Alex Jahnke – Liebesgrüße aus Neuschwabenland

Obwohl der Untertitel „Die geheimen Akten des Führers (Adjutant) geleakt!“ mit dem Zusatz „weltoffen & rassenfrei“ keinerlei Missverständnisse aufkommen lassen sollte, wurde auf dem Cover der Fortsetzung von „Neues aus Neuschwabenland“ zusätzlich ein Satire-Hinweis angebracht. Betrachtet man die vielen kursierenden Verschwörungstheorien, ihre unerschütterliche Anhängerschaft und deren tiefer Glaube scheint dies heutzutage aber unbedingt nötig zu sein.

Der Klappentext:
„Dank unserer Veröffentlichung des Tagebuchs von Friedrich von Humpitz (Neues aus Neuschwabenland) sehen sich die Verschwörungstheoretiker dieser Welt in ihrer Anschauung bestätigt.
Zwei Länder hingegen sind hierdurch erst auf die Basis in Neuschwabenland aufmerksam geworden: Nordkorea und Großbritannien. Beide Länder entsenden daraufhin jeweils einen Agenten in die deutsche Kolonie: Nordkorea aus Pinguinmangel ein Huhn, das sie mit Badekappe und Frack tarnen, Großbritannien einen Pinguin im Dienst des MI6. Was die beiden Agenten dort erwartet, hätten sie in ihren kühnsten Vorstellungen nicht zu träumen gewagt.
Die hier veröffentlichten Ereignisse aus NSL beziehen sich aus unserem Whistleblower-Pinguin in der Basis so wie den abgefangenen und entschlüsselten Botschaften des MI6-Pinguin an Großbritannien.
‚Wir hatten ja damals keine Reichsflugscheiben.‘ (Deep Throat)
‚Die Pinguine sind der Beweis!‘ (D. Ellsberg)“

Die Kurzbiographie des Autors von dessen ureigenster Internetseite entnommen:
„Alex Jahnke wurde zu spät für die Jagd nach der Bundeslade geboren, zu früh für die Besiedlung des Mars und beschränkt seine Expeditionen daher auf die Entdeckung zweifelhafter Internet-Schätze. Berufswünsche als Astronaut, Dinosaurierjäger, Geheimagent und Schatzsucher musste – sehr zum Bedauern des Autors – verworfen werden. Er studierte Experimentalphysik und arbeitete u. a. als Entwicklungshelfer. Der Lebenswandel als verarmter Dandy lässt ihm wenig Zeit für seine Hobbys, was aber niemals einer guten Pfeife oder einem Gin Tonic im Wege steht. Nach mehreren vergeblichen Versuchen die Vril-Energie für sich zu nutzen, reist er nur noch aus touristischen Gründen oder zur Kur nach Agartha. Er lebt in Hessisch Montana, einer Region nördlich von Marburg, wo man laut Goethe kein Fach, sondern das Leben studiert. Das Studium ist bis heute nicht beendet. Autor mit einer Liebe zu vergangenen Zeiten, die noch sein werden. Steampunker der alten Schule.“

Den überzeugten Anhänger von Verschwörungstheorien rate ich: Schleicht euch! Für euch gibt es hier nichts zu lachen.

Aber: Neuschwabenland gibt es wirklich. Wikipedia klärt auf: „Neuschwabenland ist eine küstennahe Region am Südpol in Ostantarktika, die sich von etwa 12° West bis 18° Ost und von 70° bis 75° Süd über eine Fläche von 600.000 km² erstreckt. Der Name leitet sich von dem Schiff Schwabenland ab, dem Expeditionsschiff der Deutschen Antarktischen Expedition 1938/39. (…) Neuschwabenland ist seit Jahrzehnten Gegenstand mehrerer Verschwörungstheorien. Diese gehen zumeist davon aus, im Gefolge der deutschen Expedition von 1938/39 sei hier ein riesiger militärischer Stützpunkt errichtet worden, in den sich 1945 mehrere hochrangige Nationalsozialisten und starke Truppenverbände zurückgezogen hätten. Die USA und Großbritannien würden seit Jahrzehnten heimlich und vergeblich versuchen, das Gebiet zu erobern, und hätten in diesem Zusammenhang auch Nuklearwaffen eingesetzt. Möglich sei das Überleben der NS-Truppen, weil das Gebiet von heißen Quellen durchzogen sei, die für Energie und Wärme sorgen würden.“

Wenn ich Bücher lese, über die ich anschließend meinen mehr oder weniger gepflegten Senf hinzugeben möchte, markiere ich Stellen, die mich besonders beeindruckt oder amüsiert haben. Nach der Lektüre von „Liebesgrüße aus Neuschwabenland“ zeugt eine Unmasse herausguckender Klebezettel, dass jene Stellen in diesem Buch nicht zu selten vorkommen und es unmöglich ist, alle zu zitieren.

Die Seiten, auf denen die mit Schreibmaschinenschrift verfassten Tagebucheinträge des Friedrich von Humpitz, Adjutant des Kommandanten der Basis Neuschwabenland stehen, sind gräulich hinterlegt. Die Illusion der Authentizität. Der Leser erfährt viel über das Leben  in Neuschwabenland im Jahre 5014, wo die Zeitrechnung ihre Besonderheit hat. Zudem darf sich der Leser an einigen drolligen Zeichnungen und Filmankündigungen erfreuen. Die Gestaltung dieses Buchs ist ungewöhnlich.

Es zeigt sich schnell, dass sich die Geschehnisse im Hier und Jetzt abspielen und letztendlich unseren Alltag widerspiegeln. Die großen und kleinen Nachrichten und Ereignisse sind teils absurd und zaubern ein Grinsen ins Gesicht. Doch kann man sich selbst  in so mancher satirisch-kritischen Anmerkung wiederfinden, was man natürlich niemals  zugeben würde. Eine bis zum Ende ausgesponnene Verschwörungstheorie ist allemal erholsamer und unterhaltsamer als die Tagesschau – auch wenn sich die Themen gleichen.

Ich MUSS einige Ausschnitte aus den fast 365 Einträgen zitieren. Was unweigerlich Lust machen MUSS, das komplette Buch lesen zu wollen. Das damit einhergehende Lachen ist ein perfekter und angenehmer Ersatz für ein eventuell angestrebtes Bauchmuskeltraining.

Anomalie im Zeit-Gefüge: „Der Lieferdienst Herpes kündigt die Zustellung zwischen 10 und 12 Uhr an, um dann um 14 Uhr eine Karte zu hinterlassen, auf der steht: Empfänger nicht angetroffen. – Obwohl man auf der anderen Seite der Tür sehnsüchtig auf das Paket gewartet hat.“

Politiker von heute: „Man sichert sich die eigene Stimmenbasis, in dem man die Bildung massiv unterfinanziert und schon hat man ein gesundes Wahlvolk über Generationen  erschaffen, die genau tun, was sie gesagt bekommen.“

Erde Zwei: „Man muss sich nur anschauen, wie Menschen gleichzeitig in einen Zug ein- und aussteigen wollen. Wer würde dann noch die Behauptung aufstellen, dass wir bereit sind, den Mars zu besiedeln?“

Unverträglichkeiten: „Seit fast 30.000 Jahren essen Menschen Getreide in Form von Brot. 30.000 Jahre! Und auf einmal, im 21. Jahrhundert stellt die Menschheit fest: Hmm, Nee, lass mal, da wird mir unwohl von?“

Menschenhasser: „Ein guter Teil meiner Misanthropie würde sich einfach in Nichts auflösen, wenn Menschen schneller gehen und nicht im Weg stehen bleiben würden – besonders am Ende von Rolltreppen.“

Musikalisch: „Gerade zweimal mit dem Fuß gewippt. An manchen Tagen bricht die Musik einfach aus mir heraus.“

Ein sehr hübscher Eintrag vom 8.3.5014 beschäftigt sich mit der fehlerhaften Bewaffnung der Bundeswehr. Das Ende lautet: „Als nächstes will die oberste kommandierende Frau von der Leyen über Drohnen entscheiden. Ich vermute, dass die Bundeswehr grimmige Ballontiere bekommen wird.“

Die Welt des Fortschritts. Wir lassen Sonden auf Kometen landen, aber: „Warum ist es der Menschheit jedoch nicht möglich, einen Fahrkartenautomaten zu konzipieren, der einen leicht zerknitterten Geldschein akzeptiert?“

Weltpolitik, Handelsverträge am Volk vorbei, Krisen: „In dem Zusammenhang bin ich sehr froh, dass Bestattungsunternehmer keine mächtige Lobby haben. Es ist nicht auszudenken, was die Regierung für den Schutz dieser Arbeitsplätze tun würde.“

Etwas Frauenfeindliches, als die Handtasche der Kollegin ihren Inhalt über den Boden ergoss: „Den größten Teil des Nachmittags haben wir am Boden gesessen und aus dem Inhalt eine täuschend echte Kopie des Petersdoms nachgebaut.“

Politiker: „An manchen Tage lese ich die Nachrichten aus der Welt und möchte Politikern einen Kuli in die Ohren stecken, um sie wieder auf Werkseinstellung zurückzusetzen.“

Wen interessiert das: „In meiner Freizeit gehe ich gern in den Asia-Laden zu einem umgefallenen Sack Reis und tröste ihn. Weine nicht. Mich interessiert es.“

Ein häufiges Missverständnis: „Ich umarme nicht zur Versöhnung. Ich nehme Maß, wie breit das Loch sein muss.“

Um die Ecke: „Ich wünschte, es gäbe so ein kleines Licht, das man an Autos anbauen könnte, um zu sehen, dass der Fahrer bald abbiegen wird.“

Spaß: „Wir Menschenscheuen haben nicht weniger Spaß. Uns ist es nur nicht wichtig, dass es jeder mitbekommt.“ (Eintrag vom 31.12.5014)

Ich bin aus dem Kringeln nicht mehr herausgekommen. Und im Papierkorb stapelt sich ein kleiner Berg grüner Klebezettel. Nur wenigen war die Ehre vergönnt, einen Eintrag zu markieren, der in dieser Buchbesprechung Berücksichtigung finden konnte. Durch diese Lektüre wurde aus mir ein glühender Anhänger der Neuschwabenländischen Verschwörungstheorie.

Abschließend stellt sich für mich nur noch eine Frage: Warum muss man lachen, wenn es doch eigentlich gar nicht witzig ist, sondern elende Wahrheit…?

256 Seiten, 12 x 18 cm, Broschur
ISBN 978-3-939459-94-1

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