Ein Abend mit Gänsehautcharakter: Crippled Black Phoenix in Berlin

28. März 2019

BERLIN, BI NUU

„Give me this fucking moment.” Mit diesen Worten bat Multi-Instrumentalist R. Pattern aka Ryan Patterson der Band „Fotocrime“ das Publikum um fünf Minuten Ruhe für einen Song, der ihm besonders am Herzen liegt. Leider ist es mittlerweile keine Seltenheit, dass hingebungsvollen Musikern und interessierten Hörern von einigen (wenigen) Konzertbesuchern kein Respekt entgegengebracht wird und man sich lieber lautstark unterhält anstatt zuzuhören oder zumindest den Raum zu verlassen. Neben dem erwähnten kreativen Kopf bestehen „Fotocrime“, die erst vor zwei Jahren ihr Live-Debüt gaben und sich dem dunklen Post-Punk verschrieben haben, aus Shelley Anderson und Nick Thieneman. Bedauerlicherweise haben die Beiden R. Pattern nicht nach Berlin begleitet. So eröffnete der Sänger und Gitarrist, dessen Sonnenbrille angesichts persönlicher Texte wie ein Schutz wirkte, einen abwechslungsreichen Abend als Solist. Die eigene Beschreibung der Musik machte neugierig: „Fotocrime schafft eine Verbindung zwischen den Schatten der Unterwelt des American Dream aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, den geisterhaften Ecken des Nachkriegseuropas und dem gegenwärtigen Moment und haucht der Paranoia des Kalten Krieges, der heutigen Malaise und dem rauchigen Noir neues Leben ein.“ Gestenreich untermalt überzeugte die Mischung aus sanften Melodien, rhythmischen Drum Machines, Synthesizer-Sequenzen und rockigen Gitarrenriffs und wurde vom Publikum mit gebührendem Applaus belohnt.

Auch Tobias Grave, Frontmann der zweiten Band des Abends, wollte sich nicht schutzlos den Blicken der Anwesenden stellen und zog eine Kapuze tief über den Kopf; angesichts autobiografischer, zutiefst intimer Texte mit überaus dramatischem Hintergrund mehr als nachvollziehbar. Einige Songs entstanden im Krankenhaus, als sein neugeborener Sohn wochenlang mit dem Tode rang und diesen Kampf letztendlich verlor. Grave schrieb Stücke über diesen Verlust, seinen Kampf gegen die Drogensucht und das beklemmende Gefühl der Leere. Das Komponieren und Texten glich einer Therapie, ohne die der Musiker wohl durchgedreht oder zurück in die Drogenabhängigkeit geglitten wäre. So standen die während dieser harten Phase entstandenen Klagelieder im Mittelpunkt des Sets. Die schwermütige und emotionale Musik – u. a. beeinflusst von den frühen U2, Gun Club und The Replacements und wiedergegeben von Conrad Vollmer (Gitarre), Owen Glendower (Bass) und Adam Bulgasem (Schlagzeug) – hatte Gänsehautcharakter. Über allem schwebte die harte Realität von Leben und Tod. Die Erkenntnis, dass Freud und Leid eng miteinander verwoben sind. Schwermütiger Post Punk, in dem sich die Zuhörer uneingeschränkt verlieren konnten…

Bestand während der Konzerte von „Fotocrime“ und „Soft Kill“ die Möglichkeit, sich in die vorderen Reihen vorzuarbeiten, gab es kaum noch ein Durchkommen, als drei Gitarristen, ein Schlagzeuger, zwei KeyboarderInnen, eine Sängerin und ein Bassist die Bühne betraten. Allein dieser Anblick war imposant. Doch noch lange nicht so beeindruckend, wie die aufwändig arrangierten und überlangen „Endzeitballaden“ von „Crippled Black Phoenix“. Die Einflüsse reichen von Progressive Rock und Post Rock über Alternative Rock und Stoner Doom bis hin zu Space Rock. Eine Schublade für das Projekt von Justin Greaves, der seit der Gründung 2004 mit wechselnden Musikern zusammenarbeitet, zu finden, ist schier unmöglich. Die spannende und vielfältige Mischung aus den unterschiedlichsten Spielarten der Rockmusik löste pure Begeisterung aus. Für zusätzliche Dynamik und Abwechslung sorgte die Verteilung der Gesangsparts auf Daisy Chapman, Daniel Änghede und Belinda Kordic. Die Setlist umfasste neben zahlreichen eigenen Stücken zwei Coverversionen. So wurden der Swans-Titel „The Golden Boy That Was Swallowed by the Sea” ebenso wie „Echoes” von „Pink Floyd” im Stil von „Crippled Black Phoenix“ dargeboten. Schleppend, gitarrenlastig, gefühlvoll. Doch der absolute Höhepunkt sollte noch folgen. Das über zehnminütige „Burnt Reynolds“ war mehr als ein krönender Abschluss, verursachte ein vielstimmiger und äußerst ausdauernder Chor von Konzertbesuchern Gänsehaut. Die Musiker waren angesichts dieser Leidenschaft sichtlich angetan und animierten das Publikum, nicht nachzulassen. Wow. Was für ein beeindruckender Schlusspunkt eines vielfältigen und spannenden Konzertabends, der angesichts der unterschiedlichen musikalischen Ausrichtung der drei Bands den einen oder anderen Horizont erweitert haben dürfte.

Fotos: Marcus Rietzsch

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