Elf Märchen für Entflohene
Eine Entschuldigung vorweg an die Band „Adversus“: leider kam mir von Euch bisher nichts unter. Ein Fehler. Ohne Frage. Mehr oder weniger zufällig erfuhr ich von der neusten Veröffentlichung in Form eines Albums und einem Buch mit den Geschichten zur Musik. Bevor ich auf die Band und auf das Album eingehe, eine Frage an den werten Leser: Wem ist das schon einmal passiert, dass man einen Song hört und denkt, dass man diesen kennt, diesen schon einmal gehört hat? Aber man kann ihn gar nicht kennen, denn er ist gerade eben erst zur Welt gekommen. Doch der Titel spukt im Kopf herum – in diesem Fall „Ein Ding im Spiegel“.
„Adversus“ ist ein Gesamtkunstwerk. Booklets, Artworks, Merchandise werden von Torsten „Rosendorn“ Scheyer, der Seele der Band, eigenhändig entworfen. Er steht für Komposition, Lyrik, Gesang und auch für die elf Märchen im Buch. Komplettiert wird die Gruppe aktuell von Aysel (Gesang), Pia „La Musica“ (Keyboard), Sebastian Kuhn (Gitarre), Lena Biehl (Violine), Carsten „Bassmeister“ Hundt (Kontrabass), Thomas Eifert (Schlagzeug) und Johanna Dietz (Gesang). An der Besetzung ist unschwer zu erkennen: den Konsumenten wird handgemachte Musik geliefert. „Adversus“, also Torsten erzählt Geschichten. Geschichten zu jeweils speziellen Themen. Es entstanden so Konzeptalben, die man fast als Hörbücher bezeichnen kann. Sowohl bei der Betrachtung der Texte als auch der Musik. Die Sprache zu verstehen, zu deuten, zu verinnerlichen ist nicht einfach. Mischen sich doch Elemente im Stil alter Fabeln und dunklem Grusel mit modernen unkonventionellen Wortkonstrukten, denen man selbst einen Sinn, seinen Sinn, zu geben versuchen muss. Letztendlich spielt die eigene Phantasie und Fähigkeit zum Wachträumen die entscheidende Rolle, wie man die Lyrik deutet. Die Klänge zu den Texten fordern dem Hörer ebenfalls die Bereitschaft ab, gewohnte Pfade zu verlassen und Schubladen zu schließen. Neo-Klassik, Metal, Mittelalter, Folk – melodisch, dramatisch, harter Beat – das geht alles zusammen, miteinander, nebeneinander. Die rauhe Metal-Stimme von Torsten schreit, flüstert, krächzt, droht. Die Damen versenken ihre klaren Stimmen in Zwiegesprächen miteinander, mit Torsten – klagend, lockend. Mal getragen, mal leise, dann brachial, verzerrt, laut und wie rasend. Geheimnisvoll.
„Der Zeit abhanden“: elf Märchen für Entflohene. Die Gestaltung des Schubers ist düster-romatisch und im Klappentext liest man unter anderem: „Willkommen in einer modernen Märchenwelt mit rastlosen Unsterblichen, verirrten Rittern und Schwertkämpfern, mit Glasmädchen und toten Schönheiten, mit Grablicht- und Kellerkindern, flüsternden Wänden, beklemmender Träumen, apokalyptischen Welten und wahlweise erlösenden oder verfluchenden Küssen.“ Zeitsprünge, andere Dimensionen, paranoide Zustände sind die Märchen im Buch. Den Geschichten vorangestellt ist ein Vorwort von Thomas Manegold (Verlag Periplaneta). Sozusagen als Windfang bevor einem der Sturm der Rosendorn-Phantasien den Atem nimmt. Scheinen diese Phantasien auch surreal und skurril zu sein, um so beklemmender sind die nachdenklich gewonnenen Erkenntnisse… sobald man diese an der Realität misst. Vor- oder nachgestellt finden sich auch die jeweiligen Songtexte im mit mystischen Illustrationen 159-seitigen Märchenbuch. Torsten, der Schriftsteller und Musiker, hat sich dann auch noch ein Nachwort abgerungen, welches Aufschluss über seine Absichten/Ansichten gibt. Die Lyrik der Songs sind die Extrakte aus den Märchen. Natürlich habe ich mir zuerst die CD zu Gemüte geführt. Anschließend das Buch. Und ich muss sagen, dass sich die vertonten Worte durchaus erschließen, wenn man die Geschichten dazu bereits gelesen hat. Zusammen bilden Märchen, Lyrik und Klänge ein bedrückend-faszinierendes Kunstgebilde, von dem ich schwer lassen kann. Als bekennender Klassik-Liebhaber genieße ich die raumfüllenden Orchesterpassagen. Und als irgendwie „Schwarze-Szene-Zugehörige“ empfinde ich die mit-verwobenen Synthesizer-Sequenzen, den heftigen Einsatz des Schlagzeugs und die klare Opernstimme der Sängerin Aysel als Gegenpart zu Torsten als perfekte Ergänzung und Symbiose. Es ist keine „leichte Kost“. Man muss sich Zeit nehmen und sich in die sehr emotional geschriebenen Märchen und Töne fallen lassen. Die lyrische Umsetzung der Märchen werden auf der CD von jeweils einem instrumentalen Prolog und Epilog eingerahmt. Elf vertonte Märchen, die gelesen, gehört, gefühlt werden wollen. Ein sehr anspruchsvolles Album, sehr abwechselungsreich, ungewöhnlich, fesselnd, unterhaltend. Und ich kann nur empfehlen, CD und Buch als Einheit anzunehmen. Der potentielle Hörer/Leser muss nicht zwangsläufig der „Szene“ angehören, aber einen Hang zu düsterer Phantasie sollte man voraussetzen. Diese wird dann auch voll gefordert und befriedigt.
Buch & CD im Schuber
77:31 min
ISBN 978-3-940767-65-3
www.periplaneta.com
Trackliste:
01 Prolog
02 Gespinste
03 Brüder
04 Unter Den Hüllen
05 Einer Nacht Gewesenes
06 Entropia
07 Ein Ding Im Spiegel
08 Das Mädchen Mit Den Grablichtern
09 Feuersbrunst Im Jammertal
10 Dies Minniglich Lied
11 Kellerkind
12 In Des Hades Tiefen
13 Epilog
www.adversus.de
www.myspace.com/adversusband