Von Pömmelte im Norden Sachsen-Anhalts bis nach Goseck im Süden des Bundeslandes erstrecken sich die sogenannten Himmelswege. Stationen auf dieser Route sind geschichtsträchtige Orte aus tausenden von Jahren der Siedlungsgeschichte dieses Landstrichs. Gerade südlich von Halle an der Saale häufen sich die Sehenswürdigkeiten. Und einer dieser Orte ist mir persönlich sehr ans Herz gewachsen: Das Sonnenobservatorium Goseck.
Vor tausenden von Jahren beobachteten die Menschen den Himmel. Sie orientierten sich am Stand der Sterne und dem Verlauf der Sonne. Seitdem sie sesshaft geworden sind und der Ackerbau ein wichtiger Teil der Nahrungsversorgung ausmachte, wurde es immer wichtiger, den Verlauf des Jahres zu kennen. Unsere heutzutage als Frühling, Sommer, Herbst und Winter bezeichneten Jahreszeiten markierten wichtige Ereignisse in der Aussaat und Ernte von Getreide und Feldfrüchten. Bestimmte Sternenkonstellationen und der Aufgang und Untergang der Sonne markieren diese wichtigen Punkte im Jahreskreis. Zur besseren Beobachtung dieser Naturereignisse suchten Menschen nach passenden Beobachtungspunkten. Einer dieser Punkte liegt in Goseck, einem mittelgroßen Ort zwischen Weißenfels und Naumburg.
Von einer Anhöhe aus kann man am Horizont eine Hügelgruppe sehen. Zur Winter- und zur Sommersonnenwende geht an dieser Hügelgruppe die Sonne an markanten Landschaftspunkten auf und unter. Um dieses Wissen festzuhalten, errichteten vor 7.000 Jahren steinzeitliche Bauern an jener Stelle eine Kreisgrabenanlage. Diese bestand aus einem Erdwall sowie aus zwei kreisrund angeordneten Holzpalisaden mit einem Durchmesser von 75 Metern. An bestimmten Punkten wurden Pfosten in diesem Kreis ausgelassen. Diese Lücken markierten die Stellen, an denen die Sonne zur jeweiligen Sonnenwende unter- und aufging. Diese vier Lücken werden um einen breiten Zugang zu der Kreisanlage ergänzt, zu welchem ein Prozessionsweg hinaufführte.
Es ist nur schwer nachzuweisen, welche Zeremonien wirklich an jenem besonderen und bestimmt auch heiligen Ort abgehalten wurden. Opferrungen, rituelle Feiern mit reichlich berauschenden Getränken, Speiseopfern und Gesang sind denkbar und teils archäologisch nachweisbar. Ebenfalls nachweisbar ist eine Nutzung dieses Kultareals über eine lange Zeit.
Nachdem man die Überreste der Anlage im Jahre 1991 bei Flügen über das Gelände im Rahmen archäologischer Analysen entdeckte, wurde das Areal bei Grabungen erschlossen. Auf Grundlage der Funde wurde dieses besondere Bauwerk an historischer Stelle rekonstruiert und seit 2005 kann man inmitten des Holzwalls wieder die Sonnenwenden beobachten.
Im Jahre 2020 besuchte ich zum ersten Mal diesen Ort. Am Tag schaute ich mir das Areal an und fuhr anschließend zum Schloss Goseck, um die dazugehörige Ausstellung zu besuchen. Wie bei meinem ersten Besuch von Goseck zur Sommersonnenwende treffen sich auch heute noch zahlreiche Menschen an diesem besonderen Tag. Es ist eine bunte Mischung aus Touristen, Ortsansässigen und Anhängern des alten Glaubens. Decken werden inmitten der Kreisanlage ausgebreitet, mitgebrachte Getränke und Speisen werden verzehrt und es wird sich munter ausgetauscht. Dabei herrscht eine besondere Akustik inmitten der Kreisanlage, in der die Geräusche und Töne verstärkt werden. Doch sobald die Sonne sich dem Horizont nähert und damit in einer der oben beschriebenen Aussparungen in der Baumstammpalisade zu sehen ist, verstummen alle Gespräche. Gespannt blickt die Menge zu jener Stelle, bis die Sonne gänzlich versunken und der Horizont nur noch im klimmenden Rot zu sehen ist. Ein tiefer Moment, gerade wenn man sich vor Augen führt, dass vor tausenden Jahren bereits Menschen an eben jener Stelle standen und einem ähnlichen Spektakel beiwohnten. 2021 war ebenso das Jahr, in dem ich zum ersten Mal der Wintersonnenwende beiwohnte. Diesmal jedoch mit dickerer Kleidung und einem wärmenden Heißgetränk in der Thermosflasche. Und auch diesmal verstummte ich in stiller Betrachtung der Sonne.
In der heutigen Zeit empfinde ich dieses Ritual als etwas Erdendes. Ich nehme bewusst den Kreislauf der Gestirne und der Jahreszeiten wahr. Ich folge einer Tradition, die Teil meines eigenen Jahreskreislaufes ist. Einen Ort zu haben, an dem man innehalten kann, jenseits vom Alltag und an dem man zu jenen Daten Freunde trifft, die man nicht allzu häufig sieht und sich über das Vergangene und Kommende unterhält, verbindet und löst ein Gefühl von Heimat aus. So ist Goseck nicht nur aus archäologischen Gründen faszinierend, sondern ebenso aus menschlichen.
Und wie ich nun diese Zeilen tippe, so freue ich mich über den kommenden Frühling und die nahende Sommersonnenwende. Nach jenem Moment der Einkehr. Und wieder trage ich das Lied „Solringen“ von „Wardruna“ wie bei meiner ersten Sonnenwende an jenem Ort im Ohr und sehe die rotscheinende Sonne durch jene Lücke inmitten der Baumstämme über einem Hügel am Horizont untergehen. Und wieder scheint so ein Moment Geschichte auf, ganz als gäbe es eine direkte Verbindung zu den Menschen von vor 7.000 Jahren…