Anne Clark – I’ll Walk Out Into Tomorrow

Freitagabend. Kurz nach 20 Uhr. Einzig vier Personen haben sich in den kleinen Kinosaal „verirrt“, um den Dokumentarfilm über die britische Musikern und Poetin zu sehen. So kommt fast ein wenig heimische Wohnzimmeratmosphäre auf. Aber nur fast. Schließlich bringt die Größe der Leinwand die darüber schwebenden Bilder und Worte wirkungsvoll zur Geltung und der Raum füllt sich mit großartiger Musik.

Eine Dekade lang hat der deutsche Dokumentarfilmer Claus Withopf Anne Clark begleitet. Er durfte im Proberaum Mäuschen spielen, hat verschiedene Konzerte aufgezeichnet und wurde von der Künstlerin an die Orte ihrer Jugend und ihres jungen Erwachsenenseins geführt.

„As a sleeper in metropolis
You are insignificance
Dreams become entangled in the system…”

Diese Worte aus einem ihrer bekanntesten Stücke – dem man wohl nur schwer überdrüssig wird – stehen exemplarisch für ein tristes England der 70er- und 80er-Jahre, in dem die Künstlerin aufwuchs und das in gewisser Weise kreativer Antrieb war.

Anne Clark betont den großen Einfluss des Punk auf ihre Entwicklung. Die berühmten Aufnahmen des skandalträchtigen Interviews der Sex Pistols in der Bill-Grundy-Show, wodurch Punk über Nacht in aller Munde war, visualisieren diesen Lebensabschnitt. Eine Zeit, die alles andere als leicht war. So berichtet die Musikerin von Eskalationen, als ein Freund aufgrund seines Andersseins auf offener Straße angegriffen wurde und der beschwerlichen Suche nach geeigneten Räumlichkeiten für Veranstaltungen.

Nostalgische Gefühle suchen sich ihren Weg an die Oberfläche, als Aufnahmen aus dem Jahr 1985 erscheinen. Nach der erfolgreichen Veröffentlichung von „Sleeper in Metropolis“ und „Our Darkness“ folgte ein unerwarteter Rückschlag, als die Kosten einer Konzertreise nicht bezahlt werden konnten, weil sich der Tourmanager mit den Finanzen abgesetzt hat. Doch anstatt die Plattenfirma ihrer Verantwortung gerecht wurde, sprach man Drohungen gegen die Künstlerin aus. Betroffen und nachdenklich frage ich mich, wie viele großartige Songs wohl nie veröffentlicht wurden, weil sich Musiker resigniert zurückgezogen haben. So wie Anne Clark, die eine Auszeit nahm und in Norwegen einen Rückzugsort fand.

Untermalt durch ihre Interpretation von Rainer Maria Rilkes Gedicht „An die Musik“ wecken weite Landschaften voller Schnee und Eis Sehnsüchte.

„Musik: Atem der Statuen. Vielleicht:
Stille der Bilder. Du Sprache wo Sprachen
enden. Du Zeit
die senkrecht steht auf der Richtung
vergehender Herzen.

Gefühle zu wem? O du der Gefühle
Wandlung in was?— in hörbare Landschaft.
Du Fremde: Musik. Du uns entwachsener
Herzraum. Innigstes unser,
das, uns übersteigend, hinausdrängt,—
heiliger Abschied:
da uns das Innre umsteht
als geübteste Ferne, als andre
Seite der Luft:
rein,
riesig
nicht mehr bewohnbar.“

Doch dies sollte glücklicherweise nicht das Ende ihrer Spoken-Word-Kunst sein. Wiederholt scharrte sie hervorragende Musiker aus den unterschiedlichsten Genres um sich, um ihre Texte zu vertonen und auf den Bühnen dieser Welt zu präsentieren. Und so bildet der Film folgerichtig die ganze Spannbreite von minimalistisch-elektronischen, technoiden, rockigen und semi-klassischen Klängen ab.

Zwischen den musikalischen Passagen kommt immer wieder die Poetin zu Wort, um über ihre Karriere und ihr Leben zu sprechen, wie über ihre Arbeit in einer Psychiatrie, ihre Verbundenheit zu Deutschland und dem schwierigen Verhältnis zu ihrer Heimat und ihrer Mutter.

Die gelungene Mischung aus Interview-Sequenzen, Livemitschnitten und musikvideoähnlichen Abschnitten dürfte nicht nur eingefleischten Anne-Clark-Fans Freude bereiten. „I’ll Walk Out Into Tomorrow” – ein sehens- wie hörenswerter Film.

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