Das Amphi-Festival 2023 – eine subjektive Rückschau

Amphi Festival 2023

29. – 30. Juli 2023

TANZBRUNNEN, KÖLN

Für zahlreiche Freunde dunkler Klänge ist es ein Pflichttermin: Das letzte Juli-Wochenende wird schon Monate, ja teilweise Jahre im Voraus geblockt, um Samstag und Sonntag am Tanzbrunnen in Köln alte Lieblingsbands zu sehen und neue Lieblingsbands zu entdecken.
Ich war das letzte Mal im Jahr 2011 auf dem Amphi-Festival. Obwohl ich das Festival-Wochenende in sehr guter Erinnerung behalten habe, hat sich ein erneuter Festivalbesuch seither einfach nicht mehr ergeben – teilweise, weil der Termin für mich ungünstig lag und teilweise, weil mich die auftretenden Künstlerinnen und Künstler nicht so interessierten, dass sich ein Besuch gelohnt hätte. Denn eigentlich höre ich auch im Rahmen der schwarzen Szene so abseitige und experimentelle Musik, dass ich auf größeren Festivals kaum glücklich werde – zumindest habe ich das immer gedacht…

„Du fährst auf’s Amphi? Was willst du denn da?“, wurde ich gefragt, als ich meine Pläne verlauten ließ. Ja, was wollte ich da – ich, die ich lieber kleinere Festivals besuchte oder auf Zusammenkünften wie dem WGT vor allem die Veranstaltungen mit informellem Charakter schätzte. Aber 2023 traten einige für mich interessante Bands auf dem Amphi auf: Covenant, Das Ich, Qntal, Xotox, Clan of Xymox und Deine Lakaien. Alleine schon die Zusammenstellung findet sich so wohl kaum auf einem anderen Festival. Zudem fielen für mich terminlich diverse andere Festivals in diesem Jahr leider aus, und außerdem war ich neugierig auf die Atmosphäre und das Gelände. Wie würde ich beides zwölf Jahre nach meinem letzten Besuch bewerten?

Positiv, so viel sei an dieser Stelle verraten. Der Kölner Tanzbrunnen liegt in Laufweite des Hauptbahnhofs als auch des Deutzer Bahnhofs direkt neben dem Messegelände, was die Anreise mit Zug und Auto problemlos macht. Die Atmosphäre auf dem Gelände ist noch so, wie ich sie in Erinnerung hatte: Tiefenentspannt. Niemand grölt herum, niemand lästert. Die Sicherheitsleute sind höflich und freundlich, und auf dem Gelände darf man eigens mitgebrachte Becher und Plastikflaschen mit Trinkwasser füllen. Wer mag, kann mit eigenem Kamera-Equipment auch ohne Pressepass so viele Fotos machen wie die Speicherkarte hergibt. Nur Videos sind tabu (Tage später sehe ich trotzdem die ersten Auftritt-Mitschnitte im Netz und ärgere mich über die miese Ton- und Bildqualität. Da weiß ich wieder, warum Bands und Veranstalter so etwas einfach nicht mögen).
Der zentralen Lage und guten Erreichbarkeit ist allerdings geschuldet, dass es in unmittelbarer Umgebung keine Zeltmöglichkeit gibt und auch keine Möglichkeit, Essen und Trinken zu Nicht-Festivalpreisen zu erstehen. Vielleicht ist es diesem Umstand geschuldet, dass der Altersschnitt, der in einer Szene, die in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts ihren Höhepunkt hatte, ohnehin schon jenseits der vierzig liegt, auf diesem Festival besonders hoch zu sein scheint? Das heißt nicht, dass es vor Ort keine jungen Menschen gibt, aber wer noch zur Schule geht oder studiert, kann sich die Kombination aus Festivalkarte, Anfahrt, Unterkunft und Verpflegung vor Ort wohl nur in Ausnahmefällen leisten.
Die Fans nehmen ihr Alter mit Humor, wie zahlreiche T-Shirt-Aufdrucke zeigen. „Zu alt, um noch vernünftig zu werden“, lese ich da, „Too old to die young“ oder: „Mitglied der EBM-Senioren-Tanzgruppe“.
Überhaupt, die T-Shirts: Wenn das WGT das Festival des Schaulaufens ist, dann ist das Amphi das Festival der Band- und Sprüche-Shirts. Stellenweise komme ich mit dem Lesen überhaupt nicht hinterher; stellenweise verliere ich mich in eigenen Erinnerungen, wenn Menschen mit Festival- oder Tourshirts von vor über zehn Jahren an mir vorbeilaufen.
Was nicht heißen soll, dass sich für das Amphi niemand in Schale geworfen hat – im Gegenteil. Vor allem die recht zahlreichen Cyber-Electros fallen auf, aber auch Romantics oder mittelalterlich Gewandete sehe ich auf dem Gelände. Die Stimmung ist fröhlich und entspannt. Ich genieße es, unter Gleichgesinnten meine Lieblingsmusik zu hören und gemeinsam mit zahlreichen anderen Fans meinen persönlichen Helden zuzujubeln. Ein Spruch von Goethe fällt mir ein: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein.“ Oh ja!

Was mir besonders gut gefällt: Die meisten Menschen auf der Bühne scheinen hier einen besonderen Ehrgeiz zu entwickeln, was ihren Auftritt angeht. Sie geben spürbar alles – das gilt vor allem für die beiden kleineren Bühnen. Mehrmals schaue ich mir Auftritte an, die mich eigentlich von der Art der Musik her weniger interessieren, die aber so gut gemacht sind, dass ich einfach noch nicht weiterziehen will. Das macht Freude!
Freude scheinen auch die Künstlerinnen und Künstler zu haben, denn vielfach sagen sie dem Publikum, wie wunderschön sie den Blick in die Menge finden, loben die Veranstalter oder geben ihrer Hoffnung Ausdruck, bald erneut auf dem Amphi spielen zu dürfen. Das hört man selten auf so großen Festivals und ist mit Sicherheit als Kompliment an die Macher zu verstehen.
Hinzu kommt, dass der Ton auf allen drei Bühnen generell richtig gut ist – zumindest, wenn man richtig steht. Von weiter hinten hört man zumeist mehr Bass als etwas anderes, aber vorne ist auch rechts oder links von der Bühne, wo man meist auch nach Beginn des Konzerts einen Platz erhält, akustisch alles glasklar.

Es heißt mitunter, dass auf dem Amphi nur die Bands spielen, die man bereits häufig an anderer Stelle gesehen hat. Bei drei Bühnen, auf denen gleichzeitig eine Menge los ist, trifft das aber einfach nicht zu. Ich jedenfalls komme in den Genuss einer ganzen Reihe von Bands, die ich ohne ihren Auftritt auf dem Amphi nicht wahrgenommen hätte.
Musikalisch dürfte das Programm für mich allerdings ruhig noch etwas düsterer sein – Bands wie OMD, Wesselsky oder A Life Devided sind mir musikalisch einfach zu nichtssagend, aber sie ziehen zweifellos Publikum an und ich habe während der Auftritte Zeit für andere Bands. Zeit ist tatsächlich, wie auf jedem Festival, auch hier ein Problem: Drei Bühnen, die gleichzeitig Programm bieten, kurze Umbaupausen, die Einkaufsmeile und der Biergarten am Rheinufer konkurrieren um meine Aufmerksamkeit. Ich will lieber nicht daran denken, was ich in den zwei Tagen alles verpasst habe…

Interessant ist vor allem die Bühne auf dem Schiff, denn sie ist nicht nur die kleinste (und damit familiärste) Bühne, sondern auch die mit den unbekanntesten Bands. Und für mich gibt es eigentlich nichts Schöneres, als in entspannter Atmosphäre Musik zu lauschen, die ich noch nicht kenne. Das Schiff liegt übrigens nicht nur vor Anker, es legt auch ab – zu Vorab-Konzerten, aber auch am Samstagabend. Ein Erlebnis, ganz sicher – das ich aus Zeitgründen aber leider nicht wahrnehmen kann.
Das Amphi-Festival macht an beiden Tagen bereits gegen 22 Uhr Schluss, was die Aftershow-Partys auf den beiden Indoor-Bühnen attraktiv macht. Doch nur, wer früh ins Bett geht, ist am nächsten Tag für die ersten Bands bereit; die spielen nämlich bereits morgens um elf Uhr.

Ein Teil von mir vermisst das Vortrags- und Lesungsprogramm, dass es hier 2011 noch gegeben hat, aber ein anderer Teil ist froh, stattdessen einfach eine weitere Band zu sehen. Da wundert es nicht, dass ich nach den zwei Tagen richtig platt bin – es ist nicht nur Anstrengung des ungewohnten Auf-den-Beinen-Seins, sondern auch die vielen, vielen Eindrücke, die auf mich niederprasseln.

Fazit
Das Amphi 2023 hat mir sehr gut gefallen. Es ist ein Festival, das vieles richtig macht. Für 2024 sind bereits viele Bands bestätigt. Sicher werden die 12.500 Karten erneut lange vor Festivalbeginn ausverkauft sein – die erste Stufe der Frühbuchertickets ist bereits heute, keine zwei Wochen nach Festivalende, nicht mehr zu haben. Wenn ich in den nächsten Jahren mal wieder am letzten Juli-Wochenende Lust auf ein unkompliziertes Festival am Rheinufer habe, dann werde ich bestimmt wiederkommen.

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