Im August 2020 veröffentlichte Nico Schwappacher das erste Lebenszeichen seines Projektes Zwischenlichten bei YouTube. 2022 erschien das Debütalbum „Dämmerschwellen“ auf dem Label House of Inkantation, und gut drei Jahre später folgt nun das zweite Album „Leidgeboren“ auf demselben Label. Seit meinem ersten Interview Ende 2022 ist einige Zeit vergangen, die für Nico sehr ereignisreich war. Grund genug, sich erneut für ein Gespräch Zeit zu nehmen und die bisherigen Entwicklungen Revue passieren zu lassen.
Hallo Nico. Nun steht dein zweites Album kurz vor seinem Release und seit unserem letzten Interview sind auch schon gut drei Jahre vergangen. Daher möchte ich, bevor wir auf das neue Material zu sprechen kommen, kurz innehalten und über deine Erlebnisse danach reden.
Damals hattest du bereits zweimal auf dem Prophecy Fest gespielt. 2023 folgte dann dein Auftritt auf der Hauptbühne des Heidnischen Dorfs auf dem WGT in Leipzig. Wie fühlt es sich für dich an, bereits nach recht kurzer Zeit des Bestehens deines Projektes auf zwei einschlägigen Szenefestivals gespielt zu haben? Wie blickst du heute auf dein Debütalbum „Dämmerschwellen“ und die Zeit danach zurück?
Hallo Markus, ich freue mich sehr darüber, dass du mich erneut zu Wort kommen lässt. Natürlich fühlt es sich fantastisch an, nach so kurzer Zeit auf solchen Festivals spielen zu dürfen – an der Seite von Acts, die man selbst schon seit langer Zeit sehr schätzt. Eine Buchung für derartige Szene-Events nehme ich auch jetzt noch keinesfalls als selbstverständlich. Im Gegenteil: Ich mache noch immer innere Freudentänze, wenn so eine Anfrage in meinem Postfach landet. Dann muss ich mich erstmal kurz kneifen, um realisieren zu können, dass ich nun tatsächlich ein Teil dieser Szene-Musikwelt geworden bin: Ein verhältnismäßig kleiner Teil zwar – aber überhaupt irgendwo dazuzugehören, das ist doch immerhin etwas. Auch wenn ich im Nachgang oft daran zweifle, ob von diesen größeren Events tatsächlich langfristig Publikum bei meiner Musik hängenbleibt, weil sie den Rezipienten durchaus ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit abverlangt – aber das ist eine andere Geschichte.
Wenn ich an die Zeit nach „Dämmerschwellen“ zurückdenke, kommen da unmittelbar ganz viele Gefühle und Sinneseindrücke hoch: Diese einzigartige Mischung aus Adrenalin und Glückshormonen, die damit einherging, endlich wieder auf Bühnen zu treten und andere Menschen mit eigener Musik zu erfreuen. Dazu der Duft von Lagerfeuern und Räucherharz bei Schrebergarten-Konzerten und anderen Outdoor-Events. Sehnsuchtsvolle Klänge unter klaren Sommernachtssternenhimmeln. Und gute, warmherzige Gespräche. Gerade in diesem Bereich hat mich Zwischenlichten als Mensch sehr weitergebracht: meine Schüchternheit ein Stück weit zu überwinden und mich meiner Umgebung mehr zu öffnen. Dafür bin ich mir selbst und meiner Musik sehr dankbar.
Mit dem Album als solchem geht es mir aus heutiger Sicht, wie es vermutlich vielen Künstlern geht, wenn sie Rückschau halten: Manche Nummern finde ich noch immer sehr gelungen und stimmungsvoll, mit anderen hadere ich etwas. Das hat weniger damit zu tun, dass die Songs schlecht wären, sondern vielmehr damit, dass ich so viel eigene Imperfektion auf der Scheibe höre, sei es spielerisch oder in Sachen Aufnahmequalität. Letztlich ist da aber wohl Gnade angebracht: Zum einen war ich zum Zeitpunkt des Schöpfungsprozesses von „Dämmerschwellen“ seit geraumer Zeit kein aktiver Musiker mehr und im Homerecording beinahe ein blutiger Anfänger, zum anderen sind es genau diese Imperfektionen, die ein Album manchmal erst liebenswert machen. Sollten die Hörerinnen und Hörer das so empfinden, wäre ich sehr froh. Und ich wage mal zu prophezeien: Mein Urteil zu „Leidgeboren“ wird eines Tages milder ausfallen.
Auf „Dämmerschwellen“ ist der Herbst sehr präsent. Genauso wie die Zeit zwischen spätem Nachtmittag und Beginn der Nacht. Auf „Leidgeboren“ begeben wir uns nun in die Nacht hinein. Wie gestaltete sich der Songwritingprozess für dein neues Album und wie kristallisierte sich für dich die textliche Thematik heraus?
Also erst einmal: Es ist jetzt kein Konzeptalbum über die Nacht oder sowas in der Richtung. Wenn ich hier von „Nacht“ spreche, dann ist das rein metaphorisch gemeint – im Sinne von: „Nacht der Seele“. Es geht in vielen Songs auf „Leidgeboren“ ums Sterben, ums Loslassen, aber auch ums Neubeginnen – in der Gewissheit, dass Liebe letztlich die Antwort ist. In der Gewissheit, dass selbst im tiefsten Dunkel noch der „crack in everything“ existiert, durch den das „light gets in“, wie einst Leonard Cohen sang.
Angetreten bin ich das Songwriting tatsächlich mit dem Vorsatz, ein wirklich trauriges Album zu schreiben, dessen Qualität sich auch daran bemessen lässt, wie oft der geneigte Hörer oder die geneigte Hörerin zum Taschentuch greift. Ich weiß, das klingt nun fürchterlich nach gelebtem Emo-Klischee – und ich sehe schon manchen Leser mit den Augen rollen. Aber auch als Rezipient gibt mir oft besonders jene Musik sehr viel, aus der eine tiefe Traurigkeit oder zumindest eine ausgeprägte Melancholie spricht (was nicht bedeutet, dass ich nicht im nächsten Moment Motörhead oder ein Stück primitiven Death Metals auflegen oder laut Journey schmettern würde). Ich finde es wunderbar, wenn Musik als emotionaler Katalysator dient und so dabei hilft, einfach aus tiefstem Herzen drauflos zu schluchzen. Tut insbesondere Mann ohnehin zu selten.
„Dämmerschwellen“ ist damals in einer Zeit der Euphorie entstanden: Ich hatte die Corona-Pandemie dazu genutzt, mich ein ganzes Stück weit neu zu erfinden und meine inneren Verhältnisse zu ordnen. Inzwischen ist innerlich wieder ein Normalzustand eingekehrt. Mein inneres Dunkel ist dabei natürlich nicht plötzlich verschwunden, auch wenn ich Wege gefunden habe, besser damit umzugehen. Ehrlicherweise ist das Leben für mich oft ein Kampf gegen die eigenen Unsicherheiten und Selbstzweifel, gegen dieses Gefühl von Sinnlosigkeit, das mich bisweilen befällt.
Mit meiner Musik setze ich dem etwas Sinnhaftes entgegen – aber das Produkt sprüht natürlich trotzdem nicht vor Lebensfreude – auf „Leidgeboren“ noch weniger als auf „Dämmerschwellen“. Auch wenn ich weder mich als Person noch meine Musik letztlich als depressiv oder sonst irgendwie lebensverneinend bezeichnen würde, würde sich ein fröhliches Lied auf meinen Lippen wie eine Lüge anfühlen. Ich glaube, in meinen Songs gibt es viel Schönheit und Hoffnung – aber eben keinen übertriebenen Frohsinn. Was mich interessiert, sind die dunklen Geschichten, und die menschlichen Regungen, bei denen es zittert im Herzen.
Inhaltlich sind die Texte wieder deiner Heimat, dem Frankenwald, verbunden. Du vertonst drei Gedichte des Heimatdichters Christian Sümmerer. Weiterhin erzählst du Sagen und Geschichten aus dieser Region. Und in „Kold“ singst du sogar in Mundart. Wie war es für dich, wieder in diese Welt einzutauchen? Und ist auch ein Zwischenlichten-Lied jenseits dieses Gedankenkosmos in Zukunft denkbar?
Hm, da ist die Frage, wie tief ich in diese Welt auf „Leidgeboren“ tatsächlich eingetaucht bin. Eine Sage habe ich (sieht man mal von einigen Sagenmotiven im Song „Zwischenlichten“ auf „Dämmerschwellen“ ab) tatsächlich nie vertont. Und auf dem neuen Album ist der einzige Song, der sich wirklich im Kern mit einer Heimat-Thematik auseinandersetzt der Titelsong. Die anderen Lieder behandeln eigentlich sehr universelle Sujets – tun das aber, da hast du recht, auf die eine oder andere Weise vor dem Background meiner Heimatregion. Das ergibt sich für mich in vielen Fällen ganz natürlich.
Grundsätzlich habe ich mich auf „Leidgeboren“ aber ein ganzes Stück weit von reinen Heimat- und Naturliedern wegbewegt. Es geht hier vielmehr um meine Gefühlswelt und emotional aufgeladene Geschichten, die – wenn man sie abstrahiert – überall spielen könnten. Ich finde zum Beispiel: Die Frage „Bist du, Heimat, leidgeboren?“, die der Titelsong stellt, ist vor dem Hintergrund des weltpolitischen Geschehens und der daraus resultierenden Fluchtbewegungen aktueller denn je. Mord- und Jenseitsgeschichten („Kold“, „Knochenmädchen“) sind tief verwurzelt in jeder Kultur und Region. Überall werden Menschen alt und krank und sterben („Schnitzers Klage“), überall erleben sie Natur und Umwelt als Spiegelbilder ihres eigenen Innenlebens („Herr Herbst spielt Klavier“, „Sturm auf dem Berg“) und überall finden sie Erfüllung in Liebesbeziehungen („Hagebuttenmädchen“).
Außerdem musst du wissen, dass ich meinen geliebten Frankenwald bald verlassen werde, wenn ich diese Zeilen schreibe. Aus Oberfranken geht es für mich der Liebe wegen in die Nähe von Hildesheim in Niedersachsen. Wie lange meine Absenz von der geografischen Heimat dauern wird – oder ob sie gar für immer ist – wird das Leben zeigen. Inhaltlich wird sie an Zwischenlichten aber sicher nicht ganz spurlos vorbei gehen. Vielleicht wird die Ursprungsheimat damit zu einem fernen Sehnsuchtsort. Vielleicht fließt die neue Wahlheimat inhaltlich mit ein. Vielleicht ziehe ich mich aber auch einfach noch mehr auf die eigene Innerlichkeit zurück als es schon auf „Leidgeboren“ der Fall war. Dass Letzteres künftig öfter geschehen wird, halte ich für recht wahrscheinlich. Ich habe nämlich seit geraumer Zeit das Gefühl, da schlummert so einiges, das musikalisch-textlich verarbeitet werden möchte. Und nicht zuletzt ist Heimat ja nicht nur ein Ort, sondern ein warmer Fleck im Herzen, der sich immer dann bemerkbar macht, wenn man sich mit lieben Menschen umgibt.
Um es also kurz zusammenzufassen: Ja, ein Zwischenlichten-Song außerhalb dieses Kosmos ist mehr als nur denkbar – auch wenn zum Beispiel die romantisch inspirierten Natur-Metaphern bestimmt immer Teil meines Stils bleiben werden.
Lass uns kurz auf „Schnitzers Klage“ eingehen. Dieses Lied sticht für mich inhaltlich etwas heraus, da der Text sehr emotional anmutet. Ähnlich ging es mir bei „Hagebuttenmädchen“. Kannst du etwas zu deiner Inspiration hinter diesen beiden Texten berichten?
Aber klar doch. Lass mich mit dem „Hagebuttenmädchen“ beginnen, weil das wunderbar an meine vorangegangene Antwort anschließt: Das Lied behandelt metaphorisch die Beziehung zwischen meiner wundervollen Partnerin und mir. Der Text beinhaltet insofern einige Insider, deren konkreten Sinngehalt nur wir beide verstehen können – die die Hörerinnen und Hörer aber sicher als innere Bilder für sich selbst erschließen werden. Grundlage der Lyrics ist ein Märchen, das ich verfasst und meiner Freundin anlässlich unseres ersten gemeinsamen Weihnachtsfests geschenkt habe. Quintessenz: Im besten Fall sind Beziehungen nicht nur Romantik, Sex und Liebelei – sondern wesentlicher Teil eines persönlichen Reifungs-, Heilungs- und Läuterungsprozesses: „…und in strahlend weißen Gewändern kehrten sie nach Haus“.
Dem gegenüber steht mit „Schnitzers Klage“ ein sehr trauriger Song. Den Anlass, diese Nummer zu schreiben, bot der Tod meines Opas im Januar 2024. Wie ich dir schon in unserem Interview zu „Dämmerschwellen“ geschildert hatte, war er es, der mir schon als Kind Geschichten über die alten Zeiten erzählt oder bei gemeinsamen Spaziergängen Gesichter in Gesteinspartien erblickt hat – Beobachtungen, die er stets mit mir teilte. Das regte natürlich meine kindliche Fantasie an. Vor allem aber war er ein leidenschaftlicher Holzschnitzer – aus diesem Werkstoff formte er mit großer Kunstfertigkeit vor allem Tierfiguren.
Leider jagte in seinen letzten Lebensjahren eine schwere Erkrankung die nächste, sodass er einen großen Teil seiner Zeit unter Schmerzen an Krankenhausbetten gefesselt zubringen musste – dabei wollte er doch eigentlich noch so viel tun und erschaffen. Diese aufgezwungene Untätigkeit und die damit verbundene Erkenntnis, als alter und kranker Mensch weiter ins Hintertreffen zu geraten, hat ihn unterm Strich wohl am meisten belastet. Gedanklich habe ich mich auch nach seinem Tod noch intensiv mit dieser Situation auseinandergesetzt. Der Song „Schnitzers Klage“ ist die Frucht dieser Auseinandersetzung im Zwischenlichten-Kontext.
Übrigens ist „Leidgeboren“ als Album exakt diesen beiden Menschen gewidmet: meiner Partnerin, deren Stimme sogar in „Hagebuttenmädchen“ und „Kold“ erklingt, sowie meinem Großvater.
Bereits auf deinem Debütalbum waren einige Gäste zu hören: Allen voran Martin Falkenstein (Mosaic, Heilstatt) und die Musikerin Nebelwanderin. Auf „Leidgeboren“ sind nun neben Martin Falkenstein weitere namhafte musikalische Gäste vertreten. Magst du kurz vorstellen, wer diesmal alles mit beteiligt war und wie die Zusammenarbeit zustande kam?
Gerne doch – und ich versuch’s tatsächlich kurz zu halten. Auf meinen Social-Media-Kanälen kann man diese Geschichten nämlich ebenfalls ausführlich nachlesen. Eine große Rolle spielt Cellist Christopher Edward Brown alias Kakophonix aus Los Angeles. Er ist vor allem bekannt durch meine sehr geschätzten Darkfolk-Kollegen Osi And The Jupiter, aber auch als Session-Musiker für Metal-Größen wie Heljarmadr von Dark Funeral und John Haughm von Agalloch. Ihn habe ich in Gotha live gesehen, für großartig befunden und engagiert. Dann wäre da noch Thomas Helm, dessen Beiträge zu Empyrium ich seit Teenagertagen schätze. Er hat die Klavierbegleitung zu meiner Kunstlied-Hommage „Herr Herbst spielt Klavier“ auskomponiert und eingespielt. Flötistin Ella Zlotos (Saor, Ephemeral…) und ich folgen einander schon seit längerer Zeit auf Instagram. Vor zwei Jahren ergab es sich dann zufällig, dass wir einander auf dem „Hammer Of Doom“-Festival in Würzburg kurz persönlich kennenlernten und gleich beschlossen, auf meinem Album zusammenzuarbeiten.
Gitarrist Oliver Schmidt kommt aus Hof, also aus meiner Heimatregion, und spielte 15 Jahre lang bei Letzte Instanz, ist und war aber auch in vielen anderen Gruppen aktiv (sehr zu empfehlen: die fast vergessenen 90er-Jahre-Prog-Rocker Noom). Den Ausschlag zur Zusammenarbeit gab aber sein Engagement in der Rockband des Theaters Hof. Dort hörte ich ihn bei einem Tom-Waits-Abend spielen – und da mein Song „Kold“ eine Tom-Waits-Hommage ist, bot sich die Zusammenarbeit an. Um das Master von Michael Tellbach (Art Abscons), auf den wir später noch zu sprechen kommen, weiter zu veredeln, war außerdem Nathaniel Ritter (Ex-Kinit-Her, Burial Hex, Circulation Of Light) mit an Bord.
Zu den musikalischen Gästen kommen noch weitere Mitwirkende hinzu. Benjamin König (Sperber Illustrationen) und Marcus Röll (Autumn Arts) sind diesmal für die visuelle Umsetzung zuständig gewesen. Wieso hast du dich für diese beiden Künstler entschieden und wie war es mit ihnen zusammenzuarbeiten?
Den beiden bin ich wirklich unfassbar dankbar, denn sie haben dem Album und dem ganzen Drumherum ein unfassbar ansprechendes Gesicht verpasst. Benjamin König von Sperber Illustrationen versteht es in seinen Bildwelten wie aktuell kein Zweiter, das Märchenhaft-Kindliche mit dem Düster-Morbiden zu verbinden. In seinen Bildern kann man sich verlieren – und wer das zulässt, dem wird ziemlich sicher ein kalter Schauer über den Rücken jagen, im allerbesten Sinne. Ich finde, seine Illustrationen insbesondere für Gràb, Hexvessel sowie seine eigenen ehemaligen Bands Lunar Aurora und Bald Anders sind schon heute ikonisch. Das Cover zu meinem Album (das übrigens den Song „Knochenmädchen“ visualisiert) steht dem in meinen Augen in nichts nach. Selbst wenn es nicht meine eigene Musik wäre, würde ich mir eine Platte mit diesem Artwork wahrscheinlich kaufen – allein schon um mir dieses Bild schön gedruckt hinstellen zu können. Es zieht den Betrachter in die dargestellte Szene ja regelrecht hinein.
Was Benjamin König mit seiner Malerei kann, kann Marcus Röll mit seinen Zeichnungen: schaurige Folklore sichtbar machen und bei aller Düsternis auch die Behaglichkeit nicht aus den Augen verlieren. Auf diese Weise hat er jedem Song eine tolle Illustration fürs Booklet beziehungsweise für die Single-Auskopplungen verpasst.
Die Zusammenarbeit gestaltete sich in beiden Fällen mehr als unkompliziert: Ich habe meine Ideen geschildert – was daraufhin zurückkam war bereits perfekt und übertraf meine Erwartungen.
Der Mix und das Mastering des neuen Albums unterscheiden sich meiner Meinung nach stark vom Vorgängeralbum. Diesmal hast du das Rohmaterial in die Hände von Michael Tellbach (ART ABSCONs) gelegt. Er hat nicht nur prägnante Basslinien zum Album beigesteuert, sondern auch eine ganz eigene Klangwelt erschaffen. Wie war es für dich mit Michael Tellbach zusammenzuarbeiten und wie kam es dazu, dass das Album nun so klingt, wie es klingt?
„Dämmerschwellen“ klingt aus meiner Sicht zugleich sehr roh und sehr zerbrechlich. Das liegt an der eigensinnigen, auf alt getrimmten Klangsignatur, die Martin Falkenstein (der die Scheibe seinerzeit abgemischt hat) auch bei seiner eigenen Band Mosaic kultiviert hat. Das hat auf dem Debüt ein Stück weit den Zauber des Anfangs unterstrichen und eine ganz eigene, etwas unwirkliche Atmosphäre geschaffen. Noch einmal hätte ich das so aber nicht haben wollen – zu meinem deutlich komplexeren neuen Material hätte das nicht gepasst.
Die Musik, die ich selbst gerne höre, klingt auch meistens anders: Oft mag ich es nicht, wenn Produktionen zu artifiziell daherkommen. Ich bin in akustischer Hinsicht ein großer Freund von Wärme, Direktheit und Authentizität. Ich stehe zum Beispiel total auf die alten Metal-Produktionen, die Martin Birch für Bands wie Iron Maiden, Deep Purple, Rainbow, Black Sabbath oder Blue Öyster Cult abgeliefert hat. Und während ich diese Antwort hier schreibe, fällt mir ins Auge, dass der gute Mann auch schon mal bei Fleetwood Mac hinter den Studioreglern saß. Wenn auch nicht bei jenem Album, das ich Michael vor dem Abmischen als klangliche Idealvorstellung nannte: dem Überklassiker „Rumours“. Da hat wirklich jedes Instrument seinen Platz – alles klingt sehr direkt und zugleich darf alles atmen. Nun möchte ich „Leidgeboren“ freilich nicht mit so einem Götterwerk auf eine Stufe stellen – aber ich denke, die Referenz macht klar, wohin die Reise gehen sollte.
Zusammen mit Michael ein Stück auf dieses Ideal zuzugehen, war für mich in mancherlei Hinsicht eine ganz besondere Erfahrung. Zum einen mag ich den Umstand, dass er – gerade was Effekte anbelangt – weitgehend analog arbeitet. Das kam meinem Ansinnen, einen warmen und authentischen Sound hinzubekommen natürlich entgegen. Zum anderen ist Michael aber auch ein sehr besonderer Mensch, der mit ganz feinen Antennen für die Schwingungen um sich herum ausgestattet ist. Außerdem empfinde ich seine Gedanken zu Kunst und Leben als sehr weise.
Über fast ein halbes Jahr hinweg haben wir das Mixing bis zum Exzess betrieben. Immer wieder habe ich Michael lange Listen mit Änderungswünschen vorgelegt. Das ging in manchen Fällen bis hin zur Lautstärke eines einzelnen Atemgeräuschs. Und als wir dann mit meinen Revisionen durch waren, kam Micha mehr als nur einmal noch mit eigenen Optimierungswünschen um die Ecke. Unterm Strich kann ich heute sagen: Der zermürbende Prozess hat sich gelohnt – denn unter das Endergebnis setze ich gerne dick und fett meine Unterschrift. Micha sicher auch.
Bei der Arbeit an diesem Album sind wir einander aber ebenfalls als Menschen nahegekommen und haben viel voneinander lernen dürfen. Das liegt vor allem daran, dass wir beide ähnliche Selbstzweifel und einen ähnlichen Hang zum Perfektionismus haben. Michael ist im Umgang damit natürlich ein ganzes Stück weiter als ich – schon aus Gründen des Alters. Dennoch gab es hier und da Reibungspunkte – einfach, weil wir einander oft im anderen gespiegelt sahen. Und wer ist schon immer glücklich mit seinem eigenen Spiegelbild? Trotzdem hinzuschauen – darin liegt der Schlüssel zur Selbsterkenntnis. Ich denke, ich darf sagen, dass wir aus diesem Prozess erst recht als Freunde herausgegangen sind.
Ich finde im Songwriting und der Produktion stellt „Leidgeboren“ eine Weiterentwicklung zu „Dämmerschwellen“ dar. Es gibt ruhige, morbide und auch poppige Momente. Da wo „Dämmerschwellen“ noch etwas kantiger und knarziger klang, ist „Leidgeboren“ aus meiner Sicht etwas eingängiger und klarer geworden. War das ein bewusster Schritt oder hat sich das im Laufe der Entstehung ganz natürlich ergeben?
Wie das aus rein klangtechnischer Sicht zustande kam, habe ich ja gerade erläutert. Dazu sei ergänzend noch gesagt, dass ich mich natürlich als Produzent meiner eigenen Musik weiterentwickelt habe. Ich bin sicher noch immer alles andere als perfekt und kann in diesem Bereich nicht über ein breites Fachwissen verfügen, allerdings habe ich mit der Zeit doch immer mehr herausbekommen, wie ich welches Instrument im mir zur Verfügung stehenden Raum aufnehmen kann. Neues Equipment wie bessere Mikros, echte Trommeln und ein Analog-Synthesizer haben ihr Übriges dazu beigetragen.
Du hast aber natürlich völlig recht: Auch auf das Songwriting müssen wir hier eingehen. Da ist sicherlich der Fakt interessant, dass der Schreibprozess für „Leidgeboren“ eigentlich schon mit „Duldsamkeit“ begonnen hat. Dieser Song, der dann die Single für „Dämmerschwellen“ wurde, sollte eigentlich erst auf dem zweiten Album landen. Allerdings war dann bei der Spielzeit des Debüts noch Luft nach oben, sodass Martin und ich uns dafür entschieden, die Nummer vorzuziehen. Ich denke, diesen Umstand hört man auch: „Duldsamkeit“ ist im Albumkontext von „Dämmerschwellen“ eindeutig die reifste und musikalisch komplexeste Nummer.
An diesem Punkt habe ich dann einfach weitergemacht. Als erster Song ist „Leidgeboren“ entstanden, dessen Grundspuren ich – wenn ich mich recht erinnere – bereits aufgenommen hatte, bevor „Dämmerschwellen“ erschienen ist. Dass ich mir just zu dieser Zeit ein paar neue Spieltechniken auf der Akustikgitarre aneignete, schadete der Weiterentwicklung ebenfalls nicht und fügte dem Klangspektrum weitere Nuancen hinzu. Insofern hat sich das alles ganz natürlich ergeben, würde ich sagen.
Allerdings bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich selbst das Album als Ganzes so „eingängig“ und „klar“ finde wie du. Freilich, der Titelsong ist ziemlich poppig geraten (auch wenn er nicht einmal einen Refrain im klassischen Sinne hat – was übrigens für die meisten meiner Songs gilt). Aber da ist auch die ruppige Tom-Waits-Hommage „Kold“, mit „Herr Herbst spielt Klavier“ ein klassisches Kunstlied, die Ambient-Lyrik-Rezitation „Einmal im Leben“, mit „Hagebuttenmädchen“ ein Zehnminüter zum Abschluss … Das finde ich in Summe doch eher gewagt und eklektisch. Vielleicht kann ich aber auch einfach nicht aus meiner Haut – und bin so eine Hitmaschine, dass ich selbst unter dieser Prämisse noch Ohrwürmer produziere (zwinker, zwinker).
Bei dem neuen Album kannst du dir einen langgehegten Wunsch erfüllen. Es wird nicht nur als CD und als Download erscheinen, sondern auch auf Vinyl. Dieses Vinyl ist dank eines Crowdfundings und der großen Unterstützung deiner Fans umsetzbar geworden. Wie war für dich die Phase des Crowdfundings und hast du von Anfang an damit gerechnet, dass du so eine große und treue Anhängerschaft hast, dass du die Summe für dieses besondere Projekt zusammenbekommst?
Nein, damit habe ich überhaupt nicht gerechnet. Ganz im Gegenteil: Vorher bin ich eher davon ausgegangen, mit diesem Unterfangen heillos und blamabel baden zu gehen. Zum einen leben wir in schwierigen Zeiten, in denen die Leute bei Luxuskäufe verständlicherweise zurückhaltend sind, um ihre Kohle zusammenzuhalten. Zum anderen hatte ich keine richtige Vorstellung davon, wie groß der Kreis meiner Fans (wie seltsam, dieses Wort überhaupt zu verwenden) tatsächlich ist.
Insbesondere, dass einige Menschen dazu bereit waren, dreistellige Summen in die Hand zu nehmen, um eine Songpatenschaft zu übernehmen oder gar ein Wohnzimmerkonzert zu buchen, hat mich ein ums andere Mal überrascht und berührt. Da konnte ich mich jeweils nur unterwürfigst bedanken – denn mir fehlten die Worte. Vorab als Privatperson solche Summen in ein Produkt zu investieren, das man noch gar nicht näher kennt, ist ja auch ein riesiger Vertrauensbeweis! Jedem und jeder, der oder die sich beteiligt hat, bin ich unfassbar dankbar! Das hat mir nicht zuletzt gezeigt, wie viel meine Musik anderen Menschen bedeutet.
Die Phase des Crowdfundings fand ich tatsächlich erstaunlich einfach: Klar, ich habe die Aktion immer wieder auf Social-Media beworben und verlinkt. Davon ausgehend war es aber fast ein Selbstläufer. Über die Zeit ist die generierte Summe einfach nach und nach immer weiter gewachsen, sodass unterm Strich schließlich deutlich mehr als 3000 Euro standen. Das sind Hunderte Euro mehr als ursprünglich angedacht waren – Geld, das nun selbstverständlich im Rahmen von Zwischenlichten sinnvoll verwendet wird. Das finde ich ohne jegliche Unterstützung durch irgendwelche größeren Szene-Medien schon mehr als beachtlich.
Auf der CD wird eine Coverversion vom Lied „Das Feuerordal“ von Rome zu hören sein. Worin lag der Reiz für dich, dieses Lied zu covern? Hattest du Gelegenheit Jerome Reuter deine Version seines Liedes zukommen zu lassen und hast du Rückmeldung von ihm bekommen?
„Das Feuerordal“ war eines der Lieder, mit denen Zwischenlichten überhaupt erst angefangen hat. Kurz vor der Corona-Pandemie war meine damalige Beziehung in die Brüche gegangen und ich versuchte, die Leere zu füllen, indem ich nach Jahren der Pause wieder öfter sang und die Gitarre in die Hand nahm. Dabei kamen zuerst Coversongs heraus: „Lioness“ von Songs: Ohia (beziehungsweise 40 Watt Sun), „Twelve Stars And An Azure Gown” von Atlantean Kodex – und eben „Das Feuerordal“ von Rome, dessen Text ich ins Deutsche übersetzt hatte. Er passte in dieser Zeit wunderbar zu meinem eigenen Herzschmerz und meiner eigenen romantischen Frustration. Schließlich lud ich einen Schnipsel meiner Neuinterpretation (die damals noch ein wenig anders daherkam als heute) auf meinem privaten Instagram-Kanal hoch. Ich glaube, dieses Cover war es, das Martin Falkenstein dazu veranlasste, mich zu einem Auftritt in seinem Gothaer Schrebergarten einzuladen. Damit nahm Zwischenlichten seinen Lauf – und was dann geschah, ist Geschichte.
Jedenfalls entwickelte sich „Das Feuerordal“ in der Anfangsphase des Projekts zu einem Publikumsliebling bei meinen Livekonzerten. Und so beschloss ich, angesichts der euphorischen Resonanz, dem Lied auch eine Studioversion zu verpassen. Die war für die Aufnahmen von „Leidgeboren“ eine Art Testballon: zum ersten Mal einen Song mit echter Trommel aufnehmen, die neuen Mikros ausprobieren, mit dem Analog-Synthesizer herumspielen… Das Ergebnis, das dabei herauskam, finde ich so überzeugend, dass ich es meinen Hörern nicht länger vorenthalten möchte.
Jerome Reuter habe ich meine Version selbstverständlich geschickt, denn um sie mit meinem deutschen Text veröffentlichen zu dürfen, musste ich sie erst von ihm freigeben lassen – so ist es Usus. Jerome war so freundlich, die Nummer sofort freizugeben, also wird er sie nicht komplett schrecklich gefunden haben. Er hat sich in diesem Zuge aber nicht näher dazu geäußert. Vielleicht komme ich ja eines Tages noch einmal mit ihm darüber ins Gespräch.
Übrigens wird der Song nicht nur als Bonustrack auf der CD enthalten sein, sondern auch noch als Stand-Alone-Single auf den gängigen Streamingdiensten erscheinen.
Du hast ja schon einiges erreicht: Auftritte auf dem Prophecy Fest, auf dem Heidnischen Dorf beim WGT, beim Schwarzen Herbst, bei den Nocturnal Culture Nights, als Support für Death in Rome, zwei Alben, ein eigenes Vinyl, ein Lied zusammen mit Thomas Helm (Empyrium, Noekk) und sogar schon einige Kollaborationen mit anderen Bands. Wovon träumst du noch? Was möchtest du noch mit Zwischenlichten erreichen?
Eine schwierige Frage. Klar, ich gehe Zwischenlichten durchaus ambitioniert an, stecke da viel Zeit, Herzblut und Hirnschmalz rein. Aber irgendwann habe ich doch gelernt, dass es nicht gut ist, seine Träume und Ziele zu hoch zu stecken. Das führt nur entweder zu Enttäuschung oder dazu, krampfhaft den eigenen Messlatten hinterher zu jagen (was ich ohnehin eher zu oft als zu selten tue).
Spontan fällt mir aber ein: Ich würde gerne mal ein paar Tage länger mit irgendjemandem auf Tour gehen – einfach, um diese Erfahrung einmal gemacht zu haben. Obwohl ich als ruhebedürftiger, introvertierter Mensch am Ende wahrscheinlich heilfroh wäre, wieder zu Hause zu sein. Außerdem wäre ich sehr froh darüber, eines Tages auch außerhalb der Neofolk-Nische etwas mehr Zuspruch zu erfahren. Klar bin ich sehr dankbar dafür, dort so warmherzig aufgenommen zu werden – ich bin ja selbst Fan vieler Acts aus dieser Szene und es haben sich dort Freundschaften ergeben. Ich strebe zwar nicht nach irgendeinem großen Mainstream-Erfolg, aber oft denke ich mir doch: Eigentlich steckt in diesen Liedern das Potenzial, deutlich mehr Menschen außerhalb nur einer einzigen Bubble zu berühren.
Und das ist auch, was ich letztlich erreichen möchte: Menschen berühren. Emotional in Verbindung gehen. Resonanz spüren. Das ist der Kern. Alles andere ergibt sich – oder eben nicht.
Ich hatte dich in unserem letzten Interview im Dezember 2022 gefragt, wie Zwischenlichten für dich riecht. Darauf hattest du wie folgt geantwortet: „Ganz klar nach selbst gesammeltem Fichtenharz aus dem Frankenwald. Und nach Beifuß – für die innere Reinigung, die ein kreativer Schaffensprozess im Idealfall darstellt. Nach Styrax – für die Sinnlichkeit und geistige Frische. Und vielleicht nach Nelken und Zimt – für die Behaglichkeit.“
Würdest du heute die gleiche Antwort geben, oder haben sich noch einige Duftarten in die Räuchermischung mit eingereiht?
Da musste ich erneut kurz drüber nachdenken – und ich muss sagen: Ich finde meine Antwort von damals heute noch erstaunlich stimmig. Das werte ich mal als gutes Zeichen, im Sinne von: Ich habe offenbar jene Werte nicht aus den Augen verloren, die den Herzenskern von Zwischenlichten ausmachen. Der Rauch meiner Mischung entsteigt nun aber deutlich öfter in die Nachtluft. Die hat an sich schon einen ganz balsamischen Duft – zumindest manchmal. Wenn die Welt zur Ruhe kommt und eine angenehme Kühle und Stille sich über alles legt, dann steigen die würzigen Essenzen der Erde auf: Dem, der offenen Sinnes ist, lassen sie auf ganz neue Art in Verbindung gehen mit der zugleich schrecklichen und nährenden Schönheit unserer Welt.
Nico, ich danke dir für das interessante Interview und wünsche dir für dein Albumrelease alles Gute. Hast du noch letzte Worte an die Leser*innen?
Fühlt – fühlt in euch selbst und die Menschen, die euch umgeben, hinein! Hört einander zu! Lasst euch leiten von Sanftmut, Verständnis und Empathie in dieser verrückten, hasserfüllten Zeit! Danke für deine Fragen, lieber Markus!
Das neue Zwischenlichten-Album „Leidgeboren“ erschien am 20.09.2025 bei House of Inkantation und kann unter anderem via Bandcamp bestellt werden.
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Fotos: Frank Wunderatsch