Mit einer gewissen Ratlosigkeit blicken wir auf den Gebäudegrundriss, der uns vor der Tour ausgehändigt wurde. In den langen Gängen der beiden riesigen, in den 1970er Jahren erbauten Krankenhauskomplexe verliert man schnell die Orientierung. Vorbei an zahllosen, mittlerweile leer stehenden Räumen suchen wir die im Plan eingezeichnete Schwimmhalle.
Abgeschirmt von der Bevölkerung waren Behandlungen in der Spezialklinik des Ministerrates der DDR einzig Regierungs- und hochrangigen Parteimitgliedern vorbehalten. Erich Honecker, Generalsekretär des Zentralkomitees (ZK) der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und somit Staatsoberhaupt, hatte gar eine persönliche Suite. Eine autarke Bunkeranlage – inklusive Operationssaal – stand zudem im Fall eines Atomkriegs zur Verfügung.
Das mit modernster Technik ausgerüstete Krankenhaus in Berlin-Buch löste eine 1950 eröffnete Klinik in Berlin-Mitte als Regierungskrankenhaus Nummer 1 ab. Trotz strenger Bewachung zweifelten die Machthaber an der Sicherheit des alten Hospitals. Zu nahe erschien ihnen die Grenze zu West-Berlin. So wurde der Beschluss für den Bau in Berlin-Buch, wo bereits der größte Klinikkomplex Europas (3000 Betten) angesiedelt war, gefasst.
Die Versorgung und Ausstattung in den Kliniken unterschied sich beträchtlich. Wohnten die privilegierten Patienten des Regierungskrankenhauses in Ein-Bett-Zimmern mit Fernseher und Telefon, musste sich der „Normalbürger“ teils mit 12-Personen-Schlafsälen inklusiver einer einzigen Waschgelegenheit und einem eher bescheidenen technischen Standard begnügen.
In der Spezialklinik, für deren Zugang ein Sonderausweis benötigt wurde, standen hingegen modernste diagnostische und therapeutische Gerätschaften zur Verfügung – wie beispielsweise einer von nur zwei in der DDR vorhandenen Computertomographen. Zudem kamen die Patienten in den Genuss einer ausgezeichneten Verpflegung und einer luxuriösen Umgebung. Hinsichtlich benötigter Medikamente gab es ebenfalls keinen Mangel: Arzneimittel wurden auch kurzfristig durch einen Mitarbeiter der Staatssicherheit (Stasi) in West-Berlin beschafft.
Die sich in unmittelbarer Nähe befindliche Klinik des Ministeriums für Staatssicherheit – das zweite Objekt unserer Tour –– war ebenso nur einem bevorzugten Personenkreis zugänglich. An jener Stelle wurden Mitarbeitern des MfS und befreundeter Geheimdienste bestmöglich medizinisch versorgt.
Selbstverständlich sollte die Bevölkerung der DDR von dieser Bevorzugung nichts wissen. Geheimhaltung wurde groß geschrieben. Die Krankheiten der Regierenden waren Staatsgeheimnisse. Die beiden eigenständigen und gesondert bewachten Anlagen glichen Hochsicherheitstrakten mit sorgfältig ausgewähltem und entsprechend indoktriniertem Personal.
Während wir verschiedene Stockwerke der Plattenbauten „untersuchen“ und uns an Entdeckungen wie zurückgelassenen Betten und alten Medizinfläschchen erfreuen, schießen mir Gedanken über Sozialismus, Kommunismus, Gleichbehandlung und Gerechtigkeit durch den Kopf. Wie die Geschichte dieses einst geheimen Ortes eindrucksvoll zeigt, herrschte – wie in vielen Bereichen – auch bei der medizinischen Versorgung im Arbeiter- und Bauernstaat eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Nicht verschwiegen werden sollte allerdings, dass man in der BRD ebenfalls weit von einer einheitlichen Behandlung entfernt war (und ist).
Erst 1990 wurden die Gebäude für das „gewöhnliche“ Volk geöffnet und wenig später dem städtischen Klinikum eingegliedert. 2001 übernahm die Helios Klinik die Einrichtung. Seit einem Umzug im Jahr 2007 sind die Bauwerke verwaist. Lediglich interessierte Besucher mit Kameras wandern auf der Suche nach Fotomotiven und auf den Spuren der jüngeren deutschen Geschichte durch die verlassenen Treppenhäuser, Gänge und Zimmer. Uhren, die längst ihren ursprünglichen Zweck aufgegeben haben, scheinen symbolisch für den Stillstand dieses Ortes zu sein. Neben diesen und anderen kleinen Details ist die eingangs erwähnte Schwimmhalle ein Höhepunkt. Eine große Fensterfront erhellt den Raum und lässt den Luxus dieser Klinik mehr als erahnen. Zum Abschluss unserer Tour nutzen wir die Möglichkeit, das frei zugängliche Dach zu besteigen und einen Rundumblick zu erhalten.
Unser etwa dreistündiger Aufenthalt reichte nicht aus, um jeden Winkel zu „erforschen“. Gewiss blieben uns einige sehenswerte Motive verborgen. Die reguläre von go2know angebotene Tour umfasst sieben Stunden, die wohl nötig sind, um alles ausgiebig zu erkunden.
Fotos: Marcus Rietzsch
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