Dark Spring Festival 2019

Plakatwand: Zehn Jahre Dark Spring Festival

23. März 2019

BERLIN, BI NUU

2010 lud die Berliner Band „Golden Apes“ erstmals zum Dark Spring Festival ein. Schon damals bot man den Besuchern dieser feinen Veranstaltung ein internationales Programm. Neben den Gastgebern traten „Pretentious, Moi?“, „Vendemmian“ und „Whispers In The Shadow“ im legendären „SO36“ auf. Auch in den beiden darauffolgenden Ausgaben zog es die Anhänger dunkler, gitarrenorientierter Musik in den Kreuzberger Club. Im vierten Jahr fand das Festival eine neue Heimstätte. Doch das K17 (heute Nuke) sollte nur eine Zwischenstation auf dem Weg zum mittlerweile etablierten Veranstaltungsort am U-Bahnhof Schlesisches Tor – dem „Bi Nuu“ – sein. Seit mittlerweile sechs Jahren lockt eine Mischung aus altgedienten Künstlern und am Anfang ihres Schaffens stehenden Bands die Gäste des Dark Spring Festivals in den nach dem dritten Studioalbum von „Ideal“ benannten Club.

In der zurückliegenden Dekade haben die Besucher (viele sind Wiederholungstäter) einige großartige Auftritte erlebt. Wie beispielsweise von der finnischen Band „Silent Scream“: „Besonders das Schlagzeug ließ mit einem auffällig dunklen Klang und einer teils hypnotisch-rituellen Spielweise aufhorchen. Die apokalyptische Darbietung ging gleichermaßen unter die Haut wie sie begeisterte.“ Im gleichen Jahr boten „The Last Days Of Jesus“ einen mitreißenden, vom Publikum wohlwollend honorierten Auftritt: „Synthetische Klänge und Orgelmelodien umschnörkelten das Zusammenspiel von Gitarre, Bass und Schlagzeug. Was überaus viel Spaß bereitete. Zumal Sänger MaryO schon rein äußerlich etwas ‚anders‘ war: blass geschminkt, das dunkle Haar nach hinten gekämmt, eine Brille mit dickem schwarzen Gestell, schwarzes Hemd und Hosenträger – in gewisser Weise: seriös. Diesen Eindruck vernichtete er erfolgreich mit wild-eckigem Gezappel á la Joachim Witt und marionettenhaften Arm- und Beinschwenken.“ (2013)
Ebenso in bester Erinnerung geblieben ist das Konzert einer aufstrebenden türkischen Band. Der dunkle Wave von „She Past Away“ versetzte „die Gäste im Saal vollends in Bewegung“. (2014)
2015 bildeten „Merciful Nuns“ einen mehr als würdigen Abschluss: „Unmittelbar nach dem Intro brach ein Klang- und Lichtgewitter los. Die Stimmung im Publikum wurde zunehmend unbändiger. Die große Bühnenpräsenz von Sänger Artaud Seth – flankiert von Bassistin Jawa Seth und Gitarrist Jon Tmoh – riss scheinbar jeden mit. Seine eindringliche Stimme und die überaus dunkle, ja fast ‚erdrückende‘ Atmosphäre waren überwältigend.“
„Frank The Baptist“ nutzte im folgenden Jahr seinen Heimvorteil: „Unverkennbar seine Stimme. Melodisch, variationsreich und temperamentvoll. Und irgendwie klangen die dargebotenen Lieder optimistisch und schafften eine fröhliche Stimmung. Füße stampften, Köpfe nickten. Der Funke sprang sofort über. Alle waren ausgelassen: Musiker und Publikum.“
Vor zwei Jahren standen „And Also The Tress“ zum Abschluss auf der Bühne des „Bi Nuu“: „Die bereits 1979 gegründete Band ist für den Einsatz ungewöhnlicher Instrumente (Klarinette, Saxophon) bekannt und reichert die aus Post-Punk-Klängen bestehende Grundsubstanz zur Freude der Fans so durch ungewohnte Töne an. Die poetische Musik wurde mit großer Begeisterung und viel Applaus quittiert.“
Im vergangenen Jahr war das Festival bereits einige Tage vorher restlos ausverkauft. Bestätigung und verdienter Lohn für hervorragende Arbeit. Und natürlich für ein grandioses Line-up. Unvergesslich ist der Auftritt der belgischen Formation „Whispering Sons“ – gewiss einer der Höhepunkte der zehnjährigen Festivalgeschichte: „Nach beschreibenden Worten suchend kommen mir als erstes ‚beispiellos‘ und ‚großartig‘ in den Sinn. Ebenso wie ‚erstklassig‘. Oder ‚fesselnd‘. ‚Whispering Sons‘ sind im Bereich des Post-Punks zu Recht eine Band der Stunde, was sie an diesem Abend eindrucksvoll unter Beweis stellen konnten. Sind Stücke wie beispielsweise ‚Wall‘ und ‚Performance‘ auf Platte schon herausragend, gewinnen sie live noch an Intensität. Aber auch zahlreiche bisher unveröffentlichte Titel standen dem in nichts nach. Schwelgerische Gitarrenmelodien, tiefe Bassläufe, sich in den Körper schleichende Rhythmik und synthetische Klänge ergaben eine faszinierende Mixtur, der man sich nicht entziehen konnte. Gekrönt von Sängerin Fenne Kuppens, die nicht nur mit ihrer herrlich dunklen Stimmlage, sondern ferner mit so manch emotionalem Ausbruch begeisterte. Das voller Inbrunst ins Mikrophon geschriene ‚Insight‘ verursachte Gänsehaut.“

Zweifelsohne könnte diese Huldigung noch durch den einen oder anderen Namen ergänzt werden – fallen die persönlichen Höhepunkte schließlich äußerst unterschiedlich aus. Nicht unerwähnt bleiben sollten die „Golden Apes“, die nicht nur organisatorisch im Hintergrund bei jeder Auflage tolle Arbeit leisten, sondern ebenso im Rampenlicht stehend für eine schöne Atmosphäre sorg(t)en: „Heftiger Rhythmus gepaart mit Düsternis fuhr in Kopf und Beine. In der Dunkelheit erblickte man nun das eine oder andere erfreute, in sich hineinlächelnde Gesicht.“ (2014)
„Sie bleiben dem eigenen experimentellen Anspruch treu und wissen jedes Mal die Zuhörer aufs Neue in eine musikalische Welt der Melancholie zu entführen. Zentraler Fixpunkt dieser Klänge ist die dunkle, atmosphärische Stimme von Peer Lebrecht. Wie immer mit Zigarette. Wie immer zurückhaltend. Und wie immer begeisternd.“ (2015)

So wie in diesem Jahr als man zum zehnten Mal Teil des Line-ups war und u. a. das im Juni 2019 erscheinende Album „Kasbek“ vorstellte. Abgesehen von den Gastgebern wurde bisher nur „Whispers In The Shadow“ das Privileg eines weiteren Auftritts im Rahmen dieser Veranstaltung zuteil. Auch diese Vielfalt und Abwechslung prägt das Dark Spring Festival, das sich längst in den Konzertkalendern der Liebhaber der melancholischen Klangwelten des Post Punk, Wave und Gothic Rock etabliert hat.

Den Auftakt des Jubiläums gestaltete die noch relativ unbekannte Formation „Giant Waves“. Allerdings haben es nur zwei Drittel des Trios aus Russland nach Berlin geschafft. So kamen Bass und Synthesizer „vom Band“, während Sänger und Gitarrist Ilya Volchansky und Drummer Andrew Fomin ihre Instrumente bearbeiteten. Die beiden Musiker arrangierten sich mit der Situation sehr gut und absolvierten einen sympathischen und hörenswerten Auftritt vor einem interessierten Publikum.

Das Bi Nuu war bei der anschließenden Band bereits gut gefüllt. „The Foreign Resort“ lockte zahlreiche Gäste vor die Bühne, um der tief in die Seele blickenden Musik der dänischen Band Tribute zu zollen und sich von dem einen oder anderen Titel des brandneuen Albums „Outnumbered“ verzücken zu lassen. Schwelgerische Gitarrenmelodien und eine gefühlvolle Stimme standen treibenden Rhythmen und einem energiegeladenen Bassspiel gegenüber. Gleichermaßen hypnotisierend und mitreißend. Die von der überschwänglichen Resonanz des Publikums ausgelöste Begeisterung war den sympathischen Musikern ins Gesicht geschrieben. Sänger Mikkel B. Jakobsen und Steffan Petersen tauschten beständig Platz und Instrument (Gitarre/Bass) und sorgten so für zusätzliche Dynamik. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen am Schlagzeug blieb auch Morten Hansen hinter Trommeln und Becken nicht unbeachtet, sondern strahlte große Leidenschaft und Präsenz aus und zog so wiederholt die Blicke auf sich. Die Aufmerksamkeit der meisten Festivalbesucher war „The Foreign Resort“ gewiss. So möchte man fast vom heimlichen Headliner des Abends sprechen, ohne damit die Auftritte der anderen Bands zu schmälern. Schließlich wussten diese ebenfalls voller Hingabe zu überzeugen. Allen voran die beiden Frontmänner von „Whispers In The Shadow“ und „Children On Stun“.

Ashley Dayour untermalte den berauschenden Auftritt seiner vor über zwei Dekaden gegründeten Band äußerst gestenreich. Der neben der kreativen Arbeit für „Whispers In The Shadow“ u. a. bei „The Devil & The Universe“ und „Near Earth Orbit“ aktive Sänger und Gitarrist bot gemeinsam mit seinen vier Bandkollegen – Fork (Bass, Trommel), Martin Acid (Keyboard, Gitarre), Reinhard Schwarzinger (Schlagzeug) und Lazy Schulz (Gitarre) – packenden Gothic Rock. Neben klassischen Gitarrenriffs gehörten rituelles Trommeln und sphärische Synthiemelodien („The Tempest“) ebenso zum Repertoire des österreichischen Quintetts wie die rockige und theatralische Interpretation von David Bowies „I’m afraid of Americans“. Ein fesselndes und unterhaltsames Konzert.

Als gleichfalls ausdrucksstark und dazu äußerst agil erwies sich Neil Ash, einziges verbliebenes Gründungsmitglied der britischen Band „Children On Stun“. Die ihn flankierenden beiden Bandmitglieder an Gitarre und Bass blieb angesichts des Bewegungsdrangs und der kindlichen Freude des kaum zu bändigenden Sängers nur Statistenrollen. Mit einer Portion Punk sorgte das britische Trio für musikalische Abwechslung. Das abschließende, aufregende Cover von „I Wanna Be Your Dog“ – bereits 1969 von „The Stooges“ mit Iggy Pop am Mikrophon veröffentlicht – gab die unüberhörbar in den Songs verankerten musikalischen Wurzeln von „Children On Stun“ bestens wieder.

Spätestens nach diesem Auftritt ließen bei einigen Besuchern die Energiereserven merklich nach. Was allerdings nicht verwunderlich war, schließlich lag das Durchschnittsalter deutlich jenseits einer Jugendkultur. Das zehnte Dark Spring Festival verlangte Stehvermögen – im wahrsten Sinne des Wortes, waren Sitzplätze doch rar. Trotz schwindender Kräfte und dem Eindruck, dass sich der eine oder andere Gast schon auf den Heimweg gemacht zu haben schien, bekamen die beiden letzten Konzerte von den bereits erwähnten „Golden Apes“ und „Then Comes Silence“ die ihnen gebührende Aufmerksamkeit.

Der ursprünglich vorgesehene Headliner – „Drab Majesty“ aus Los Angeles – hatte langfristig abgesagt, wodurch den Veranstaltern genug Zeit blieb, einen gleichwertigen Ersatz zu suchen. Und so waren „Then Comes Silence“ alles andere als ein Lückenbüßer. Stille – wie es der Bandname suggerieren könnte – ist definitiv kein Attribut der schwedischen Band, die seit einigen Jahren beim bekannten Label Nuclear Blast unter Vertrag stehen. Vielmehr sind die rockigen Songs von „Then Comes Silence“ durch die Beschäftigung mit der Endlichkeit geprägt. Dunkel, schwermütig, teils psychedelisch angehaucht. Mit eingängigen und oftmals rhythmischen Stücken voller Intensität und Kraft begeisterte man die Besucher und setzte einen schönen Schlusspunkt des Konzertteils dieses Abends. Wer noch genügend Energie hatte, konnte anschließend zu Klassikern und unbekannteren Titeln aus der Konserve das Tanzbein schwingen.

Die Jubiläumsausgabe des Dark Spring Festivals war eine durchweg runde Angelegenheit mit einer internationalen, sehr abwechslungsreichen Bandzusammenstellung. Wir sind gespannt, wer nächstes Jahr auf der Bühne stehen wird…

Fotos: Marcus Rietzsch

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