Zwischenlichten – Folk zwischen Gestern und Heute

Im (Neo)Folk gibt es viele Projekte, die sich mit heimatlicher Folklore beschäftigen und diese in Wort und Ton kleiden. Mit Zwischenlichten tritt der junge Musiker Nico Schwappacher aus seinem Heimatort Helmbrechts hervor und bringt vielfältige folkige Lieder mit, die vom einstigen Leben im Frankenwald berichten. Doch anstatt verstaubt und neu aufgewärmt zu klingen, verbinden seine Stücke den Charme alter Volksweisen mit modernen Klangfarben und Instrumenten. Die allgegenwärtige Akustikgitarre trifft auf Perkussion, Xylofon, Akkordeon und Keyboards. Oftmals tritt Nico zusammen mit Martin van Valkenstijn (unter anderem Mosaic) unter dem Banner „Nordwald Musik“ auf. Dieser wurde just in die Arbeiten an Nicos Debütalbum mit eingebunden und trug neben grausigen und kräftigen Stimmen auch Bass, Lead-Gitarren und Glockenspiel bei. Durch abwechslungsreiche Klanglandschaften ertönt dazu Nicos charaktervolle Stimme; mal singend, mal flüsternd, mal hauchend.

Für T-Arts stand mir der Multiinstrumentalist und begnadete Sänger Rede und Antwort und entführte mich in seine Heimatregion und sein musikalisches Schaffen.

Nico, dein Debüt „Dämmerschwellen“ ist nun erschienen und du konntest es bereits bei einigen Auftritten in der CD-Ausführung direkt anbieten. Wie fiel bisher das Feedback aus?

Ich habe bisher nichts Negatives über das Album gehört. Die Stimmen waren alle positiv bis überschwänglich, was mich natürlich außerordentlich freut. Aber vielleicht schweigen die, die mit all dem so gar nichts anfangen können, bislang auch nur. Ehrlicherweise fühle ich mich sehr geschmeichelt davon, dass es doch einen ganz ansehnlichen Kreis an Personen gibt, die meine Arbeit wertschätzen, schön finden und teils auch für sich selbst etwas daraus ziehen können. „Dämmerschwellen“ ist ja vor allem gedacht als Zufluchtsort vor der schnelllebigen Welt, mit der wir uns alle Tag für Tag konfrontiert sehen. Und als solchen nutzen diejenigen, die mein Schaffen goutieren, meine Musik auch, soweit ich das mitbekomme. Da freuen mich selbstverständlich Kommentare unter dem Youtube-Stream des Albums ganz besonders, die das Prädikat „unfathomably beautiful“ ausstellen oder von Musik sprechen, „where you can rest your weary soul for a moment“.

Denn das ist ja genau das, worum es auch beim historischen „Zwischenlichten“ meiner oberfränkischen Vorfahren ging: In der Dämmerstunde machten die armen Handweber und Bauern des Frankenwalds eine Art kurzen Feierabend, erzählten sich Geschichten, sangen Lieder, tratschten. Der Helmbrechtser Heimatdichter Otto Knopf sagte einst: „Das Zwischenlichten ist ein Atemholen der Seele“. Insofern bin ich immer höchst erfreut über Rückmeldung dieser Art.

Hattest du mit so einer großen Resonanz gerechnet?

Gut, dafür müsste man erst einmal definieren, was eigentlich „groß“ ist. Wir bewegen uns hier schließlich in einer musikalischen Nische, die in erster Linie eine Art erlesenen Personenkreis anspricht – auch wenn ich meine Musik, by the way, für durchaus eingängig und fassbar genug halte, um auch außerhalb der Sparte gut konsumbierbar zu sein. Zudem lasse ich mich nicht allzu gerne in eine vorgefertigte Schublade stecken. Oder zumindest: nicht in nur eine.

Nein, ich habe den Ist-Zustand anfänglich nicht kommen sehen. Denn womit rechnet man schon, wenn man eine Unternehmung wie Zwischenlichten aus der Taufe hebt? Ich bin ein Mensch, der sich viel hinterfragt und an der eigenen Hände Arbeit stets Zweifel hegt. Insofern hätte ich die Möglichkeit durchaus in Betracht gezogen, dass meine Lieder am Ende für kaum jemanden einen Wert haben außer vielleicht für mich selbst. Aber so kam es nun einmal nicht: Umso schöner!

Du trittst manchmal solo auf. Dann wiederum zusammen mit Martin van Valkenstijn unter dem Banner „Nordwald Musik“ oder auch zusammen mit ihm nur als Zwischenlichten. Je nach Besetzung erklingen deine Lieder in verschiedenen Variationen und selbst auf dem Album klingen sie nochmal anders als live. Worin liegt für dich der Reiz, deine Stücke in so verschiedenen Klanggewändern erklingen zu lassen? Favorisierst du eine bestimmte Spielweise gegenüber einer anderen?

Meine Songs in verschiedenen Klanggewändern zu präsentieren, war keine bewusste Entscheidung, sondern hat sich ganz natürlich so ergeben. Es ist der Natur eines – je nachdem, wie man es betrachten möchte – Solo- oder Duo-Projekts geschuldet. Da ergeben sich natürlich beim Recorden des Songmaterials im Homestudio dank Mehrspuraufnahme ganz andere Möglichkeiten als auf der Bühne mit ein oder zwei Leuten. Diese Möglichkeiten nutze ich sehr gerne, denn ich kann mich wunderbar darin verlieren, an Details zu tüfteln und immer noch eine weitere Stimme hinzuzufügen. Ich mag es, wenn beim Hören eines Albums auch im Hintergrund das eine oder andere passiert. So etwas regt dazu an, sich in die Songs hinein zu fuchsen. Es ist der Langzeitwirkung sehr zuträglich, auch nach mehreren Durchläufen noch neue Facetten entdecken zu können. Außerdem mag ich den Effekt der Wall-of-Sound, mit dem ich hier in Ansätzen spiele. Ich liebe es, wenn ein dichtes Arrangement mich einhüllt wie eine warme Wolldecke.

Andererseits möchte ich aber auch die besondere Intimität nicht missen, die durch die Reduktion auf der Bühne entsteht. Das Minimale zwingt die Zuhörer dazu, genau hinzuhören, da alles andere das fragile Klanggespinst in Stücke reißen würde. Sie hören dann auf die Texte und die hintergründigen Ansagen, die ich manchen Liedern voranstelle.

Was die Frage nach den Solo- und den Duo-Konzerten anbelangt, so würde ich sagen: Beides hat seinen Reiz. Ich liebe es, gemeinsam zu musizieren und mich ganz in die Dynamik des Zusammenspiels hineinfallen zu lassen, die schönen post-rockigen E-Gitarren-Linien zu genießen, die Martin einigen meiner Songs für die Live-Fassung verpasst hat. Die Solo-Shows hingegen haben den Vorzug der größeren Freiheit: Spiele ich alleine, kann ich mehr variieren, mit Tempi, Phrasierungen und anderen musikalischen Parametern spielen, ohne dass es einen zweiten Mann aus dem Konzept bringen würde. Manchmal kommt es vor, dass sich Veranstalter dezidiert die eine oder die andere Variante wünschen – was ich verstehen kann, da sicherlich beides einen eigenen Reiz hat.

Rein musikalisch besteht zwischen einer Nordwald-Musik-Show und einer Zwischenlichten-Duo-Show in Bezug auf mein eigenes Material kein Unterschied. Es kommt lediglich noch Material von Mosaic dazu, das wir dann ebenfalls größtenteils im Duo präsentieren. Die Songs beider Projekte erklingen – je nach Event – entweder abwechselnd oder als zwei separate Blöcke. Für mich hat das den Vorteil, einmal in eine komplett andere Rolle schlüpfen zu dürfen. Bei Zwischenlichten singe ich sehr „schön“ und konventionell, bin dazu noch stark auf mein Gitarrenspiel fokussiert. Die Songs von Mosaic eröffnen mir hingegen die Möglichkeit, mehr aus mir heraus zu gehen, exaltierter zu performen. Hier darf ich auch mal schreien, kreischen, irre lachen, beinahe jodeln, verschiedene Gesangstechniken ausprobieren und martialisch die Trommel schlagen. Neben all dem zwischenlichten’schen Schöngeist macht es auch mal gehörig Spaß, die Sau rauszulassen und zu rocken.

Über deine Social-Media-Kanäle konnte man dir aktiv bei der Arbeit zusehen. Du hast sehr viele Instrumente selbst eingespielt und auch Gastbeiträge von Naomi Honda an der Violine, Alexander Mosena am Kontrabass und der Nebelwanderin am weiblichen Gesang dabei. So wuchsen die groben Klangskelette langsam zu richtig vollen Liedern heran. Wie war es für dich, das Album aufzunehmen?

Es war ein großes, abenteuerliches Ausprobieren – mit dem Leitprinzip „Trial and error“. Ich habe mich definitiv nicht hingesetzt und Melodielinien auf Notenpapier gekritzelt. Was vor den Aufnahmen bereits stand, waren die Texte, die Gesangsmelodien und eine grundlegende Gitarrenbegleitung. Letztere habe ich immer zuerst eingespielt. Von da an nahm ich Schicht um Schicht auf, bis sich das Gesamtbild jeweils zu einem Arrangement fügte, das ich für dicht, vielschichtig und ausdrucksstark genug hielt, um der Stimmung des Songs gerecht zu werden und einen gewissen Eindruck zu schinden.

Ich würde übrigens nicht behaupten, an all den über die Gitarre hinaus eingespielten Instrumenten besonders firm zu sein. Paradebeispiel: Akkordeon. Hier habe ich schlicht und ergreifend gespielt, was mir intuitiv aus den Fingern floss, sich harmonisch und melodisch richtig anfühlte – und das so oft, bis es mir zur Aufnahme tauglich erschien. Auf diese Weise fügte sich das große Puzzle im wahrsten Sinne des Wortes spielerisch zusammen.

Die Selbstzweifel ob meiner bewussten Stümperei habe ich im Zuge dessen mal mehr mal weniger erfolgreich beiseite zu schieben vermocht. Manchmal ist es vielleicht sogar gut, nicht in allem, was man tut, Experte zu sein. Man erliegt dann weniger seinem eigenen, oft überzogenen Perfektionsstreben, sondern folgt allein der Intuition, kommt ins Fühlen. Auf diese Weise ergeben sich zuweilen ungewöhnliche, kreative Ansätze.

Zu den Gastbeiträgen kam es deshalb, weil ein ungeübtes Experimentieren auf Geige und Kontrabass doch allzu rasch nach Katzenjammer klingt – ich aber unbedingt hier und da diese feinseidene klangliche Textur einbringen wollte, die nur echte Streicher erzeugen können. Naomi kenne ich noch entfernt aus Schulzeiten – da war sie bereits als Ass an der Geige bekannt. Alexander Mosena, der auf „Erwachen“ den Kontrabass spielte, kommt aus meinem Heimatort Helmbrechts und ist hier – sehr passend zur Thematik meiner Musik – Vorsitzender der Ortsgruppe des Frankenwaldvereins. Er hatte mich eines Tages auf Facebook angeschrieben und erzählt, dass er selbst gerne einmal Lokalsagen in Musik kleiden würde. So kam dann eines zum anderen.

Wie war es für dich, das Material zum ersten Mal in seiner Gänze zu hören?

Sicherlich weniger spektakulär, als man sich das so vorstellen mag. Man hat als Musiker im Prozess des Aufnehmens und Mischens ja immer wieder mit dem eigenen Material zu tun und kennt es am Ende in- und auswendig. Am schönsten waren eigentlich die Momente, in denen ich einen fertigen Song, noch ohne finalen Mix, in der Aufnahmesoftware anhörte und mir sagen konnte: „Das passt so!“ Aber klar: Ich spürte schon auch eine tiefe Befriedigung, als ich zum ersten Mal die fertigen Masters von Markus Stock hörte und feststellte: „Das klingt jetzt alles viel fetter und runder!“ Klar, dass man als Künstler immer wieder kleine Ungereimtheiten findet, die man im Nachhinein noch gerne gefixt oder anders gelöst hätte. Doch im Großen und Ganzen kann ich überzeugt sagen: Ich bin zufrieden!

Und welchen Beitrag leistete Martin beim Songwriting und der Produktion?

Beim Songwriting als solchem keinen, vom einen oder anderen hilfreichen Tipp abgesehen. Musik und Texte habe von vorne bis hinten ich entweder geschrieben oder herausgesucht. Auf die von mir ansonsten bereits fertiggestellte Musik spielte Martin schließlich seine Bass-Linien. Eine Ausnahme ist der Song „Lichtmesstag“: Hier habe ich nur die perkussiven Elemente und die Harmonien vorgegeben. Aus diesem Fundament bildete Martin dann Loops und improvisierte schließlich einen volkstümlichen Text darüber. Grundlegenden Einfluss auf die musikalische und lyrische Gestaltung nahm er also nur hier. An der Produktion hatte er trotzdem einen maßgeblichen Anteil: Er zeichnete für das Abmischen der Spuren verantwortlich, die ich ihm anlieferte. Ich musste seinen Mixes dann nur noch meinen Segen geben und hier und da ein paar Kleinigkeiten anmerken.

Für mich klingen an manchen Stellen deines Albums auch Einflüsse von Jännerwein, Fräkmündt, Sol Invictus, Tenhi und Gerhard Gundermann durch. Gab es Musik, die dich beim Songwriting besonders beeinflusst hat?

Keinem der von dir genannten Einflüsse würde ich widersprechen. Die schwelgerischen Chor-Arrangements von Jännerwein, der alpine Urfolk von Fräkmündt, der sich besonders in „Lichtmesstag“ spiegelt, der charakteristische, oft bewusst etwas undefinierte E-Bass Martins, der in seiner Klanggestaltung tatsächlich – bei allem Schöngeist – manchmal an das trocken-brachiale Moment denken lässt, das Bassist Karl Blake bei Sol Invictus einbringt, und die schummrige Naturmystik von Tenhi – alles Dinge, die ich bei mir bis zu einem gewissen Grad wiederfinde.

Besonders freut mich, dass du den famosen Gerhard Gundermann erwähnst. Viele seiner Lieder treffen mich bis ins Mark: „Trauriges Lied vom sonst immer lachenden Flugzeug“, „Fliegender Fisch“, „Vater“, „Linda“, „Ich mache meinen Frieden“ – um nur einige Favoriten zu nennen. „Und willst du reich sein, dann liebe dir ein Kind. Doch lass es weich sein, so butterweich sein, wie deine Alten nie gewesen sind.“ Diese Worte aus seinem Song „Und musst du weinen“ haben tatsächlich eine tiefere Bedeutung für mich. Seid sanft und wagt zu träumen, diese Botschaft liegt ja auch Zwischenlichten zugrunde, so wie ich generell nach ihr zu leben versuche. Überhaupt schimmern bei Zwischenlichten immer wieder Anklänge an klassische, deutschsprachige Liedermacherei durch: Ich finde, der Song „Erwachen“ hat richtiggehend seine Reinhard-Mey-Momente.

Natürlich kommen viele stilistische Elemente aus den Bereichen Dark- und Neofolk. Hier würde ich insbesondere noch Forseti, Nebelung, Sonne Hagal, Rome, meine Freunde von Stein und diverse Akustik-Sachen von Empyrium ins Feld führen. Etwa die breit angelegten Synthesizer-Flächen in Verbindung mit akustischer Gitarre und Chimes – das ist so bei vielen Genre-Acts in ähnlicher Form zu finden und durchaus als bewusste Hommage an diese von mir heiß geliebte Stilistik gedacht. Dabei habe ich jedoch stets versucht, nicht auf ausgetretenen Pfaden zu wandeln und – Künstler-Klischee komm raus – zur Epigone zu verkommen. Insofern sind alle Einflüsse höchstens Annäherungen. I prefer to do things the Nico-way.

Mein Stiefbruder sagte neulich zu mir, er fühle sich in manchen Momenten auch an The Cure und Marillion erinnert. Da ist etwas dran, denn ich verehre beide Bands abgöttisch – so etwas schlägt sich mindestens unterbewusst nieder. In den recht offenen Harmonien in den Instrumentalparts des selbstbetitelten Songs „Zwischenlichten“ musste ich an 70er-Jahre-Folk- und Prog-Rock denken – und damit letztlich auch an Opeth. Natürlich nicht hinsichtlich der spieltechnischen Fähigkeiten, sondern allein hinsichtlich der erzeugten Atmosphäre. Auch Acts aus den Bereichen Post Rock und Shoegaze wie Sigur Rós, Cocteau Twins, Explosions In The Sky, Slowdive und Alcest liegen mit ihren ätherischen Klanglandschaften sicherlich nicht immer ganz fern. Oder Singer-Songwriter wie Christy Moore und Glen Hansard, die der irischen Folk-Tradition nahestehen. Oder so manches aus dem Bereich des atmosphärischen Black Metal – Agalloch allen voran. Oder die Kunstlieder der romantischen Epoche. Hinsichtlich der behandelten Themen war das Schaffen von Mosaic essenziell. Umso schöner für mich, dass Martin nun auch bei Zwischenlichten mit an Bord ist.

Du merkst: Hier schreibt nicht nur ein Musiker, sondern auch ein glühender Musik-Fan und Plattensammler, der diese Liste noch endlos fortführen könnte, es aber lieber dabei belässt, um es mit dem Namedropping-Exzess nicht zu weit zu treiben.

Trotz der Tatsache, dass es dein Projekt noch gar nicht so lange gibt, hast du einige Meilensteine zu verzeichnen. Dein Album wurde von Markus Stock in der berühmten Klangschmiede Studio E gemastert, du hast bereits zwei Mal beim Prophecy Fest gespielt und nun erschien dein Album in Zusammenarbeit mit dem House of Inkantation über den Eisenwald-Vertrieb. Wie fühlt sich dieser Weg, den du bisher gegangen bist, an?

Ich muss ganz klar sagen: Das alles ist ein wahr gewordener Traum – und ich selbst als sehr zweifelnder Mensch hätte am allerwenigsten damit gerechnet, dass es so kommen würde. Schon von Kindesbeinen an wollte ich Musik aufnehmen und auf Bühnen stehen, etwas erschaffen, das mir und anderen etwas bedeutet. Es ist nun nicht so, dass ich das in der Vergangenheit nicht schon in der einen oder anderen Form umgesetzt hätte, als Sänger einer Rockband und vor allem als Singer/Songwriter – auch in größerem Rahmen und durchaus medienwirksam. Irgendwann hatte ich jedoch leider das Selbstvertrauen und die Motivation verloren, die notwendig gewesen wären, um das weiterzuführen.

Nun also der Neuanfang mit Zwischenlichten. Hiermit erlebe ich es zum ersten Mal, wie es ist, auch über meine Heimatregion hinaus, die ich hier paradoxerweise so eindeutig besinge wie nie zuvor, eine gewisse Aufmerksamkeit und Anerkennung zu erfahren, einen kleinen Kreis an Leuten zu haben, die man durchaus als Fans bezeichnen könnte – so seltsam es sich für einen selbst auch anfühlt, diesen Begriff zu verwenden. Das tut unfassbar gut. Gerade die beiden Auftritte beim von dir bereits erwähnten Prophecy Fest fühlten sich sehr besonders an. Schließlich haben viele Bands, die bei Prophecy Productions unter Vertrag stehen, eine wesentliche Rolle in meiner musikalischen Sozialisation gespielt. Mit Empyrium, Dornenreich und Helrunar im Ohr bin ich schon als ganz junger Mensch durch die heimischen Wälder gestromert. Mich mit solchen Acts auf einem Festival-Shirt zu sehen, macht mich immer wieder im besten Sinne stutzig. Klar, dass mir da auch die Tatsache schmeichelt, dass Markus Stock seine talentierte Hand an meine Musik gelegt hat – wenngleich es sich hierbei um eine Auftragsarbeit handelt und das nicht mein „Verdienst“ ist.

Großer Dank geht an dieser Stelle natürlich auch an Martin, der mich zunächst dazu ermutigt hatte, mit Zwischenlichten meine kreativen Flügel auszubreiten, und sich dann gewissermaßen als Mentor und musikalischer Sidekick zur Verfügung stellte. Ohne seine zahlreichen Kontakte in die Szene, sein Talent als Layouter und seine Erfahrung darin, Veröffentlichungen und Gigs auf die Beine zu stellen, wäre der Weg bis hierher deutlich steiniger verlaufen – sofern er sich ohne ihn überhaupt aufgetan hätte.

Du bist durch und durch ein Frankenwaldbub. Diese Region schwingt immer wieder in deinen Texten mit. Die Natur, die alten Bauernhäuser, das Textilgewerbe, alte Weisheiten und Geschichten. Was fasziniert dich so sehr an deiner Heimat, ihrer Geschichte und ihren Menschen?

Das kann man auf einen kurzen Nenner bringen: Die Schönheit, die sich im Kargen offenbart. Der Frankenwald war stets eine genügsame, nach außen hin unscheinbare Region, die nicht das große Spektakel bietet, sondern ihren Reiz dem offenbart, der geduldig ist, genauer hinsieht und einen Blick für die kleinen Wunder entwickelt. Eine Gegend, die ihr Licht tendenziell eher unter den Scheffel stellt – und doch zu scheinen vermag. Das ist Menschen, Landschaft und Geschichte hier gemein – und mir grundsympathisch, denn es passt zu meiner Wesensart.

Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass ich auch das wunderschöne Fichtelgebirge, das bereits im Nachbarort beginnt, als Heimat erachte. Auch wenn der Fokus meines Schaffens mit Zwischenlichten bislang eindeutig auf dem Frankenwald liegt.

War es für dich schon immer so, dass du den Frankenwald bewusst als Ort der Verwurzelung angesehen hast, oder entstand diese Verbundenheit erst nach und nach?

Das war schon immer so, denn es hat sich qua Geburt so ergeben. Ich lebe schon immer hier und war auch nie für längere Zeit weg. Es fühlt sich für mich also nur folgerichtig an, über die Dinge zu singen, die ich vor meiner Haustür finde – oder die hier einst waren und heute nicht mehr sind. Meine Erweckungsmomente, die mich für die Magie meiner Heimat sensibilisierten, lassen sich gut anhand des Textes zum Song „Erwachen“ nachempfinden, der auf „Dämmerschwellen“ zu finden ist. Ich war ein Kind, das sich schwer damit tat, sich in gesellschaftliche Erwartungsstrukturen einzufügen, ein Kind, für das Schwermut kein Fremdwort war – deshalb suchte ich nach Zufluchtsorten.

Einen solchen fand ich etwa in alten Sagen und Geschichten sowie in den mystischen Ahnungen, die bei der Beschäftigung etwa mit der Natur oder mit alten Gebäuden aufkommen können. Einen großen Anteil daran hatte sicherlich mein Großvater mütterlicherseits, der mir bereits als Kind „Gesichter“ in Baumstämmen oder Steinen zeigte und diese Beobachtungen zu Hause malte oder zeichnete. Darüber hinaus verstand er sich hervorragend darauf, Geschichten über bestimmte Orte zu erzählen: von den Rittern in der nahen Burg, die ich von meinem Baumhaus in den Ästen des Kirschbaums im Garten betrachten konnte, von der wachenden Jungfrau, die auf ihrem Felsen Tag um Tag die Rückkehr ihres geliebten Rittersmanns aus dem Krieg herbeisehnte, von einem versteinert schlafenden Riesen.

So brachte er die Saat für mein Empfinden aus, das nun mit Zwischenlichten zu voller Blüte gediehen ist. Verstärkt beschäftigte ich mich mit all dem wieder in den Anfängen der Corona-Pandemie mit ihren Lockdowns. Auch mich traf zeitweise das Los der Kurzarbeit, was mir die Möglichkeit eröffnete, viel wandern zu gehen, mich tiefer in die Historie der Region einzulesen und mich mit den Kräutern zu beschäftigen, die ringsumher gedeihen. Das hat meine Verbundenheit sicher noch einmal gestärkt – und war letztlich einer der wichtigsten Impulse für die Gründung von Zwischenlichten.

Dabei geht es mir allerdings in keiner Weise darum, meine Heimat zu überhöhen. „Heimat“ nämlich ist ein sehr universelles, individuelles Gefühl – kein Ort, der umgrenzt ist von Zäunen und Mauern, den es auf irgendeine Weise zu verteidigen gelten würde. Menschen aus anderen Gegenden dieses Landes, dieser Welt würden über ihre Heimat und ihre Verbundenheit zu dieser sicherlich sehr ähnliche Dinge sagen wie ich über meine – und sie sind herzlich dazu eingeladen, ihre Gedanken und Gefühle in meine Musik hineinzulegen. Verbundenheit, ja, sogar Liebe – das empfinde ich für meine Heimat. Stolz? Ganz sicher nein. Was kann ich schon dazu, dort geboren zu sein, wo ich nun einmal geboren bin? Darüber bin ich froh, nicht stolz.

Du vertonst nicht nur Texte aus deiner eigenen Feder, sondern auch Gedichte von unter anderem Hans Watzlik, Ludwig Dilling, Heinrich Roßner und selbst Goethe ist mit von der Partie. Was reizt dich an diesen Texten? Und haben diese Autoren auch einen Bezug zu deiner Heimat?

An den von mir vertonten Fremdtexten reizen mich in erster Linie die Bilder, die sie vor meinem inneren Auge heraufbeschwören. Zu jedem davon spürte ich bereits bei der Erstlektüre eine gewisse Verbundenheit und eine emotionale Reaktion. Das – und nichts anderes – war bei ihrer Auswahl der Maßstab. Da ist Zwischenlichten mehr Bauch- als Kopfsache. Auf die Texte von Watzlik („Heimat“) und Ludwig Dilling („Die Glockenblume“) bin ich in einem alten Gedichtband gestoßen, der mir in einem Antiquariat in meiner Heimatstadt in die Hände gefallen ist. Das Gedicht von Heinrich Roßner („Auf die Höhen“) ist mir während einer Wanderung auf dem Gipfel des Großen Kornbergs im Fichtelgebirge begegnet, wo es auf einer Granitplatte zu lesen ist – sofort fotografierte ich es, bereits mit dem Hintergedanken einer Vertonung – ab. Damit wäre in diesem Fall der Heimatbezug geklärt.

Ansonsten habe ich es hier mit der Regionalität nicht sklavisch genau genommen. Das muss ich, wie ich finde, auch nicht, denn es ist ja eine gängige Kulturpraxis, Fremdwerke zu den eigenen Zwecken in neue Kontexte zu überführen. Solange ich in den Texten Sinneseindrücke oder Gefühlsregungen vorfand, die sich auf meine eigene Heimat oder mein eigenes Fühlen übertragen lassen, erachtete ich sie als geeignet, im Zwischenlichten-Kosmos einen Platz zu bekommen. Ludwig Dilling dürfte – wie ich – irgendwo in Nordostbayern gelebt haben, Genaueres weiß man nicht. Hans Watzlik kam aus Böhmen – durch die Nähe meiner Heimat zu Tschechien ist hier zumindest ein ganz vager Bezug gegeben. Und Goethe – nun ja. Das im „Seelenwetterläuten“ verarbeitete „Wandrers Nachtlied“ ist schlicht und ergreifend wunderschön, beschreibt das Gefühl von Vergänglichkeit, das einen während einer Nacht im Wald nach einem durchwanderten Tag überkommen kann, virtuos. Durch das Fichtelgebirge ist er übrigens auch mal gewandert, der geschätzte Johann Wolfgang – aber dieser Bezug ist nun wirklich weit hergeholt.

Ich habe vor längerer Zeit eine Dokumentation über den Frankenwald bei YouTube gesehen. Diese ist schon älteren Datums und hatte einen sehr poetischen und fast melancholischen Berichtstil. Ich musste schon etwas schmunzeln, als ich ein Sample davon in einem deiner Lieder hörte. Empfindest du den Frankenwald heute noch so, wie es der Sprecher dieser Dokumentation beschreibt?

Witzig, dass du das Sample wiedererkannt hast! Das spricht sehr für die Sprache des Reporters, nicht? Ich war davon auch sofort sehr angetan. Wo findet man das heute noch so im Fernsehprogramm? Überhaupt stelle ich gerade fest, dass wohl deutlich mehr Menschen diese Dokumentation kennen, als ich zunächst angenommen hätte. Damit die Leser wissen, worum es geht, gebe ich die von mir im Song „Duldsamkeit“ verwendeten Worte kurz wieder: „Die Häuser sind niedrig, die Scheunen sind schmal, die Ställe sind eng. Großes hat hier keinen Platz. Kein Bauernland zu karg, zu mager – wie alle großen Waldgebirge ein Land nur für harte Arbeit im Stein und im Holz.“

Ob das noch heute so ist? Jein. Besonders den Dörfern und Kleinstädten ist das karge Leben von einst durchaus noch anzumerken. Die Architektur hat wenig Schmuckwerk – in ihr spiegelt sich die pragmatische Geisteshaltung ihrer Bewohner. Hier und da kündet noch ein altes, niedriges Weberhaus mit Strohdach von den alten Zeiten. Doch leider – und das thematisierte auch die Dokumentation schon vor Jahrzehnten – sind viele dieser architektonischen Zeitzeugen bereits dem Bagger und der Abrissbirne anheimgefallen.

Die Landwirtschaft ist hier längst kein dominierender Wirtschaftszweig mehr, was schon angesichts der steinigen, wenig nahrhaften Böden und des rauen Klimas – man bezeichnet den Raum Hof auch als „Bayerisch-Sibirien“ – völlig nachvollziehbar ist. Schon früh hatte die Region den Wandel hin zur Industrie-, dann zur Dienstleistungsgesellschaft mitgemacht, gab es hier doch seit jeher genügend arbeitsame Menschen, die von ihrem eigenen Grund und Boden kaum oder nur unter größten Strapazen leben konnten. Inzwischen haben sich selbstverständlich auch hier bei uns große Wirtschaftsunternehmen angesiedelt, die leichteres Brot versprechen. Eine Entwicklung, die sich seit Erscheinen der Doku in der Vorwendezeit noch einmal in großen Schritten weiter vollzogen hat.

Doch: Die Lebens- und Arbeitsbedingungen mögen sich, wie auch sonst überall in der westlichen Welt, fundamental gewandelt haben – die innere Haltung von einst ist in den Köpfen geblieben. Um mal ein altes Sprichwort umzudichten: Du bekommst den Weber aus dem Weberhaus, aber du bekommst den Weber nicht aus dem Menschen. Und arme Handweber, das waren hier einst viele. Manch einer schlug sich nach getaner Arbeit auf dem Feld noch die Nacht am Webstuhl um die Ohren, um das spärliche Familieneinkommen aufzubessern. Ein solches Leben macht etwas mit dir – und das trägt sich manchmal unterbewusst über Generationen weiter.

Wie oben bereits beschrieben, neigen hier viele Leute dazu, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen. Es fällt ihnen schwer, die Vorzüge ihrer Heimat zu erkennen und wertzuschätzen. Andererseits glaube ich, dass auch die Bereitschaft, sich durchzuschlagen, mit allen Härten, die das bedeuten kann, noch immer in den Leuten steckt. Ebenso wie die Sparsamkeit und eine gewisse Bauernschläue. Leider glaube ich aber, dass diese guten Tugenden und Eigenschaften auch hier mit den kommenden Generationen immer mehr verloren gehen werden. Nun mag ich klingen wie ein alter Grantler, der auf dem Dorfplatz laut sein „O Tempora, O Mores!“ skandiert. Doch es ist eben, wie es ist: The times they are a-changin‘.

Auf dem Backcover deiner CD steht „Dämmerschwellen: Klänge aus dem Dämmer zwischen gestern und heute“. Was können wir deines Erachtens aus der Vergangenheit lernen?

Um es mit einem meiner Songtitel zu sagen: „Duldsamkeit“. Sicherlich wäre eine Übung in Demut für den einen oder anderen Keyboard-Warrior, der aus der warmen Blase seines Häuschens und seines sicheren Lohns heraus seinen Unmut über alles und jeden in die Kommentarspalten pustet, ganz heilsam. Dafür braucht man sich nur die harten Lebens- und Arbeitsbedingungen von einst vor Augen zu führen. Damit möchte ich nicht sagen, dass es grundsätzlich falsch wäre, Missstände anzuprangern und mit dem Finger auf Probleme zu zeigen. Letztere gibt es in diesen Tagen ja zur Genüge. Sich darüber aber nur – nicht selten unangenehm populistisch und unfundiert – zu echauffieren, während man sich auf dem Sofa eine Tüte Chips reinzieht, kann es nun auch nicht sein.

Insofern glaube ich, dass es angesichts der zahlreichen Krisen, vor denen wir stehen, umso wichtiger ist, aus der Vergangenheit zu lernen. Wir müssen erkennen, dass Wohlstand und Luxus, Frieden und Sicherheit nicht selbstverständlich sind. Wir müssen uns eingestehen, dass unser Komfort einen hohen Preis hat. Die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise, die Inflation – all das führt uns ja eindrücklich vor Augen, in welch mannigfaltige Abhängigkeiten wir uns als Menschen über die Jahre hineinmanövriert haben, auf welch wackligen Füßen unsere ganze Infrastruktur steht. Jeder Fortschritt hat auch eine Kehrseite.

Nein, ich möchte hier ganz sicher weder einem verschwurbelten Antimodernismus das Wort reden, noch möchte ich die Vergangenheit einseitig romantisieren. Klar, dass letztlich keiner von uns zum harten Bauernleben von einst zurückkehren möchte. Doch kann es sicher nicht schaden, sich in Zeiten wie diesen vor Augen zu führen, mit wie wenig es sich – durchaus auch zufrieden – leben lässt und wie sich jeder einzelne der kapitalistischen, maschinistischen Logik unseres auf Lohnarbeit gemünzten Lebens zumindest ein kleines Stück weit entziehen kann. Mehr zu träumen, die Wunder in den kleinen Dingen zu sehen und unsere Umwelt weniger als beliebig ausbeutbares Ressourcenlager zu verstehen, sondern als eine Art geweihte Stätte, in der Kräfte wirken, die größer sind als wir, wäre da ein guter Anfang.

Wenn du bei Konzerten auftrittst, verbrennst du häufig Räucherwerk. Wie riecht Zwischenlichten für dich?

Ganz klar nach selbst gesammeltem Fichtenharz aus dem Frankenwald. Und nach Beifuß – für die innere Reinigung, die ein kreativer Schaffensprozess im Idealfall darstellt. Nach Styrax – für die Sinnlichkeit und geistige Frische. Und vielleicht nach Nelken und Zimt – für die Behaglichkeit.

Am Ende unseres Gespräches möchte ich dich bitten, einen kleinen Ausblick in die nahe Zukunft von Zwischenlichten zu geben. Was steht demnächst mit dem Projekt an?

In dem Moment, in dem ich diese Zeilen schreibe, ist „Dämmerschwellen“ gerade erschienen. Es hat also oberste Priorität, das Album in der einen oder anderen Form zu bewerben. Und natürlich möchte ich auch im Jahr 2023 meine Musik wieder hier und da auf die Bühne bringen. Hierfür gilt es zu sehen, was sich machen lässt, Bewerbungen zu schreiben. Neues Material für ein zweites Album ist auch seit Monaten in Arbeit. Hierfür möchte ich mir aber die Zeit nehmen, die ich brauche, und mich nicht stressen. Ich bin kein Mensch für Schnellschüsse. Auch eine Split-7-Inch-Single mit Mosaic ist derzeit in Arbeit. Nebenbei möchten Martin und ich natürlich auch unseren Podcast „Nordwald Funk“, in dem wir über verschiedene Themen von Musik, Kunst und Kultur bis Heimatgeschichte sprechen, vorantreiben.

Vielen Dank für das ausführliche Gespräch und deine interessanten Antworten.

Hast du noch letzte Worte an die Leserinnen und Leser?

Menschlein, du siehst an der Schwelle
den Wandel und das Vergeh’n
trink von der uralten Quelle –
du wirst eines Tages versteh’n

So folget mir ins Zwischenlicht!

Links:
» Zwischenlichten @ Bandcamp
» Duldsamkeit (Video) @ Youtube
» Dokumentation über den Frankenwald
» Podcast Nordwald Funk

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