Ein Ritual unter freiem Himmel: Heilung auf der Festung Königstein

5. Juli 2025

FESTUNG KÖNIGSTEIN

Der Weg zur Festung Königstein kostete Schweiß. Zumindest für jene, die auf den Shuttle verzichteten und vom Ortskern aus bei knapp 30 Grad den Aufstieg zu Fuß antraten. Mit jeder Stufe, mit jedem Tritt wuchs nicht nur die Erschöpfung, sondern auch die Erwartung. Oben, auf dem Vorplatz der Festung, verschoben sich die Maßstäbe: Die massive, bis zu 42 Meter hohe Sandsteinmauer erhob sich mächtig gegen den Himmel, während Menschen, die von den oberen Bastionen herabblickten, wie Miniaturen erschienen. In dieser Kulisse, unter freiem Himmel, entfaltete sich an diesem heißen Sommerabend ein Spektakel, das mehr war als nur ein Konzert.

The Hu

Den Auftakt machte die mongolische Band „The Hu“, die allein durch ihre acht Mann starke Formation Aufmerksamkeit erregte. Eingerahmt von zwei Schlagzeugern thronte im Hintergrund der Bühne eine überlebensgroße Kriegerfigur. Auch klanglich war The Hu anders. Traditionelle mongolische Klänge verbanden sich mit der Rhythmik und Energie von Rock und Metal. Tiefer, vibrierender Untertongesang mischte sich mit traditionellen Instrumenten wie der Morin Khuur (Pferdekopfgeige) und der Tovshuur (mongolische Laute) und klassischer Rockinstrumentierung – ein markanter Stil, den die Band selbst als „Hunnu Rock“ bezeichnet. Als Iron Maidens „The Trooper“ angestimmt wurde, sangen nicht wenige den eingängigen Refrain mit. Der anerkennende bzw. begeisterte Applaus war der Band aus der Mongolei sicher. The Hu überraschten und passten erstaunlich gut in diese Umgebung. Dann wurde der Blick auf die Bühne hinter einem schwarzen Vorhang verborgen.

Heilung

Nach der obligatorischen Umbaupause kündigte zartes Vogelgezwitscher „Heilung“ an. Als sich der Vorhang langsam zur Seite schob und die ersten Akteurinnen und Akteure die Bühne betraten, brandete Jubel auf. Rund zwanzig Personen – Musiker/innen, Tänzer/innen, Sänger/innen – traten im Kreis zusammen und reichten sich die Hände. In ihrer Mitte: ein bärtiger Mann, das Gesicht hinter Fransen verborgen, ein Kranz aus Blattwerk auf dem Kopf. In langsamen Bewegungen vollzog er ein Räucherritual, schritt durch den Kreis und ließ Rauch über Köpfe und Körper streichen. Im Hintergrund tanzte Licht über Zweige und Äste – ein Sinnbild für die Naturverbundenheit, die sich durch das gesamte Werk von Heilung zieht. Das Publikum in gespannter Erwartung…

Dann durchbrach der tiefe Ton eines Horns die Stille wie ein Signal zum Angriff. Es folgte ein einzelner, archaischer Schrei. Kurz darauf setzten Trommeln ein – tief und rhythmisch. Dazu: eindringlicher Gesang, der sich mit dem Takt verwob und eine Art Trance eröffnete. Im Kontrast zum tiefen Kehlkopfgesang standen helle, klare, fast ätherische Klangfarben – zarte, weibliche Stimmen, die nicht entgegenwirkten, sondern das zeremonielle Dunkel mit schimmernden Tönen umkreisten.

Die Musik blieb zumeist rhythmisch, schamanistisch. Und lebte von Details: beispielsweise vom Atmen zwischen den Tönen. Die einzelnen Trommelschläge fühlten sich wie ein Puls an. Die Bewegung, Mimik und Gestik wirkten wie eine Beschwörung der Ahnen, Geister, Naturkräfte.

Die Bühne war hoch gebaut. Aus der Distanz erkannte man zwar nicht jede einzelne Bewegung, Gesichtsbemalung oder Interaktion, aber die Gesamtheit dieser Urgewalt konnte man von den hinteren Plätzen zumindest erahnen und spüren. Das Licht tauchte die Szenerie mal in kühle, dann in warme Töne und akzentuierte so das Geschehen auf der Bühne. Zu Beginn war es noch zu hell, um alles um einen herum ausblenden zu können und sich voll und ganz auf das Bühnengeschehen einzulassen. Mit fortschreitender Dunkelheit gewann das Gesamtbild zusätzlich an Tiefe und Atmosphäre.

Das Publikum reagierte unterschiedlich. Manche standen beinahe wie versteinert, die Arme locker an der Seite oder vor der Brust verschränkt. Andere ließen sich treiben, bewegten sich im Rhythmus der Musik, gestikulierten und hoben die Arme. Nichts wurde forciert. Es gab keine Ansagen, kein Bühnengeplänkel, keine Aufforderung zum Tanzen. Und das war gut so – hätte animierendes Show-Gehabe doch den beschwörenden Grundtenor zerstört. Das Ritual sprach für sich.

Gegen Ende kulminierte die Intensität. Die Trommeln gaben den Takt vor. Die Körper auf der Bühne gerieten in einen Rausch. Die Bewegungen wurden wilder, kraftvoller. Bemalte, archaisch wirkende Kriegerinnen und Krieger mit Speeren und Schilden traten hervor, stampften, brüllten, tanzten. Wild, raumgreifend, mit verzerrten Mienen, heraushängenden Zungen, weit aufgerissenen Augen – einem Veitstanz oder Haka-Tanz der Māori gleich. Schweiß glänzte auf nackter Haut, Muskeln zuckten. Es wirkte wie ein kollektiver Ausbruch – roh und ekstatisch.

Dann: ein letztes Rufen. Ein letzter Schlag. Ein letztes Ausatmen. Stille. Eine abschließende Zeremonie. Und begeisterter Applaus.

Der Auftritt von Heilung war mehr als ein Konzert. Vielleicht lag es an der Kulisse. Vielleicht an der Hitze des Tages. Vielleicht auch an der Ankündigung, ab August 2025 eine kreative und spirituelle Pause auf unbestimmte Zeit einzulegen. Doch vor allem lag es an der Darbietung selbst: ein vielstimmiges Ritual – atmosphärisch, ungewohnt, eindringlich. Ein Abend, der in Erinnerung bleibt.

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1 Kommentare

  1. says: Shan Dark

    Danke für den wunderbaren Bericht, der mich zurückbeamed zu diesem warmen Sommerabend nach Sachsen. Was für eine Kulisse! Ja, bereits das Erklimmen bleibt in Erinnerung, aber natürlich auch dieses außerordentliche Konzert – ich denke, besser kann man Heilung kaum erleben. Aber auch „The Hu“ haben mir gefallen.
    Deine Fotos sind großartig und haben zusammen mit deinen geschilderten Eindrücken mein Bild vom Konzert vervollständigt. Leider stand ich für meinen Geschmack zu weit hinten und hab nicht so viel mitbekommen. Aber ich habe es genauso empfunden. Gut, dass du das an vorderster Bühnenfront so treffend und 1a dokumentiert hast. Ein Zeitdokument, würde ich sagen. So schnell spielen die auch nicht wieder auf der Festung Königsstein.
    Liebe Grusels
    Shan Dark

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