Scientia mortuorum – Von der Wissenschaft der Toten Vol. II

Roman Shamov singt im zweiten Obergeschoss des ehem. Wehrmachtsgefängnisses in Anklam
Roman Shamov singt im zweiten Obergeschoss des ehem. Wehrmachtsgefängnisses in Anklam.

17. August 2019

ANKLAM, EHEM. WEHRMACHTSGEFÄNGNIS

Friedenszentrum Anklam. 22 Uhr. Als teilnehmender Künstler stehe ich zum Abschluss der zweiten Auflage des Wissensfestivals „Scientia Mortuorum – Von der Wissenschaft der Toten“ gemeinsam mit anderen Künstlern und Vortragenden auf der kleinen Bühne, die in einem breiten Gang im ersten Stock des ehemaligen Wehrmachtsgefängnisses aufgebaut wurde und blicke in zufriedene Gesichter. Und obwohl ich die Ausrichtung der Scheinwerfer auf meine Fotografien bevorzuge, freue ich mich über die dankenden Worte von Anja Kretschmer, die diese außergewöhnliche Veranstaltung organisiert hat und selbstverständlich über den Applaus, mit dem uns das Publikum würdigt.

Die zurückliegenden etwa elf Stunden beinhalteten ein eindrucksvolles und dem Ort angemessenes Programm ganz im Sinne der Ankündigung:

„Im ehemaligen Wehrmachtsgefängnis in Anklam begegnen wir einem unbekannten Lost Place, welcher mit einer gnadenlosen deutschen Geschichte aufwartet. Bis heute ist unklar, wie viele Wehrmachtsverweigerer hier ihr Leben lassen mussten – ihr letzter Weg noch ablesbar. Heute ist das Ganze dem Zentrum für Frieden gewichen und mahnt auf ewig mit seinem dunklen Kapitel. Ein interdisziplinäres Team aus Archäologen, Bestattern, Thanatologen und Kunsthistorikern stellt sich an diesem Tag mit ihren Arbeiten rund um den Tod vor. Euch erwarten eindrucksvolle Bilder und spannende Geschichten. Und das Beste daran ist, dass ihr endlich Gelegenheit habt, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, euch auszutauschen und kennenzulernen. Und das alles wieder mitten in einem vergessenen Lost Place mit unbequemer Vergangenheit.“

Nach einer Begrüßung des stellvertretenden Vorstandvorsitzenden der Stiftung „Zentrum für Friedensarbeit“ Uwe-Ulrich Schulz und die durch ihre besonderen Friedhofsführungen bekannte Anja Kretschmer sollte das Programm mit einer Lesung von Peter Wilhelm starten, der allerdings wegen Krankheit kurzfristig absagen musste. Roman Shamov (Schauspieler, Sänger, Autor) und Anja Kretschmer vertraten den Bestattungsexperten und Publizisten jedoch mehr als würdig. Die Darbietungen von Wilhelms Erzählungen rund um das Bestattungswesen waren mal amüsant, mal rührend und stellten einen schönen Auftakt dar. Zwischen den Vorträgen und Lesungen hatte man viel Zeit, um das Gespräch zu suchen, sich zu verpflegen (für das leibliche Wohl war bestens gesorgt) oder sich dem Rahmenprogramm zu widmen. In einem Raum im Obergeschoss wurden Kurzfilme der Filmakademie Baden-Württemberg zum Thema Tod und Vergänglichkeit gezeigt. Das gleiche Thema griff meine in der so genannten Kapelle präsentierte Fotoausstellung auf. Zu sehen waren Friedhofsimpressionen, Aufnahmen von Lost Places, arrangierte Werke und Florales. An gleicher Stelle trat auch Robert Meyer mit einem Theremin auf. Das elektronische Instrument, das berührungslos gespielt wird, faszinierte die Zuhörer. Antje Jakob vom Friedenszentrum führte mehrmals durch die Räume des ehemaligen Wehrmachtsgefängnisses und brachte den Besuchern die schreckliche Geschichte dieser Örtlichkeit näher. Besonders emotional wurde es, als Roman Shamov im Gedenken an die Verstorbenen den Gang des Todestrakts mit seiner Stimme füllte und anschließend ehrfürchtiges Schweigen herrschte. Nicht einmal ein leises Flüstern oder Räuspern war zu vernehmen. Zuvor hatte das Mitglied des Berliner Duos „Meystersinger“ bereits im zweiten Obergeschoss für Gänsehaut gesorgt, als er durch den Gang und die anschließenden Räume wanderte und sich Stimme und Musik großartig ausbreiteten.

„Blaue Berge, grünes Gras
Geht´s Dir gut da, wo Du bist?
Bist Du glücklich, hast Du Spaß?
Geht´s Dir gut da, wo Du bist?
Keine Sorgen, keine Not?
Geht´s Dir gut da, wo Du bist?
Reichlich Liebe und viel Brot
Bist aus dieser Welt verschwunden
Hast nen andern Platz gefunden
Keine Angst und keine Hast
Nicht zu verlieren, hast nichts verpasst
Der Zug nach Haus fährt immer dort
Bist immer da, musst niemals fort
Geht´s Dir gut da, wo Du bist?
Hab Dich manches Mal vermisst
Deine Stimme, Deine Hand
Und die Stille, die uns verband
Geht´s Dir gut da, wo Du bist?“

(Meystersinger – „Geht´s Dir gut, da wo Du bist?“)

Im Mittelpunkt des Interesses standen natürlich die weiteren Vorträge und Lesungen: Der Bestatter und Autor des Buchs „The End“ Eric Wrede, der Thanatologe Jörg Vieweg und die Archäologen und Kunsthistoriker Dr. Regina Ströbl und Andreas Ströbl von der Forschungsstelle Gruft gaben informative, amüsante, ergreifende sowie beeindruckende Einblicke in ihre jeweilige Arbeit. Zu guter Letzt las Anja Kretschmer aus ihrem Buch „Friedhofsgeflüster“ und sprach eine Hymne auf das Leben: „Stürzt Euch in das bunte Meer des Lebens. Genießt es in all seinen Facetten und Schönheiten. Macht Fehler. Kämpft. Liebt. Aber vor allem LEBT.“

Die Planungen für eine weitere Auflage des Wissensfestivals am 15. August 2020 laufen bereits. Station soll dann in der Nähe von Hamburg gemacht werden.

Fotos: Marcus Rietzsch

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