Christian Krumm, Jahrgang 1977. Im Alter von 19 Jahren arbeitete er in einer geschlossenen Psychiatrie. Offensichtlich waren die dortigen Erlebnisse beeindruckend und regten zum Schreiben von Geschichten an. Zunächst war er jedoch im journalistischen Bereich tätig und absolvierte ein Studium der Geschichte, Politik und Niederländisch. Christian Krumm beschäftigte sich intensiv mit der Heavy-Metal-Szene, über welche er mehrere Bücher veröffentlichte. Auch für seinen Romandebüt „At Dawn They Sleep“ (2014) liefert diese Musikrichtung den passenden Stoff. „Es ist die erste konsequente Verarbeitung meiner Überzeugung, dass die Wirklichkeit nur ein permanenter Wettstreit von Vorstellungswelten ist. Welche Vorstellungen wann Geltung besitzen, ist keine Frage der Richtigkeit, sondern der Durchsetzungsfähigkeit“, schreibt der Autor auf seiner Website hierzu.
Mit seinem neusten Werk „Traumschrott“ verlässt er den Bereich der Musik. Vom Titel sollte man sich nicht täuschen lassen. Auch wenn die darin enthaltenen Geschichten Albträumen gleichen, orientiert sich das Buch an der Realität. Träume sind seltsam und skurril. Schrott, den man wegwirft, sollten Träume allerdings nie sein. Sie sind eine Adaption der Wirklichkeit, der Vergangenheit und der Zukunft.
Der Klappentext:
„Begleiten Sie Christian Krumm auf einer phantastischen Reise in das Reich der unerfüllten Träume, die irgendwo jenseits von Raum und Zeit in irgendeiner Welt (vielleicht im Seltenreich*?) als Traumschrott enden. Viele von diesen Träumen sind es wert, sie sich noch einmal ins Bewusstsein zu holen, sie zu prüfen, um sie letztendlich als das anzusehen, was sie sind: Traumschrott.
In zwölf Kurzgeschichten begleiten wir verschiedene Protagonisten, die einen verborgenen Teil in uns widerspiegeln, uns in andere Welten führen oder uns einfach dazu animieren, inne zu halten und nachzudenken.
*Das Seltenreich ist das Gegenstück zu Deiner Welt. Alles, was bei Euch selten ist, gibt es bei uns zu Hauf. Umgekehrt ist äußerst wertvoll bei uns, was ihr als wertlos empfindet.“
Die elf Geschichten sind Bestandteil eines Wettbewerbs. Ein besonderes Gremium soll darüber entscheiden. „Bedeutende Persönlichkeiten“ und eine Vertreterin der Leserschaft erhalten jeweils die elf Geschichten übergeben. Allerdings mit dem Hinweis, es wären derer zwölf. Und so lesen die Mitglieder der Jury die Kurzgeschichten, um sich bei der 2. Tagung des Gremiums ihrer Meinungen nun zu entledigen.
In „Der Prinz“ wird während einer Herrengesellschaft über das Schicksal eines hartherzigen Menschen gesprochen. Als sich allenthalben Mitleid und Verständnis etabliert, führt hernach der Gastgeber ein überraschendes Telefonat.
Ein Künstler lehnt sich auf gegen gesellschaftlichen und staatlichen Druck. Endlich seine erste Ausstellung, vor der er sich einen richtungsweisenden Impuls erhofft. Nur: das geschichtsträchtige Datum wird „Das Idol“ einfach auffressen.
Sonntags in der Redaktion. DIE Story schlechthin. Beim „Sonntagskuchen“ wird das wiederholt hochkochende Thema Alterseinsamkeit und ihre Folgen medienwirksam besprochen. Sonntags – egal, was oder wer dabei auf der Strecke bleibt.
Man liebt einen Menschen so, wie man sich ein Bild von ihm macht. „Sveta“ ist eine Liebesgeschichte, die keine ist.
Mit freundlichen Grüßen aus der Geschlossenen. „Der Ausflug“ endet dort, wo er begonnen hat. Aber dazwischen wabern die Zweifel an dem was geschieht. Und wer da eigentlich Insasse ist oder auch nicht.
Aus dem Nichts taucht eine Erscheinung an einer Straßenecke auf. Steht im Weg herum. Deutet hin und wieder in eine unbestimmte Richtung. Verschiedene Passanten – je nach ihrer Individualität – fühlen sich angesprochen oder abgestoßen. Und es entzünden sich die Gemüter.
„Der Eremit“ ist eines von zwei als historisch eingestuften Dokumenten. In altmodischer Sprache und auf grauem Papier gedruckt. Hier wird Gott, Bigotterie und Hochmut angesprochen.
Wer kennt sie nicht, die Jungendlichen, deren Blicke fest auf ihre Smartphone geheftet sind. Sie gehen an Büchern und Wissen vorbei. Sie ignorieren alles. Bis sie in „Das Museum“ gelangen.
Gibt es eine Verbindung zwischen einem Vogel und Wagner? Ja, wenn der Vogel Siegfried heißt. Und welcher Zusammenhang besteht zwischen einem Taucher, einem Kellner, einer eventuellen Zechprellerin, einem Polizisten und einer Garagen malenden älteren Dame? Eine „Sandbank“.
Der zweite „historische“ Text – ebenfalls auf grauem Papier geschrieben – ist im weitesten Sinne esoterisch. Wird doch eine lebendige, jedes Individuum überdauernde Wesenheit erwähnt. Die Begegnung mit „Dämonen“.
So manch Rotweinabend forderte schon zu Spekulationen über Paralleluniversen heraus. Wenn man allerdings das „Seltenreich“ betritt, kommt eine weitere unvorstellbare andere Welt zum Vorschein.
In Traumschrott 2 trifft sich das Gremium, dessen Ergebnis auch traumhaft ist. Überraschend, und doch wieder nicht. Eher folgerichtig. Auf Seite 177 gibt es einen großen Abschnitt, der aus dem Traum eine Realität macht. Ich würde ihn zu gern zitieren… aber lesen Sie selbst!
Diese Kurzgeschichten, deren Inhalt hier in dürren Worten angeben wurde, sind skurril, bizarr und schizophren. Die Wortwahl, die verschlungenen Begebenheiten, die üppige Phantasie der Traumschrottkurzgeschichten ist faszinierend. Doch sollte man beim Lesen immer darauf gefasst sein, dass sich hinter diesen leicht lesbaren Texten ziemlich deftige Gesellschaftskritik verbirgt oder die menschlichen Unvollkommenheiten aufzeigt wird. So harmlos man sich einliest, desto mehr wird man vom Ende, vom Fazit überrascht. Zwölf kleine anspruchsvolle Kunstwerke. Komplexe Themen, die auf ein paar Seiten verdichtet umso gewaltiger und aussagekräftiger sind. Und – wie schon gesagt – Seite 177 ist der Hammer.
180 Seiten, 12 x 18 cm, Broschur
ISBN 978-3-946425-02-1