Fünfundzwanzig Jahre Goethes Erben – ein Anlass, der würdig „gefeiert“ werden musste. So lud Oswald Henke an zwei Abenden in den bestuhlten Volkspalast zur Rückkehr ins Niemandsland ein, um sich gemeinsam mit einer Vielzahl von Musikern auf eine akustische wie visuelle Reise zu begeben.
23. Februar 2014
LEIPZIG, VOLKSPALASTDie erste Reihe auf einer Art Empore gewährte freie Sicht auf die Bühne, die sich auch ohne Musiker schon beeindruckend präsentierte. Auf der linken Seite die Plätze für die Streicher. Mittig im Hintergrund zwei Flügel, rechts davon diverses Schlagwerk. Dazwischen eine große Truhe aus Holz. Und natürlich der eine oder andere Kerzenständer. Es war alles perfekt für den ersten Akt vorbereitet.
Zwei „Lichtanzünder“ begannen die Vielzahl weißer Kerzen zu entflammen. Vier große Ansammlungen flackenden Scheins. Der Beginn wurde nun fiebernd erwartend. Langsam nahmen die einzelnen Musiker ihre Plätze ein.
Dann betrat ein netter junger Mann die Bühne und bemüht sich, eine noch nicht brennende Kerze anzuzünden. Doch dies misslang. Seltsam. Und plötzlich wurde aus der Kerze ein Seidentuch. Ein kleiner Zaubertrick stimmte auf das nachfolgende ungewöhnliche Konzert ein.
Ohne jetzt auf eine Reihenfolge einzugehen – auf der Bühne geschahen die wunderbarsten Dinge. Der dämonische Oswald Henke wurde von einer gleichgesinnten Schar Musiker begleitet. Tanzeinlagen passend zu den Stücken, die unterschiedlichste Stimmungen hervorriefen. Der erste Akt widmete sich der schwermütigen Romantik, wo hingegen der zweite Teil des Abends düster und abgründig war. Jeweils zehn Stücke erzählten unterschiedliche Geschichten und entführten so manchen Gast in die eigene Vergangenheit, als die musikalische Melancholie und die dunklen Gedanken von Goethes Erben entdeckt und lieben gelernt wurden.
Töne wurden nicht nur auf gewöhnliche Art und Weise erzeugt. So öffnete sich bei einem Klavier wiederholt der Deckel, um die Saiten direkt anzuschlagen. Oder Instrumente, die keine waren – wie ein Kanister – wurden für rhythmische „Klopfzeichen“ der anderen Art verwendet. Da ließen die Streicher ihre Violinen und Celli einfach stehen und liegen. Dumpfes Trommeln von einem Schlagzeug. Hellere Geräusche von dem anderen. Streichbogen erzeugten am Rand eines Beckens oder eines Vibraphons unerwartete Geräusche. Einfach mitreißend. Die Augen folgen hin und her. Die Ohren versuchten, jeden kleinsten Ton aufzunehmen. Gesangliche Unterstützung gab unter anderem Sonja Kraushofer (Persephone, L’âme Immortelle) – stimmgewaltig, voluminös. Variabel dazu die Stimme von Lisa Morgenstern, die neben ihrem Klavierspiel auch tänzerisch eines ihrer Talente zeigte. Ein weißwallendes Gewand umhüllte eine Gestalt auf Stelzen, die gespenstisch durchs Publikum und auf der Bühne stakste. Oswald zauberte immer neue Erinnerungsstücke aus seiner Truhe. Erzählte dazu. Kreischte und flüsterte. Bedrückend die Szenerie bei der Suche nach Iphigenie… Oswald Henke ist ein Komödiant, der in der Dramaturgie seiner Texte vollkommen aufgeht. Leid und Trauer und Wut – authentische Gefühle in geballter Ladung. Auch als Zuschauer, oder besser: als Mit-Erleber wurde man in diesen Taumel widerstreitender Gefühle hineingezogen. Inklusive einem wohligen Schauer, der sich den Weg über den eigenen Rücken bahnte. Als sich ein Bündel Mensch in Zwangsjacke mit lose hängenden Ärmeln auf und neben der Bühne wälzte, unartikuliert schrie – erbarmungslos verfolgt von endlosem tückisch-bösartigem „Sehr gefährlich!“ bedrängt… Henke wie im Rausch… „Sehr gefährlich! Sehr gefährlich!“… in immer anders klingender Betonung. Bedrohlich und faszinierend zugleich.
Jedes erschienene Album wurde mit mindestens einem Lied – kann man noch „Lied“ sagen, wenn es bildhafte Darstellungen sind? – gewürdigt. Einzelne Stücke hervorzuheben fällt schwer. Beeindruckt hat jeder Titel. Ob nun „Der Spiegel“, „Vermisster Traum“, „Nacht der 1000 Worte“, „Kopfstimme“, „Mit dem Wissen“ oder „5 Jahre“… wer hat nicht zu Haus schon mal laut oder zumindest im Geiste mitgesungen „…ich will hier raus!“.
Kann man diesem Musiktheater mit Worten gerecht werden? Eigentlich nicht. An beiden Abenden wurde das Geschehen filmisch aufgezeichnet. Bleibt zu hoffen, dass daraus eine DVD entsteht, die in absehbarer Zeit erhältlich sein wird. Denn die Eindrücke haben wir noch nicht ganz verarbeitet. Zu stark, zu nahegehend. Vielleicht lässt sich die dauerhafte Erinnerung ja mit Hilfe von „Crowdfunding“ ermöglichen?
Abschließend gab es für Oswald Henke und seine Mannschaft stehende Ovationen. Ehre wem Ehre gebührt.
Im Programmheft wird explizit den Machern des Wave-Gotik-Treffens „für die Ermöglichung dieses Ereignisses“ gedankt. Wir schließen uns diesem Dank mit Freude an. Bei vielen dürften die beiden Jubiläumskonzerte noch lange nachhallen.
Besetzung:
Oswald Henke – Worte
Sonja Kraushofer – Gesang
Jule Kimpel – Gesang
Lisa Morgenstern – Flügel, Gesang, Tanz
Maximilian Münch – Flügel
Susanne Reinhardt – Violine
Sue Ferrers – Violine, Nyckelharpa
Cornelius Sturm – Cello
Martin Höfert – Cello
Markus Köstner – Perkussion
Tim Warweg – Perkussion, Vibraphon
Catherine Breydy – Tanz
Dshini – Diener, Illusion
Text: Edith Oxenbauer & Marcus Rietzsch
Fotos: (c) Ronny Zeisberg / Wieglas Fotografie