Amphi Festival 2010

Frank The Baptist

23. - 25. Juli 2010

KÖLN, TANZBRUNNEN

Ausverkauft. Schon Wochen vor dem Amphi-Festival gab es keine Karten mehr. Das hieß: 16.000 Leute weilten weitestgehend gleichzeitig auf dem Festival-Gelände des Tanzbrunnens in Köln. Stellenweise war es eng. Sehr eng. Der „familiäre“ Zauber ging dabei doch etwas verloren. Bei Auftritten einiger Bands, welche die Hauptbühne bespielten, standen die Zuhörer bis in den Bereich der Stände der Händler. Zumindest für Normalwüchsige ohne Adlerblick gab es hier leider nicht mehr viel zu sehen. Doch für die Musiker auf der Bühne dürfte es ein herrlicher Anblick mit großem Gänsehautfaktor gewesen sein. Und die jubelnden, feiernden, klatschenden und mitsingenden Fans waren sicherlich auch am anderen Rheinufer zu hören.

Neben der Freiluftbühne gab es zwei weitere überdachte Bühnen.

Eine befand sich im Staatenhaus, vormals Rheinparkhalle. Im letzten Jahr noch während des Festivals wegen abstürzenden Putzes aus Sicherheitsgründen geschlossen, gab es an diesem Ort 2010 einen überwältigenden Band-Aufmarsch zu bestaunen. Weil nicht wie draußen um 22 Uhr der Vorhang geschlossen werden musste. So kam es auch zu diversen parallelen Ansetzungen, was keine leichten Entscheidungskämpfe nach sich zog. Wer die Wahl hat, hat die Qual. Oh ja, manche Auswahl wurde unter großen Qualen getroffen. So musste man sich beispielsweise zwischen Welle:Erdball auf der Hauptbühne, Nachtmahr im Staatenhaus und Christian von Aster im Theater entscheiden. Gerade Welle:Erdball und von Aster sind immer Garanten für eine prächtige Stimmung, wenn sie auch nicht unterschiedlicher sein könnte. Welle:Erdball mit minimalistischen und mitreissenden elektronischen Klängen und Herr von Aster mit sympathisch vorgetragenen Geschichten.

Neben der vergnüglichen asterschen Lesung wurde im bereits erwähnten Theater der zweite Film von Welle:Erdball gezeigt, Dr. Mark Benecke erläuterte allgemeinverständlich forensische Details, Project Pitchfork präsentierten ein neues Album und Oliver Klein trat mit seinen musikalischen komödiantischen Programmen „Rocky Horror Show“ und „NDW-Parodie“ auf. Anschließend wurden die Bestuhlung entfernt, damit bis früh um vier zahlreiche DJs für Stimmung sorgen konnten. Wobei sich die Stimmung bei uns persönlich eher in Grenzen hielt. Wir haben sowohl am Samstag als auch am Sonntag einige Zeit „hineingehorcht“. Und uns beschlich dabei der Eindruck, dass so mancher DJ bei der Nature-One oder einer anderen Techno-Veranstaltung besser aufgehoben gewesen wäre. Aber nicht nur deshalb wurde uns die Party verleidet: zumindest am Samstag jagte die Security jeden Bein-und-Rückenmüden, der sich kurz an den Rand setzte, wieder hoch. Alternative Sitzmöglichkeiten waren leider nicht vorhanden. Wer nach einem langen Tag die Beine kurz entspannen wollte, musste schon nach draußen gehen.

Aber zurück zum nachmittäglichen Programm: Benecke brachte in einem atemberaubenden Tempo innerhalb der ihm bewilligten 40 Minuten scheinbar einen mehrstündige Vortrag unter. Schnell, inhaltsreich, amüsant und vor allem: verständlich. Außerdem verteilte er kleine Geschenke (Findet Nemo auf finnisch, Elfenkalender und andere, etwas abartige Dinge).

Weniger mit realen Geschichten aber amüsant bis zum Lachtränenwasserfall ergötzte Christian von Aster die Zuhörerschaft mit seiner Erzählung von einer Teufelsbeschwörung, rettenden (un)barmherzigen Schwestern und einem Schoko-Muffin. Diese herrliche Lesung sollte man nicht verpasst haben.

Natürlich standen aber die Auftritte der diversen bekannten Bands im Mittelpunkt. Und davon gab es reichlich. Man könnte fast sagen, dass das Who-is-who der alternativen-schwarzen Electroszene an diesem Wochenende in Köln verweilte: Skinny Puppy, Front Line Assembly, VNV Nation, And One, Anne Clark und Combichrist – um nur einige zu nennen. Aber auch die Freunde des gepflegten Gitarrensounds kamen auf ihre Kosten: Blitzkid, Diary Of Dreams, Eisbrecher, End Of Green, Frank The Baptist, Leaves Eyes, Mono Inc. Und auch dies ist nur ein Auszug aus der langen Liste der aufgetretenen Bands.

Hier dürfte sicherlich für fast jeden Geschmack etwas dabei gewesen sein. Höhepunkte gab es zuhauf. So beispielsweise And One, die für eine überschwängliche Stimmung sorgten. Sänger Steve Naghavi präsentierte sich gewohnt selbstbewusst: „Wollt ihr den totalen Steve?“ Und welche Band hat schon ihren eigenen Stand? Auch die zu erwerbenden Shirts mit dem Aufdruck „Naghavis Krieger“ deuten ein gewisses Selbstvertrauen an. And One – erfrischend anders, trotzdem fan-verbunden und außerdem amüsant.

Adrian Hates, Frontmann bei Diary of Dreams, kommt schon seit einiger Zeit deutlich lockerer herüber, als zu Anfangszeiten. So war ein Kontakt zwischen Publikum und Band schnell hergestellt. Und beim Song mit der Zeile: „…hast du denn nicht geseh´n, wie meine Augen glitzern…“ konnte man im vollgefüllten Staatenhaus die allgemeine Rührung förmlich spüren. Viele tausend Fans fühlten und sangen mit. Die Musiker waren sichtlich beeindruckt von diesem Mit-Schwingen.

Einen ähnlichen Gleichklang zwischen Akteuren auf der Bühne und den Besuchern davor gab es auch beim Konzert der Letzten Instanz. Die temperamentvollen Musiker und die eindringlichen Texte rissen die Zuhörerschaft jedenfalls zum gemeinsamen „Auftritt“ als Groß-Chor hin. Sänger Holly Loose hätte stockheiser sein können – etliche tausend Choristen hätten ohne Probleme seinen Part übernommen. Die Fans waren aber alle so nett und ließen Holly auch die eine oder andere Strophe selbst singen.

Das sonntägliche Abschlusskonzert bestritten Eisbrecher im Staatenhaus. Die kräftigen Gitarrenklänge füllten die Luft und brachte alles zum Vibrieren. Wer sich jetzt nicht bewegte, war wahrscheinlich taub. Wuchtige Rhythmen fuhren in die Beine oder animierten zumindest zum Kopfnicken. Und Sänger Alexx – wie immer dominant und ein wenig machomäßig mit kräftiger Stimme – spielte mit den Texten und mit dem Publikum. Beim Titel „Miststück“ demonstrierten die anwesenden Gäste stimmlich, dass jeder Einzelne dabei an eine bestimmte Person zu denken schien: „Du bist ein Miststück… ein Stück Mist…“ Die Genugtuung, solche Massen in gewisser Weise manipulieren zu können, war Alexx anzumerken.

In aufgepuschter Stimmung entließ dieser weitere Höhepunkt und überaus gelungene Konzertabschluss des Amphi Festivals 2010 die Besucher in die Nacht.

Das Amphi 2010 – ein Festival mit viel Licht und ein wenig Schatten. Zahlreiche namhafte Bands, umfangreiches Rahmenprogramm, drei Bühnen, etwas zu viele Gäste, weitestgehend Sonne und wenig Regen, eine kostenlose Trinkwasserstelle, fest installierte Toiletten, Fotoerlaubnis für alle Besucher. Ein Wochenende, auf welches man gerne zurückblickt.

Und: Die Vorbereitungen auf das Amphi-Festival 2011 haben schon begonnen. Tickets sind bereits erhältlich…

Text: Edith Oxenbauer & Marcus Rietzsch

Fotos: Marcus Rietzsch

» www.amphi-festival.de

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