Nocturnal Culture Night 2019

Clan Of Xymox
Clan Of Xymox auf der Amphibühne

6. - 8. September 2019

DEUTZEN, KULTURPARK

Das Nocturnal Culture Night Festival hat längst den Status eines Geheimtipps abgelegt. Ohne damit jedoch sein besonderes Flair einzubüßen. Aufgrund der Atmosphäre und Überschaubarkeit des Kulturparks mit seinen kurzen Wegen und diversen Bäumen, die gleichermaßen Schatten spenden und – zumindest ein wenig – vor Regen schützen, stellt das NCN für Besucher als auch Musiker einen schönen Abschluss der Freiluftfestivalsaison dar. Für viele Gäste ist diese Veranstaltung gar der Festivalhöhepunkt des Jahres. So verwundert es nicht, dass man manche Besucher schon seit vielen Jahren in Deutzen antrifft. Kann man sich doch auf eine abwechslungsreiche und nicht alltägliche Bandauswahl verlassen. Neben einigen bekannten Namen, die in der Vergangenheit schon auf diversen anderen einschlägigen (Festival)bühnen zu erleben waren (beispielsweise Covenant), überraschen die Veranstalter immer wieder mit ungewöhnlichen Künstlern wie Atari Tennage Riot, die mit ihrem „Digital Hardcore“ zwischen Punk, Noise und Breakbeat das Publikum „verstörten“ oder dem Ex-Kraftwerk-Musiker Wolfgang Flür, der am zweiten Festivaltag nach Mitternacht auf der Parkbühne den elektronischen Abschluss bildete.

Im Rahmen des Vorworts des Programmheftes gewährte Festivalchef Holger Troisch einen überraschend persönlichen Einblick in die eigene Gemüts- bzw. Gedankenwelt: „14 Jahre NCN waren/sind eine verdammt geniale Zeit. Aber will ich das 15. NCN unter den Bedingungen noch weitermachen? Immer muss alles ‚höher, schneller, weiter‘ sein… Die gleichen Bands wie überall. Alle zwei bis drei Jahre in der Rotation mit dabei sein? NEIN, nicht mit mir, ich werde mich nicht verkaufen, lieber schließe ich als Letzter die Tür hier zu.“ Von den anstrengenden Wochen und Monaten, die dem 14. NCN vorausgingen und dem Umstand, dass die Veranstaltung gar auf dem Spiel stand, spürte man nichts. Gerade die Tatsache, dass man sich nicht an der Dauerrotation der großen Freiluftfestivals beteiligt, schätzen viele Gäste. Ebenso der oftmals als „familiär“ beschriebene Rahmen ist für viele „Wiederholungstäter“ ein nicht unerheblicher Faktor, erneut in den Kulturpark zu kommen.

Zudem ist es bemerkenswert, welche Musikprominenz aus den 80er Jahren nach Deutzen gelockt werden kann. In diesem Jahr betrat die britische Synthie-Pop-Band Heaven 17, die mit dem Song „Temptation“ 1983 für einen absoluten Ohrwurm sorgte, die Amphibühne und entführte in die Dekade, in der viele der Anwesenden musikalisch sozialisiert wurden. So war es wohl kaum verwunderlich, dass man nach der kompakten Darbietung von David Bowies „Let`s dance“, dem erwähnten „Temptation“ und „Being boiled“ (das Martyn Ware vor seiner Trennung von Human League und der Gründung von Heaven 17 mitgeschrieben hatte) in viele melancholisch-glückliche Gesichter sah.

Hörte man sich unter den Besuchern um, wurde immer wieder die einmalige Atmosphäre erwähnt. Kritik gab es hingegen wenig: Einzig die Getränkepreise (5 Euro für einen halben Liter Wasser) und die Tatsache, dass für das Verrichten der menschlichen Notdurft extra bezahlt werden musste und die Anzahl der zur Verfügung stehenden Toiletten sehr überschaubar war, stieß auf wenig Gegenliebe. Selbstverständlich konnten diese Umstände der allgemein gelösten Stimmung nicht schaden.

So entspannt wie das Publikum wirkten auch viele Musiker, denen die eine oder andere lockere Bemerkung über die Lippen kam. Bei Haujobb wurde die Kassette gestartet, Die Selektion „feierten“ ihren Auftritt mit viel Sekt und „dienten für 60 Minuten zur Bespaßung“ der Anwesenden und Bobin Eirth von In Gowan Ring berichtete von einem Montag beim Leipziger Wave-Gotik-Treffen, an dem sein Kopf nach dem mehrtägigen Konsum von diversen stimulierenden Substanzen aufklappte, er ganz klare Erinnerungen an seine Kindheit hatte und den Song „Secret Garden“ schrieb. In Gowan Ring war eine dieser eher ungewöhnlichen Bands, die den Besuchern auf der beschaulichen Kulturbühne ruhige, folkige Momente bescherte. Aber ebenso lärmende Auftritte aus den Bereichen Industrial/Noise wurden geboten. Kleine und große Projekte, die bei anderen Festivals selten im Programm auftauchen – wie dem Rhythm’n’Noise-Duo Winterkälte, Motor!k (einem spannenden Projekt des ungewohnt Gitarre spielenden Dirk Ivens – u. a. bekannt als Mitglied von The Klinik, Dive und Absolute Body Control) oder Parzival, deren Sänger stimmlich ein wenig an Laibach erinnerte, wovon man sich im Laufe des Festivals überzeugen konnte. Schließlich stand das slowenische Künstlerkollektiv am Samstagabend auf der Amphibühne und bot ein großartiges Konzert mit einer tollen Setlist: Alle gegen Alle, B Mashina, Brat Moj, Love On The Beat, See That My Grave Is Kept Clean, Tanz mit Laibach… Einfach großartig und trotz sieben Coverversionen wie aus einem Guss. Laibach verstehen es wohl wie kaum eine andere Band, fremdes Material zu adaptieren und ihm den eigenen Stempel aufzudrücken. Kurz wurde zwar die Bühnenpräsenz von Sängerin Mina Špiler vermisst, die in den vergangenen Jahren einen hervorragenden Kontrapunkt zum in sich ruhenden Sänger Milan Fras (was für eine Stimme) setzte; doch zumindest gesanglich konnten zwei Backgroundsängerinnen die Abwesenheit von Mina perfekt kompensieren. Und so war der Auftritt von Laibach sicherlich für viele Besucher eines der diesjährigen Höhepunkte, von denen insbesondere der zweite Tag einige bot.

Bereits zur Mittagzeit sorgten Rosi, die musikalisch an große Namen der 80er Jahre wie The Cure erinnerten, für ein kurzweiliges und sehr hörenswertes Konzert. Auch die musikalischen Wurzeln des kanadischen Quartetts Actors liegen eindeutig im Post Punk der 80er. Nichtdestotrotz klang die Darbietung frisch und wusste das Publikum zu begeistern. Wie das Konzert von Clan Of Xymox, die vor einer fast vollen Amphibühne ihre Spielfreude zeigten und Pink Turns Blue, die aus einer endlos erscheinenden Fülle außerordentlicher Songs schöpf(t)en und deren Melodien und Worte mitrissen: „Cause I’m walking on both sides, I’m walking on booooth sides…“
Als der erste Song des türkischen Duos She Past Away erklang, hätte der Bereich vor der Parkbühne kaum voller sein können. Das Interesse war riesig. Die Band zahlte dies mit einem gewohnt zurückhaltenden, aber musikalisch hervorragenden Auftritt zurück.

Allen Konzerten gerecht zu werden, ist unmöglich. Schon allein aufgrund der Tatsache, dass zumeist zwei Bühnen parallel bespielt wurden. So luden die kurzen Wege dazu ein, sich hin und wieder auf neue, unbekannte Klänge einzulassen. Manch neugieriger Gast war von der selbstbewussten und außergewöhnlichen Vorstellung von Sängerin Emese Arvai-Illes gleichermaßen erstaunt wie begeistert. Black Nails Cabaret boten eine kunstvolle, experimentelle und inspirierende Mischung aus New Wave und Synthie Pop und waren eine, wenn nicht gar die Überraschung des Festivals. Einem Festival, das wiederholt ein musikalisch abwechslungsreiches Programm in einem schönen Umfeld bot und das sicherlich den einen oder anderen neuen Fan dazugewonnen haben dürfte.

Line-Up:

Freitag: Kaelte, A Projection, Les Berrtas, Scream Silence, Motor!k, No More, Cryo, Still Patient?, Parzival, HaPax, Placebo Effect, Spark!, Winterkälte, Joachim Witt, Lizette Lizette, Atari Teenage Riot, Wayne Hussey

Samstag: Hätzer, Wires & Lights, Rroyce, The Arch, Sonnenkind, Rosi, State Of The Union, The Cascades, Fields Of Mildew, Desperate Journalist, Shiv-R, Neuroticfish, Har Belex, Actors, Faderhead, Clan Of XYMOX, In Slaugther Natives, Minuit Machine, Pink Turns Blue, In Strict Confidence, Sixth Comm, She Past Away, Portion Control, Laibach, Wolfgang Flür

Sonntag: Any Leave, Atomic Neon, Plastic Autumn, Traitrs, Adam Is A Girl, Zweite Jugend, Neun Welten (mussten kurzfristig absagen), Black Nail Cabaret, Stoneman, Tommi Stumpff, Monolith, Die Selektion, Haujobb, Heaven 17, In Gowan Ring, The KVB, De/Vision, Covenant

Zudem traten am Donnerstag im Rahmen einer Warm-up-Party „The Negativity Bias“ und „Deutsche Bank“ auf.

Fotos: Marcus Rietzsch

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