Neurosis – Fires within fires

In der relativ langen und unübersichtlichen Liste meiner bisherigen Konzertbesuche nimmt ein viele Jahre zurückliegender Auftritt der „Neurosis“ einen besonderen Stellenwert ein. Das Bild des amerikanischen Politikers Budd Dwyer, dessen Suizid während einer Pressekonferenz vor laufender Kamera über eine Leinwand im Hintergrund flimmerte, gepaart mit einer abgrundtiefen Musik voller Schmerz und Wut, die sich wie ein Faustschlag in die Magengegend grub, hat sich in mein Gedächtnis gebrannt. Eine emotionale wie körperliche Ausnahmeerfahrung. Trotzdem habe ich die bereits seit 1985 aktive Gruppe in den letzten Jahren aus den Augen bzw. Ohren verloren.

Durch die zunehmende Dauerberieselung mit Bildern voller Gewalt und Leid scheinen wir ziemlich abgestumpft zu sein und nehmen diese allzu oft höchstens achselzuckend hin. Doch in Verbindung mit der gewaltigen Musik dieser Formation können die ins Kopfkino projizierten oder bei Auftritten gezeigten Bilder furchterregende Gefühlsstürme entfachen. Und so widme ich mich voller „Neugier“ dem aktuellen Studioalbum der „Neurosis“, dessen Beginn zum langsamen Kopfnicken verleidet, um dann allerdings in eine fast mystische Passage zu gleiten. Ein äußerst fragiles Gitarrenspiel in Kombination mit der typischen kraftvollen Zeitlupenrhythmik entführt den Hörer in eine gewissermaßen angstvolle Atmosphäre. Die Klangwelt wird zunehmend ruhiger und ruhiger und man wird den Eindruck nicht los, dass irgendwo eine unbekannte Gefahr lauert. Diesem Schicksal bedingungslos ausgeliefert, entlädt sich die aufgestaute Energie wie bei einer Explosion und Scott Kelly schreit bedrohlich „Peeling the skin away reveals the heart…“ in die Welt hinaus. Ein perfektes Klagelied.

Und auch im weiteren Verlauf der mit 40 Minuten kürzesten Platte in der über drei Jahrzehnten umfassenden Schaffensphase wechseln sich Brachialität und Sanftheit ab. Regelmäßig wiegt sich der Hörer in Sicherheit, um doch wieder und wieder die geballte Faust ins Gesicht geschlagen zu bekommen. Heftigste Gefühlswelten entladen sich in beklemmende Geräuschwände. Harte Gitarrenriffs treffen auf subtile, dezente Keyboardarbeit. Schleppende Soundkaskaden bringen den Boden zum Beben. Kräftig, gewaltig, düster. Gewissermaßen ein perfekter Soundtrack für die Dunkelheit der Welt, die unausweichlich vor ihrem Untergang zu stehen scheint.

Sicherlich erfindet sich die Band nicht neu, aber sie geht emotional wie musikalisch an ihre Grenzen. Und: Der fünfte bzw. letzte Titel ist durchaus eine Überraschung. Zarte, verletzliche Klänge dominieren das Klangbild dieses Songs, bevor es nach acht Minuten noch einmal aus den fünf Musikern herausbricht. Ein letztes, im Vergleich zu den anderen Titeln relativ zurückhaltendes Aufbäumen, ehe das Album in einem langgezogenen „Reeeeeach“ endet.

Verzweiflung und Leid, Beklemmung und Bedrohlichkeit sind tief in der Klanglandschaft von „Neurosis“ verwurzelt. Die Kalifornier beweisen mit diesem auf dem bandeigenen Label „Neurot Recordings“ erschienenen Album ihre Ausnahmestellung und haben sich so eindrucksvoll den Weg retour in meinen Kopf gebannt. Die Meister des Doom-Post-Metal sind zurück.

» Neurosis
» Neurot Recordings @ Soundcloud

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