ART ABSCONs – Musik zwischen Intellekt und Eingängigkeit

Art Abscons
Art Abscons beim NCN 2022

ART ABSCONs ist ein Musikprojekt aus Deutschland, das seit Jahren sein Unwesen treibt. Es trat bei zahlreichen Veranstaltungen in verschiedenen Ländern auf, veröffentlichte zahlreiche Alben und EPs und ist mittlerweile fester Bestandteil einer Szene, die irgendwo zwischen Neofolk, Liedermacher und Kunst anzusiedeln ist. Nebenher ist der Grandmaster, wie sich der Kopf hinter ART ABSCONs selbst nennt, ein mysteriöser und dennoch wortgewandt mitteilsamer Zeitgenosse, der aufgeschlossen meine Fragen beantwortete:

Du hast dieses Jahr einige Konzerte gespielt, neue Instrumente für dich entdeckt und auch eine neue Maske anfertigen lassen. Wie ist dir dieses Jahr bisher erschienen und welche Momente sind besonders im Gedächtnis geblieben?

Es ist schon eigenartig. Auf rein persönlicher Ebene war 2022 für mich bisher ein durch und durch wunderbares Jahr, während die Weltöffentlichkeit dies sicherlich deutlich anders erlebt hat. Diese Janusköpfigkeit begann für mich tatsächlich sogar genau an dem Tag, an dem Putin über die Ukraine hergefallen ist. Ich hatte mich gerade entschieden, der Liebe wegen meiner Heimat im Ruhrgebiet vorerst den Rücken zu kehren, war gerade im ländlichen Sachsen angekommen, um mich dort für eine ungewisse Zeit aufzuhalten und war sehr glücklich über diesen Umstand, als die Schreckensmeldung eines beginnenden Krieges durch die Medien ging, dessen mögliche Dimensionen sich von Anfang an deutlich abzeichneten. Es fühlte sich an, als sei dies der Schatten, den mein persönliches Glück warf – und dieses Glück war groß. 2021 war für mich ein unfassbar einsames Jahr gewesen, das ich bis auf wenige Ausnahmen in vollkommener Isolation und künstlerischer Unproduktivität verbracht hatte; und so kam ich vollkommen ausgehungert nach sozialen Kontakten und kreativem Austausch in Sachsen an, spürte bereits deutlich, dass ich nicht enttäuscht werden würde und war voller Vorfreude auf all die neuen Kontakte, die ich knüpfen und all die längst begonnenen Freundschaften, die ich in Ostdeutschland vertiefen würde. Es kam tatsächlich genau, wie ich es mir erhofft hatte, und meine vorfreudigen Erwartungen wurden sogar noch weit übertroffen. Ich habe mich durch meine Musik auf eine für mich sehr bedeutsame Weise mit mehr Menschen austauschen dürfen, als ich hier vollumfänglich beschreiben könnte; vieles kreiste jedoch um drei Konzerte in Ostdeutschland, die ich dieses Jahr gespielt habe: ein sehr privates in Rostock, das mir sehr viel bedeutet hat, dann das kleine und sehr wundervolle Gartenkonzert „Aussaatzeit“ in Weißenfels, bei dem ich Dich und Martin von Nebelreich Projekt kennengelernt habe und schließlich natürlich das tolle und große NCN-Festival, bei dem ich meine neue Maske eingeweiht habe. Diese Maske ist für mich der fassbare Inbegriff des künstlerischen Austausches, wie ich ihn dieses Jahr erlebt habe und wie ich ihn in Zukunft hoffe, weiter ausbauen zu können. Angefertigt hat sie für mich Andras Baal, der Ausnahmekünstler hinter dem Musikprojekt Leger des Heils, der auch professioneller Maskenbildner ist. Diese Arbeit war der Dank für die Arbeit, die ich mir mit seinem im Winter erscheinenden Album „Sonnenflammen“ gemacht habe: Ich hatte nämlich die große Ehre und Freude, dieses Album abmischen und mastern zu dürfen.
Ich erinnere mich auch sehr gern an meinen Auftritt auf der Album-Release-Party des schwer fassbaren Neofolk-Projektes BRAUN in der Nähe von Darmstadt, meine Begegnungen mit Franziska und Sven von KAELTE und an die vielen neuen und alten Gesichter im Heidnischen Dorf beim WGT.

Einer der Menschen, die Du kennengelernt hast, ist Juan A. von Der Arbeiter. Kannst du kurz berichten, wie ihr euch kennengelernt habt, was euch verbindet und wie es zu eurem gemeinsamen Auftritt beim diesjährigen NCN kam?

Juan und ich hatten seit Jahren einen Kontakt über Facebook, der sich auf etwa fünf Worte pro Jahr beschränkte. Ich glaube, wir hatten – wahrscheinlich wegen unserer Musik, die wir gegenseitig bewunderten – beide das Gefühl, dass wir uns eh irgendwann einmal begegnen würden und unsere Zeit daher nicht mit dem langen Schreiben von Nachrichten verschwenden müssten. Wir sind uns einige Male tatsächlich BEINAHE begegnet, aber nie schien die Zeit reif zu sein und so verpassten wir uns immer um ein Haar. Reif war die Zeit scheinbar letztes Jahr im Sommer, als ich meine soziale Isolation für ein Wochenende jäh durchbrach, um bei dem Festival Schwarzes Lohm auf einem Barockschloss in Brandenburg zu spielen, zu dem auch Juan als Zuschauer kam. Auch wenn es unsere erste Begegnung war, hatten wir uns gleich so viel zu erzählen, als würden wir uns ewig kennen und hätten uns nur seit ein paar Jahren nicht gesehen. Witzigerweise – oder bedeutsamerweise – hatte ich ein paar Monate vor unserer richtigen Begegnung geträumt, dass ich mit Juan auf der Bühne stehen würde, obwohl er in Wirklichkeit eigentlich keine Konzerte mehr gab. Umso erstaunter war ich, als er plötzlich angekündigt wurde, auf einem Festival namens Fire From Runes zu spielen, das Tweetie (die Veranstalterin von Schwarzes Lohm) organisierte. Sie hatte Juan ermutigt, endlich wieder live zu spielen und wollte ihn auf der Bühne musikalisch unterstützen. Ich fragte Juan, ob er mich ebenfalls auf der Bühne gebrauchen könne – natürlich, um meinen Traum wahr werden zu lassen – aber leider musste dieses Festival abgesagt werden, und so kam es erst beim NCN dazu, dass ich den Arbeiter live auf der Bühne unterstützte und er im Gegenzug meinen Auftritt dort. Ich bin Tweetie sehr dankbar, dass sie diese Begegnung herbeigeführt hat und gleichzeitig sehr traurig, dass sie selbst nicht dabei sein konnte. Ich hoffe, das wird sich in Zukunft noch finden.

Bleiben wir kurz bei Liveauftritten. Mal spielst du mit Band, mal solo mit Einspielern, mal komplett akustisch. Bei welchen Auftritten bist du am meisten aufgeregt und worin liegt für dich der Reiz, deine Musik auf so unterschiedliche Weise aufzuführen?

Ich hatte von Anfang an das Problem, dass ich meine Alben recht opulent mit zahlreichen Instrumenten arrangiere und live nicht die Möglichkeit habe, sie entsprechend umzusetzen. Bei meinen allerersten Konzerten 2010 und 2011 verwendete ich daher recht viele Einspieler zu den zwei zusätzlichen Musikern, empfand es aber immer irgendwie, als würde ich mogeln, wenn so viel Musik aus dem Notebook kam, vor allem, weil ich selbst es immer doof fand, mir Konzerte von anderen anzugucken, bei denen fast alles Playback ist und da ein offenes Notebook als wichtigstes und talentiertestes Bandmitglied herumsteht. 2015 hatte ich die fantastische Gelegenheit, eine sehr ungewöhnliche Band zusammenzutrommeln, um auf dem Entremuralhas-Festival in Portugal zu spielen. Diese Band setzte sich zusammen aus Misty Bywater aus England, die ein Spielzeug-Keyboard in ein psychedelisches Wundergerät verwandelte, aus Risto Matti-Salo von dem von mir sehr geschätzten finnischen Projekt Pimentola, der einer einfachen Wavedum noch vielseitigere Rhythmen entlocken konnte, als ich mir jemals hätte träumen lassen können und aus der wunderbaren Mimi Kry, die ihre beeindruckend schönen Backing Vocals mit einem nur für den Zweck dieses Konzerts erlernten Bassspiel untermalte. Ich brauchte dazu nur Gitarre zu spielen und zu singen. Diese Band war wirklich fantastisch, existierte aber schon einen Monat nach dem ersten Auftritt nicht mehr, als wir eigentlich für ein Konzert in Athen gebucht waren, das unter sehr eigenartigen Umständen nur zwei Wochen vor dem eigentlichen Termin abgesagt wurde. Ich hatte allerdings bereits für mich allein Flugtickets nach Athen gebucht, die ich nicht mehr stornieren konnte sowie einige Leute dort, die schon Karten gekauft hatten und sich darauf gefreut hatten, ART ABSCONs live zu sehen. Ein Konzert oder eine Unterkunft hatte ich allerdings nicht mehr. Ich bat eine griechische Band, die ich sehr bewundere, Mani Deum, um Hilfe, und sie verwiesen mich an einen Herrn namens Stelios von der Band Glimmer Void, der sich sofort bereit erklärte, mich bei sich aufzunehmen und für mich ein alternatives Konzert auf einer Dachterrasse über Athen aus dem Boden zu stampfen. Da ich nun weder eine Band hatte noch Platz und Geld für musikalisches Sondergepäck im Flieger, blieb mir nichts anderes übrig, als mir lediglich eine Ukulele ins Handgepäck zu stopfen und mir in nur zwei Wochen zu überlegen, wie ich das, was ich noch vor ein paar Tagen mit einer ganzen Band gespielt hatte und wozu ich auf den Alben zig Instrumente verwendet hatte, auf einem winzigen Instrument mit nur vier Saiten umsetze. Das funktionierte tatsächlich aber sehr gut, frei nach dem rheinischen Motto „Et hätt noch emmer joot jejange“. Die Zeit in Griechenland war fantastisch, eine der schönsten Wochen meines Lebens, und das Gefühl, dass meine Lieder mich ständig begleitende Lebewesen sind, die sich jedem Umstand anpassen, sich ständig verwandeln können, obwohl sie im Grunde immer dieselbe Seele haben trug mich zum ersten Mal durch dieses Abenteuer wie eine Art magischer Schutz. Ich weiß mittlerweile einfach, dass nie etwas schief gehen kann, wenn ich im Auftrag des Großmeisters Abscon unterwegs bin und seine Lieder singe. Ich weiß auch, dass jeder Ort und jede Situation andere Instrumente und andere Arrangements verlangen, die ich mir mit einer Mühelosigkeit aus dem Ärmel schüttle, die mich manchmal selbst erstaunt. Ich glaube aber auch, dass ich dafür nicht ganz allein verantwortlich bin. Irgendetwas hilft.

Du hast dieses Jahr auch dein Radiodebüt gegeben. Du warst beim Boneshaker Radio aus Rostock zu Gast und hast dort nicht nur ein Interview gegeben, sondern auch einige Lieder performed. Wie ist dir dieses Erlebnis im Gedächtnis geblieben?

Haha, nein, das war kein Debüt, auch wenn es wahrscheinlich so gewirkt hat, weil ich so zerstreut war. Marv und Frank bei Boneshaker Radio sind gute Freunde von mir, und ich hatte 2018 schon einmal eine Sendung dort mitmoderiert, als ich mit meinem Elektro-Projekt Tellbach in Rostock gespielt hatte. Damals habe ich mich weitaus besser angestellt, obwohl dies das wirkliche Radiodebüt war. Diesmal war ich etwas überfordert, weil die Idee dazu, auch live im Radio zu spielen sehr spontan aufgekommen war, als ich gerade zu Besuch in Rostock war. Es war alles so spontan, dass ich mich geistig nur darauf vorbereitet hatte, Musik zu spielen und nicht, dass ich auch etwas würde sagen müssen; umso erschreckter war ich, als Marv mir plötzlich improvisierte Fragen stellte und ich nur unzusammenhängendes Zeug stammeln konnte, vor allem, weil meine größte Sorge die war, wie die Live-Musik wohl klingen würde. Wir waren technisch eigentlich gut vorbereitet, mussten aber kurz bevor die Sendung begann, das Studio wechseln und hatten plötzlich nur noch fünf Minuten Zeit, soundtechnisch etwas grob improvisiert zusammenzuschustern, weil uns in dem neuen Studio ein paar Dinge fehlten, die wir eigentlich dringend benötigt hätten, um alles so umzusetzen, wie es eigentlich geplant war. Ich war also auf voller Linie ein nervöses seelisches Wrack, als die Sendung begann. Ich habe mich im Nachhinein tatsächlich auch nicht getraut, mir das Podcast selbst einmal anzuhören, obwohl mich interessieren würde, wie die improvisierte Kreuzung aus „Anarchy in… GERMANY“ von den Sex Pistols und „Of Runes and Men“ von Death in June wohlgeklungen haben mag.

Art Abscons

ART ABSCONs ist bekannt dafür, nicht nur Musik zu machen. Vielmehr ist ART ABSCONs ein komplexer künstlerischer Kosmos. Neben der Musik stehen die poetischen Texte, die Inszenierung auf der Bühne und auf den Webkanälen der Band sowie die aufwendig gestalteten Veröffentlichungen. Es reihen sich mittlerweile sogar Hörbücher in das Gesamtwerk mit ein. Du bist somit ein Mann, mit sehr verschiedenen Ausdruckskanälen. Wie fing es bei dir an? Stand am Anfang das Schreiben, das Musizieren oder ging alles Hand in Hand?

Am Anfang standen die Malerei und das Zeichnen. Ohne prahlen zu wollen, kann ich sagen, dass ich darin bereits als Kind überdurchschnittlich begabt war. Hinzu kam, dass mein Vater die Malerei als Hobby entdeckte, als ich sieben oder acht Jahre alt war und sich dafür immer bessere Farben und Malblöcke kaufte, so dass ich immer die benutzen durfte, welche für meinen Vater nicht mehr gut genug waren – Aquarellfarben, Öl, Pastell, Acryl, Kreide, Kohle. Außerdem gab es damals eine wöchentlich erscheinende Heftreihe namens MALER, die sich mit jedem Heft einem anderen bedeutenden Maler widmete und die mein Vater sammelte. Ich verschlang jedes dieser Hefte damals mit großer Begeisterung, sah mir manche Bilder stundenlang an und versuchte bei eigenen Kreationen die Techniken meiner Lieblingsbilder und -maler nachzuahmen, was mir so gut gelang, dass ich mit meinen Bildern bei den anderen Kindern und meinen Lehrern großen Eindruck schindete. Ich erinnere mich daran, wie wir im Kommunionsunterricht einmal die Aufgabe von unserem Pfarrer bekamen, zur nächsten Stunde etwas mit in den Unterricht zu bringen, was uns ganz besonders beschäftigte und was nur wir konnten. Ich brachte ein paar von meinen Aquarellen mit, und sofort interessierte sich alles nur noch für meine Bilder. Einige der Kinder fingen an zu betteln: „Oh, ist das schön. Darf ich das haben?“ Ich war vollkommen bestürzt und stammelte: „Das geht nicht. Die Farben und die Malblöcke sind sehr teuer; und außerdem habe ich sehr lange daran gearbeitet und hänge an den Bildern.“ Der Pfarrer sagte so etwas wie, dass man sich manchmal auch von Dingen trennen müsse, wenn man anderen Menschen eine Freude damit machen könne. Als ich mich aber dennoch weigerte, meine Bilder einfach so zu verschenken, fragte er mich, wie viel es denn wohl kosten würde, wenn ich für alle Kinder in der Gruppe ein Bild malen würde. Ich überschlug es grob im Kopf und sagte: „Fünf Mark?“ Der Pfarrer gab mir also ein Fünf-Mark-Stück und den Auftrag, für jedes der Kinder ein Aquarell zu malen. Ich ging nach dem Kommunionsunterricht sofort an ein Büdchen und setzte meinen ersten Künstlerlohn sofort in Weingummi und Wundertüten um. In der kommenden Woche versuchte ich, mit dem Malen zu beginnen, hatte aber absolut keine Inspiration. Ich sträubte mich regelrecht dagegen und dachte so etwas wie: „Ich bin doch Künstler und kein Auftragsmaler. Ich kann nur etwas malen, wenn die Inspiration über mich kommt, aber doch nicht auf Befehl!“ In der nächsten Kommunionsunterrichtsstunde hatte ich kein Bild vorzuweisen und sagte, dass ich noch nicht zum Malen gekommen sei, was sich in den nächsten Wochen wiederholte – bis endlich die Kommunion kam und ich keinen Unterricht mehr hatte. Irgendwann mit Mitte dreißig wachte ich einmal mitten in der Nacht auf, weil ich etwas von Pastor Müller geträumt hatte und dachte: „Oh mein Gott. Ich habe die fünf Mark damals einfach verprasst und nie einen einzigen Klecks dafür gemalt. Ich komme bestimmt in die Hölle dafür. Wenn der Pastor noch leben würde, würde ich ihm das Geld jetzt zurückgeben und mich entschuldigen.“ Aber der Pastor war natürlich tatsächlich schon lange tot.
Ich malte damals weiter. Mit fünfzehn hatte ich meine erste Freundin, und die hatte zu der Zeit schon eine eigene Dachwohnung für sich, obwohl sie genauso jung war wie ich. Die Ecke in ihrem Zimmer, wo das schräge Dachfenster war, durfte ich als Atelier benutzen. Ich war damals malerisch sehr produktiv, hatte aber auch schon angefangen, in einer Band E-Gitarre zu spielen und zu singen. Es geschah zu dieser Zeit allerdings etwas, das mich derartig traumatisierte und was mit der Malerei zusammenhing, dass ich seit diesem Erlebnis nie wieder einen Zeichenstift oder Pinsel in die Hand nehmen konnte, ohne das Gefühl zu bekommen, mich übergeben zu müssen. Ich habe seitdem nie wieder gemalt, habe die meisten meiner Bilder verbrannt, und die Musik wurde mein Ersatz für die Malerei. Ich spielte und sang in den Neunzigern in den verschiedensten Lokalbands und probierte alles Mögliche aus: undefinierbaren experimentellen Düsterkram, Industrial, Depri-Punk, Crustcore oder am liebsten eine Mischung aus allem.
Anfang der 2000er brach die lokale Musikszene im Ruhrgebiet zusammen; wahrscheinlich wegen des Einzugs des Internets. Plötzlich konnte man kaum noch Konzerte spielen, was sehr frustrierend war. Ich steckte derweil in meinem Literaturstudium und fing selbst mit dem Schreiben an; ich schrieb dutzende von Kurzgeschichten und einen Roman. Ich arbeitete daran wie besessen, war aber bald sehr frustriert, weil ich niemanden fand, der mein Geschreibsel lesen wollte, das ich mit so viel Fleiß und Leidenschaft aufs Papier gebracht hatte. Wieder einmal verbrannte ich fast alles, was ich produziert hatte. Ich fühle allerdings keine Reue darüber, weil ich weiß, dass das, was ich damals geschrieben habe, sehr unreif und künstlich bemüht war. Ich war eben noch viel zu jung und hatte noch gar nichts erlebt, wovon es sich gelohnt hätte zu schreiben. Das sieht heute schon anders aus. Immer wenn ich heute dazu komme, an meinem Buch über mich und Art Abscon weiterzuschreiben, merke ich, dass meine Mühen von damals nicht umsonst gewesen sind. Ich habe mir damals das Handwerk erworben, das mir jetzt sehr gelegen kommt. Und mittlerweile habe ich sogar ein paar Sachen zu erzählen.
2008 widmete ich mich wieder voll der Musik, als ich Art Abscon ins Leben rief. Ich glaube, dass in diesem Projekt alle Künste zusammenfließen, die ich mir einmal erworben habe – alle, außer der Malerei. Ich glaube aber, dass ich beim Arrangieren meiner Kompositionen ganz ähnlich vorgehe, wie ich es damals in der Malerei gemacht habe und dass sie mir deshalb immer noch zur Seite steht und heimlich mitwirkt. Ich male jetzt eben mit Tönen und Klängen.

Du beschäftigst dich tiefergehend mit Literatur. In deinen Texten lassen sich Querverweise und Einflüsse verschiedenster Literaten finden. Ebenfalls tauchen immer wieder Motive der Mythologie und Mystik darin auf. Welche literarischen Strömungen, Autor*innen und Texte haben dich besonders geprägt bzw. sind dir besonders wichtig? Und wie fügen sich diese im ART ABSCONs-Kosmos ein?

Ich habe während meines Literaturstudiums lernen müssen, Texte nicht danach zu beurteilen, ob sie mir persönlich gefallen, sondern danach, wie bedeutend oder wegweisend sie in ihrem jeweiligen kulturellen Kontext sind und wie sie mit anderen Texten interagieren. Mein Zugang zur Literatur ging daher eher in die Breite als ins Spezifische. Ich habe aber immer eine besondere Zuneigung für die deutsche Frühromantik empfunden, für den französischen Ästhetizismus der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, für die englische Literatur des Elisabethanischen Zeitalters und den amerikanischen Transzendentalismus.
Was das Mystische betrifft, so habe ich manchmal den Eindruck, dass Art Abscon mein Vehikel ist, um den Katholizismus zu überwinden, dem ich als Kind stark ausgesetzt war und den ich schon damals bei aller Ehrfurcht als falsch empfunden habe. Als ich mit etwa vierzehn Jahren über ein Buch stolperte, welches erste deutsche Übersetzungen der gnostischen Evangelien aus dem Nag Hammadi-Codex enthielt, war ich hin und weg. Ich wurde den Eindruck nicht los, dass sich mir hier das wahre Christentum aufschloss, welches von Rom vernichtet und dann stark verfälscht weitergeführt worden war. Die Gnosis schien mir so etwas wie eine Erkenntnis und Religion, die jeder Mensch für sich selbst ergründen und in sich selbst entdecken muss und die nicht von einer externen Institution gelehrt oder indoktriniert werden kann. Daran glaube ich noch heute, und ich glaube auch, dass der Großmeister Abscon so etwas wie mein höheres Selbst ist, das bereits volle Erkenntnis erlangt hat und sie mir nach und nach zuteilwerden lässt. ART ABSCONs ist meine Privatreligion.

Müsste ich deine Musik mit eigenen Worten beschreiben würde ich sagen: „ART ABSCONs ist irgendwo in der chansonesken Liedtradition anzusiedeln. Dabei lassen sich Einflüsse aus der Folkmusik, dem Ambient, des Liedermacher aber auch von Gruppen wie Einstürzende Neubauten und Ton Steine Scherben heraushören. Einige Lieder fordern vollste Aufmerksamkeit ein, um in ihrer Gänze erfasst zu werden. Andere sind hartnäckige Ohrwürmer und verleiten zum sofortigen Mitsummen. Stets schwingt der Hauch der Mystik und von wundervollen Metaphern und Geschichten mit.“
Wie würdest du selbst deine Musik beschreiben und würde es dir gefallen, wenn sie als „gut hörbar“ beschrieben würde?

Ich finde, das hast Du besser beschrieben, als ich es selbst so aus dem Stegreif könnte. „Gut hörbar“ gefällt mir ganz besonders, weil ich dies mit „Pop“ gleichsetzen würde. Tatsächlich sehe ich bei all meiner Experimentierfreude und Liebe zum Untergründigen in dem Begriff „Pop“ etwas sehr Positives. Es mag als Künstler oder Musiker sehr viel Spaß machen, sich im Experimentierwahn voll auszulassen; wenn man dabei aber aus dem Auge verliert, dass sich das hinterher auch jemand anhören soll, empfinde ich dies nicht als besonders große Kunst. Genauso belanglos empfinde ich es, wenn „gut hörbar“ nur bedeutet, dass man dem Publikum etwas bietet, bei dem es sich lediglich um etwas einfallslos Wiedergekäutes handelt, das man so schon tausendmal gehört hat. Viel schwieriger und interessanter ist es, ungewöhnliche, experimentelle Klänge so zusammenzufügen, dass am Ende etwas leicht Konsumierbares und Unterhaltsames entsteht, das man so aber noch nie gehört hat. Das war schon immer die Definition von gutem Pop. Misty Bywater hat einmal gesagt, sie würde ART ABSCONs als „Mystical Pop“ bezeichnen. Das hat mir gut gefallen.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft. An welchen Projekten arbeitet der Grandmaster derzeit und worauf dürfen wir uns freuen?

Im Moment arbeite ich an gar nichts. Ich bin dieses Jahr ständig zwischen Sachsen und dem Ruhrgebiet hin- und hergetingelt und hatte dabei nicht die Ruhe und keine Basis, um an irgendetwas zusammenhängend zu arbeiten. Auch fehlt es mir schon lange an einem vernünftigen Studio. Ich habe zwar sehr viele tolle Instrumente und Studiogeräte, musste aber bisher alles in meiner Wohnküche in Duisburg produzieren, wo ich auch künstlerisch gesehen sehr isoliert war. Ich habe mich nun aber endlich entschieden, noch dieses Jahr ins ländliche Sachsen, nicht weit von Leipzig, zu ziehen, um mir dort mein langersehntes Studio einzurichten und endlich die Zeit zu haben, wieder voll und ganz kreativ zu sein und auch sehr gerne andere Künstler in meinem Studio zu produzieren und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Ich glaube, dass die Nähe zu Leipzig dafür der beste Ort ist, den es gibt und dass mir die ländliche Umgebung die nötige Ruhe und Abgeschiedenheit geben wird, um mich voll auf meine künstlerische Arbeit zu konzentrieren. Ich freue mich sehr darauf und bin gespannt, was sich alles ergeben wird.

Bist du eher Optimist oder Pessimist, wenn es um deine Sicht auf die Zukunft der Welt geht? Befinden wir uns auf dem direkten Weg zur Ragnarök oder muss die Menschheit ein weiteres Mal ihre Anpassungsfähigkeit unter Beweis stellen und kann dann irgendwie überleben?

Ich bin weder Optimist noch Pessimist. Ich bin realistischer Idealist. Für mich kommt es im Leben darauf an, dass man immer in der Lage ist, mit allen Situationen gut und sinnvoll umzugehen und dass man diese Eigenschaft im Umgang mit anderen Menschen vermittelt und vorlebt. Mehr kann man nicht tun, und mehr braucht man auch nicht tun. Mit meiner Kunst möchte ich genau das kommunizieren. Die Umstände sind selten leicht, und trotzdem kann man so auf sie reagieren, dass man mit ihnen im Einklang ist und Herr über sie wird. Herausforderungen sind dazu da, sich ihnen zu stellen. Die Menschen glauben seit tausenden von Jahren, dass das Ende der Welt vor der Tür steht, und trotzdem ist es immer irgendwie weitergegangen. Immer haben die Menschen geglaubt, dass die Umstände noch niemals so schlimm gewesen sind und dass alles immer schlechter wird. Das ist wirklich nichts Neues. So ein Zeug haben die Menschen schon immer gefaselt. Gerade die Kunst hat immer dazu gedient, etwas Sinnvolles aus den Umständen zu machen und den Leuten zu sagen: „Hier, obwohl oder gerade weil gerade alles kacke ist, gibt es jetzt diese tolle Musik oder diese tolle Literatur etc. Es gibt immer gute Gründe, nicht zu verzweifeln oder die Hoffnung aufzugeben. Es gibt immer gute Gründe, sich nicht das Leben zu nehmen und stattdessen weiterzumachen.“ Genau darin sehe ich die Aufgabe des Künstlers.

Ist Geschichte für dich wichtig oder ist das Hier und Jetzt für dich bedeutender?

Diese Frage kann ich nicht beantworten. Ich weiß aus meinem eigenen Leben, dass sich die Vergangenheit in der Erinnerung ständig verändert, weil das Leben zu vielschichtig und komplex ist, um bestimmten Ereignissen eine definitive Bedeutung beizumessen. Ähnlich, nur auf allgemein gesellschaftlicher Ebene, ist es mit der Geschichtsschreibung. Bestimmte Abschnitte der Menschheitsgeschichte werden immer wieder neu bewertet und neu erzählt. Die Vergangenheit ist in unserer Vorstellung im ständigen Wandel. Allein die Gegenwart ist über jeden Zweifel erhaben. Deshalb schätze ich den Moment so sehr. Ich liebe es aber auch, die Vergangenheit, auch die Geschichte, immer wieder aus neuen Blickwinkeln zu betrachten, um aus ihr zu lernen.

Welcher Philosophie folgst du? Hast du ein inneres Mantra, das dich antreibt?

So banal es klingen mag, ich glaube, mein Lebensmotto ist: „Nichts ist so schlecht, dass es nicht für irgendetwas gut wäre.“ Alles Schlechte, alles Schwere ist ein Gewicht. In jedem Gewicht steckt eine Kraft, die man zu etwas Nützlichem verwenden kann – vorausgesetzt, man weiß wie. Es erfordert Kunst.

Du hast einen eigenen Entstehungsmythos festgehalten. Ein Mann, der in einem Bunker steht, ein Lied aufnimmt und dabei den Art Abscon in sich entdeckt. Wie sehr ist dieser Mann ein Teil von dir geworden und was haben all diese Jahre mit Art Abscon aus dir gemacht?

Das ist eine sehr lange Geschichte, die ich in dem Buch behandle, an dem ich seit Jahren schreibe und das ich nicht beenden kann, weil immer wieder etwas Neues dazukommt. Ich sage nur so viel: Art Abscon hat mir bisher ein sehr, sehr reiches Leben beschert und mir Dinge gezeigt, die wahrscheinlich nicht viele Menschen zu Gesicht bekommen. Es war sicherlich nicht immer schön, aber am Ende habe ich immer etwas Schönes daraus gemacht. Ich bin ihm dankbar für alles Schwere und alles Schöne – und vor allem dafür, dass ich durch ihn so viele interessante Menschen kennengelernt habe und an so vielen interessanten Orten gewesen bin.

Nach diesen selbstreflektierenden Fragen möchte ich dir noch eine letzte Frage in diesem Interview stellen: Wie würde ART ABSCONs schmecken, wenn es ein Tee wäre?

Dieser Tee würde schmecken wie diese Düfte, bei denen man sich nicht sicher ist, ob man sie mag oder ob sie einem zuwider sind. Wenn man den Tee nur riecht, hat er eine derart strenge und eigenartige Note, dass man sich nicht sicher ist, ob man ihn überhaupt probieren möchte und dennoch kann man der Neugier kaum widerstehen. Wenn man sich überwindet, wird man im ersten Moment von einer blumigen Fruchtigkeit überrascht, die an das erste Grün und die ersten Blüten im Frühling erinnert, nur um im nächsten Moment eine gewisse Modrigkeit zu vernehmen, die so abartig ist, dass man alles am liebsten wieder ausspucken möchte, weil man Angst hat, dass man an so einem Teufelsgebräu vielleicht krepieren könnte und man unweigerlich an nichts als den eigenen Tod denken muss. Nach einigen Momenten jedoch vermischen sich beide Noten zu einer Erfahrung, die so eigenartig ist, dass man sich nach einer Weile überwindet, einen zweiten Schluck zu probieren. Und dann ist man süchtig.

Und nun deine Chance auf ein paar letzte Worte an die Leser*innen:

Lirum, larum, Löffelstiel, wer nicht wagt, gewinnt nicht viel.

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