Autumn Moon Festival 2019

Heilung beim Autumn Moon Festival

18. - 19. Oktober 2019

HAMELN, RATTENFÄNGERHALLE

Es ist Mitte Oktober. Eigentlich keine Zeit mehr für Festivals, doch das fünfte Autumn Moon im niedersächsischen Hameln ruft. Ein heftiger Regenschauer zieht gerade vorüber, als das Programm am Freitag um 15 Uhr beginnt. Als wollte der Regen nur mal Hallo sagen, ist nach zehn Minuten alles vorbei und den Rest des Tages bleibt es trocken. So macht ein Festival auch im Herbst Spaß! Das Autumn Moon jedenfalls beweist auch in der fünften Auflage, dass es sich lohnt, in die Rattenfängerstadt zu pilgern. Über fünfzig Bands auf insgesamt fünf Bühnen, dazu Lesungen und Workshops – Langeweile kommt in Hameln an diesem Wochenende nicht auf.

Erstmals hört man im Publikum auch spanische, niederländische und englische Wörter. Keine Frage, der gute Ruf dieses Festivals spricht sich herum. Viele geschätzte Dinge der letzten Jahren sind auch in diesem Jahr wieder mit dabei: Der Mystic Halloween Market mit seinen Mittelalter- und Gothicständen, eigener Musikbühne, Workshop- und Lesezelt steht auch Menschen ohne Bändchen und kostenfrei zur Verfügung. Der Markt bietet überdies bei Einbruch der Dämmerung Feuerstellen zum Aufwärmen. Es riecht den ganzen Tag über heimelig nach Gebratenem und Gebackenem. Die Auswahl an Essen und Trinken, egal ob omnivor, vegan oder vegetarisch, ist auf dem gesamten Gelände groß. Toiletten sind erneut ausreichend vorhanden und gut gepflegt, die Security ist bemüht und freundlich. Die größeren Bühnen profitieren zudem von liebevoller Dekoration.

Ein auf die Bühne projizierter Countdown führt vor Augen, wann das Festival endlich losgeht – und das tut es direkt mit einem Knall: „Frozen Plasma“ eröffnen den Reigen in der Rattenfängerhalle. Die Musiker präsentieren ihren „Weiberelectro“ mit einer soliden Show. „Es ist eine Ehre für uns, dieses wunderschöne Festival zu eröffnen“, betont Sänger Felix Marc und wird dafür vom bereits zahlreich anwesenden Publikum gefeiert.

Zu „Forgotten North“ und „Rome“ hätten wir jeweils gerne in die Sumpfblume hineingeschaut, stehen aber zweimal nur vor der Tür, weil es drinnen so voll ist, dass niemand mehr hineinkommt. Macht nichts, das alternative Angebot ist ebenfalls gut. So verschlägt es uns zu „Monsieur Pompier’s Freakshow“, die auf dem Schiff lustige Iren in irren Kostümen präsentiert. Die Schiffsstage ist noch einmal größer und gemütlicher geworden, aber leider hat sich die Sichtproblematik nicht verbessert. Eine Idee könnte leicht Abhilfe schaffen: die ersten Reihen bestuhlen, dann kann man auch von hinten etwas sehen. Beim Künstler danach spielt das Sehen aber weniger eine Rolle. Peter Wolff zaubert ganz eigene Klangwelten voller Atmosphäre auf das Schiff. Selten hat es Ambient geschafft, solch intensive Bilder auszulösen. Für alle Freunde des Genres ein heißer Tipp!

Später rocken „Coma Alliance“ die gesamte Rattenfängerhalle. Obwohl das gemeinsame Projekt von „Diary of Dreams“ und „Diorama“ bislang erst ein Album vorgelegt hat, gelingt es den erfahrenen Musikern spielend, das Publikum in den Bann zu ziehen. Derweil herrscht bei „This Can Hurt“ auf der MoonStage vergleichsweise gähnende Leere. Warum das so ist, will nicht recht einleuchten – die Dark Rocker machen ihre Sache gut und animieren das Publikum ausgiebig zum Mitgehen. Wenigstens ist dafür genug Platz vorhanden.

Weil wir es nicht schaffen, zu Beginn des Konzerts von „Corlyx“ auf dem Schiff zu sein, sehen wir von den Musikern leider nicht viel. Dafür spricht die Musik ihre eigene Sprache: Schräger Dark Pop tönt uns entgegen. Spielfreude und Experimentierfähigkeit gefallen, dazu kommt – für ein Festival immer gut – Partytauglichkeit.

Autumn Moon 2019: Der Samstag

Den zweiten Festivaltag eröffnen „Adam is a Girl“, die sich musikalisch in der Indiepop-Ecke wohlfühlen. Vor allem die sympathische Sängerin überzeugt mit ihrer tollen Stimme, aber ebenso das experimentell angehauchte Arrangement und Songwriting lassen für die Zukunft noch viel erwarten. Aktuell läuft die Kickstarter-Kampagne für das zweite Album.

Wir wechseln zu einem weiteren Highlight: „Das Ich“ spielen in der Rattenfängerhalle. Fast so legendär wie die Bühnenoutfits und Hits wie „Destillat“ sind die Synthesizer auf Rollen, die während der Performance fleißig zwischen den Musikern hin- und hergeschoben werden. Damit dabei nichts verloren geht, sind wichtige Teile mit Panzertape an den Geräten befestigt. Auch nach vielen Jahren bieten „Das Ich“ noch immer eine Show, die sich lohnt.

Bei den Mystikfolkern von „Irfan“ wird es erneut richtig voll in der Sumpfblume. Vor allem das „Dead-Can-Dance“-Cover wird ausgiebig gefeiert – und es zeigt zudem beispielhaft, welche Richtung „Irfan“ mit ihrer Musik einschlagen. Die Band ist eine der Entdeckungen des Festivals.
„Pink Turns Blue“ hatten wir uns notiert, weil sie stellenweise an „The Cure“ erinnern sollten. Auf der Bühne ist davon allerdings nur wenig zu spüren. Die gesamte Performance erscheint uns zu unaufgeregt und zu wenig mitreißend, so dass wir die Sumpfblume nach einigen Songs wieder verlassen.

Das Tageshighlight wartet in der Rattenfängerhalle auf uns. „Heilung“ präsentieren ihren mystischen Folk nicht so sehr als klassisches Konzert, sondern mehr als Performance, die sie mit einem naturmagischen Ritual einläuten. Im Laufe des Konzerts kommen nicht nur scheinbar blinde Sänger auf die Bühne, sondern auch eine Reihe von schwarz angemalten, speerbewehrten Kriegern samt ihren Schilden. Ein eindrucksvolles Bühnenbild jagt das nächste. Das ist so anders und so viel weniger eingängig als jedes bisher dargebotene Konzerterlebnis, dass wir uns wundern, dass die Rattenfängerhalle bis zum Schluss so gut gefüllt bleibt. Uns jedenfalls gefällt es. Wir stehen aber auch auf alles, das anders ist. Genau deshalb sind wir ja hier. In diesem Sinne: Volltreffer, Autumn Moon!

Den Abschluss des Tages bilden für uns „Project Pitchfork“, die wie gewohnt ab dem ersten Song nach vorne gehen und das Publikum mitreißen. Die namensgebenden Satansgabeln kommen ebenso zum Einsatz wie jede Menge Nebel, was das Fotografieren erschwert. Die Party ist es allerdings ohne Zweifel wert.

Anschließend wanken wir hundemüde in die Hotelbetten. Ein Fazit zum fünften Autumn Moon hat Bruno Kramm von „Das Ich“ parat. Er sagt: „Ganz herzlich bedanken möchten wir uns noch bei den Organisatoren dieses tollen Festivals. Es sollte viel mehr dieser kleinen, ambitionierten Festivals geben!“ Dem können wir uns nur anschließen.

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