das Thema besitzt.

Gibt es beim diesjährigen Festival einen Programmpunkt, auf den Du Dich besonders freust? Oder vielleicht etwas, das die Besucher dieses Mal besonders überraschen könnte?

Nach zwei Jahren Pause freue ich mich, dass dieses Festival wieder stattfinden kann. Ich freue mich auf all die lieben Gäste und Künstler, die über die sechs Jahre zu Gefährten und Freunden wurden. Ich freue mich dieses Jahr auf eine pantomimische Darbietung – und dass es mir gelungen ist, endlich auch einen Tatortreiniger für diese Veranstaltung zu gewinnen.

Gab es während der bisherigen Festivals einen Moment oder eine Begegnung, die Dich emotional besonders berührt oder nachhaltig bewegt hat?

Oh jaaaaa, das Emotionalste war ungeschlagen der Moment, in dem im Plastinarium Guben plötzlich Gunter von Hagens persönlich zu mir auf die Bühne kam. Ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet, dass er in seinem gesundheitlich doch sehr gezeichneten Zustand da sein wird! Ansonsten ist es jedes Mal sehr emotional für mich, wenn ich sehe, was durch dieses Format bereits zwischen den Menschen entstanden ist, welche Projekte sich ergaben und wie groß die Freude und der Respekt vor dem Thema ist.

Wie schaffst Du es persönlich, Dich so intensiv mit dem Thema Tod auseinanderzusetzen, ohne dass es belastend wird?

Schwer zu erklären – es ist ein Teil von mir und für mich etwas ganz Natürliches.

Du beobachtest die gesellschaftliche Entwicklung im Umgang mit Tod und Trauer sehr genau. Was fällt Dir dabei besonders auf – gibt es Entwicklungen, die Dich positiv stimmen oder auch besorgen? Und wie möchtest Du Menschen erreichen, die zu diesem Thema keinen Zugang finden?

Mich freut, dass es jede Menge jungen Nachwuchs in der Bestattungsbranche und auf den Friedhöfen gibt, die eine neue Sichtweise und mehr Individualität in ihre Arbeit fließen lassen. Die Beschäftigung mit dem Thema wächst, und die Trauernden werden mehr mit einbezogen – das befürworte ich sehr. Mit meinen Führungen „Friedhofsgeflüster“ versuche ich Menschen zu erreichen, die sonst dem Thema abgeneigt sind. Hier jedoch finden sie über alte Geschichten einen humorvollen und leichten, ja, unterhaltsamen Zugang.

Gab es in Deiner eigenen Biografie ein Schlüsselerlebnis, das Dein Interesse für das Thema Tod und die Bestattungskultur geweckt hat?

Schlüsselerlebnis in dem Sinne nicht, da es ein Prozess und eine logische Konsequenz meiner erlebten Kindheit war. Meine Auseinandersetzung mit dem Thema half mir, mit den Verlusten im eigenen Umkreis umzugehen – und über den Tod hinaus denjenigen aktiv zu begleiten.

Die zentrale Rolle von Friedhöfen in der Erinnerungskultur nimmt ab. Wie siehst Du die Bedeutung solcher Orte heute, und was könnten wir aus vergangenen Bestattungsritualen für unsere heutige Trauerkultur lernen?

Wir lernen gerade, wie wichtig ein Ort der Erinnerung ist – und dass dieser Ort für alle zugänglich sein muss. Die Probleme alternativer Bestattungsarten und fehlender Kommunikation innerhalb der Familie werden immer augenscheinlicher. Es gibt bereits Friedhöfe, die dem entgegenwirken, indem sie keine anonymen Urnengemeinschaftsanlagen mehr anbieten. Es gibt genügend andere Varianten, die ebenso pflegeleicht oder pflegefrei sind.

Die Ausstellung von Leichenwagen ist seit der ersten Ausgabe des Wissensfestivals ein fester Bestandteil. Du besitzt selbst einen Leichenwagen. Was hat Dich dazu bewogen, und welche Bedeutung hat dieses Auto für Dich?

Der Transport des Verstorbenen besitzt Geschichte, die man anhand von Fahrzeugen nachvollziehen kann. Gerade innerhalb der Entwicklung des Automobils findet sich ein weites Spektrum an Leichenwagen. Diese sind ein Kulturgut – und ebenso schützenswert wie historische Gemäuer und Friedhöfe. Ich persönlich finde diese Fahrzeuge außerdem auch sehr ästhetisch. Sie strahlen Ruhe und einen Frieden aus.

Wenn Du den Festivalbesuchern einen Gedanken oder ein Gefühl mitgeben könntest, das sie nachhaltig begleitet – welcher wäre das?

Ein Gefühl der Versöhnung in Bezug auf die Endlichkeit – und den puren Lebensgenuss! Denn nur wenn wir uns bewusst sind, dass unsere (gemeinsame) Zeit begrenzt ist, können wir auch bewusst das Leben genießen und schätzen lernen!

 
» Scientia mortuorum – Von der Wissenschaft der Toten

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