Es war ein fulminantes Comeback, das „Dead Can Dance“ vor mittlerweile sechs Jahren mit „Anastasis“ feierte. Schon das Cover, die Schwarz-Weiß-Aufnahme verwelkender Sonnenblumen, machte deutlich, in welche Richtung die Musik auf dem Album ging. Und obwohl die blankpolierte musikalische Ästhetik auf „Anastasis“ nicht allen Fans gefiel, setzte sie doch den eingeschlagenen musikalischen Weg aus den 80ern und 90ern konsequent fort.
Seit dem Spätherbst 2018 gibt es nun endlich neues Material, das neunte Studioalbum namens „Dionysus“. Erneut trägt es also einen griechischen Titel. Das Cover gibt sich betont farbenfroh, wird von einer bunten Maske im Anschnitt geziert, und traurigerweise sagt auch dieses Cover wieder viel über die Musik auf dem Album aus.
Doch der Reihe nach. „Dionysus“ widmet sich als Konzeptalbum dem berühmten griechischen Gott des Weines, des Feierns und des Rausches. Es ist also per se ein fröhliches Album – und ja, damit steht es sämtlichen bisher erschienen „Dead Can Dance“-Alben diametral entgegen.
Die Stücke sind als eine Art Begleitung zur klassischen Geschichte der Gottheit angelegt. Die Titel verraten, welcher Teil der Legenden jeweils vertont wird. Da geht es bei „Dance Of The Bacchantes“ beispielsweise hörbar bewegungsfreudig zu, und „The Invocation“ lässt eine Anrufung vor den Augen der Hörer entstehen. Es lohnt sich überhaupt, vor dem Lauschen von „Dionysus“ noch einmal die Legenden rund um den umtriebigen Zeus-Sohn nachzulesen.
Zu Beginn des Albums wie auch der Geschichten taucht Dionysus aus dem Meer am Strand auf. Man kann die Wellen rauschen hören, ein knarrendes Holzboot anlanden. Trommeln und Schalmeien spielen zum Tanz. Am Ende der Platte, wenn der Gott in die Unterwelt hinabsteigt, wird es sphärischer.
Überhaupt, die Naturgeräusche: Da trällern Vögel und summen Bienen. Perry mischt dazu, wie schon auf anderen „Dead Can Dance“-Alben, Synthesizerklänge gekonnt mit traditionellen Instrumenten verschiedener Völker, Zeiten und Kulturen. Exotische Instrumente wie die persische Rahmentrommel Daf oder die slowakische Hirtenflöte Fujara sind zu hören. So weit, so gut – so bunt.
Kritik lässt sich dennoch leider genug üben. Zum einen ist „Dionysus“ sowohl ein sehr kurzes als auch nur spärlich ausgestattetes Album. Das Werk ist unterteilt in zwei Akte, die insgesamt nur sieben Titel umfassen und über eine gute halbe Stunde Hörzeit nicht hinauskommen. Trotzdem wird dafür der Preis einer regulären CD beziehungsweise Schallplatte fällig. Zum anderen taucht in Akt I zunächst überhaupt kein Gesang auf, in Akt II gibt es ihn nur am Rande.
Und wer immer dachte, „Dead Can Dance“ wären ein Duo, das aus Brendan Perry und Lisa Gerrard bestünde, der wird auf „Dionysus“ eines Besseren belehrt. Während Perry sich bei dem Album nämlich für Konzeption, Musik, das Plattendesign und sogar die Coverfotografie (also so ziemlich alles) verantwortlich zeichnet, ist der traumhafte Gesang Gerrards nur am Rande zu hören. Man hat den Eindruck, sie schwebe gemeinsam mit dem bulgarischen Frauenchor, mit dem sie zuletzt ein eigenes Album aufgenommen hat, gleichsam nur mal kurz vorbei, um Hallo zu sagen.
Um Missverständnissen vorzubeugen: „Dionysus“ ist kein schlechtes Album. Sound und Produktion sind erwartungsgemäß hervorragend, die Arrangements natürlich sinnvoll verwoben, das ungetrübte Hörerlebnis garantiert. Brendan Perry weiß schon, was er kann, und tut das auch. Aber „Dionysus“ ist durch das Fehlen jeglicher Traurigkeit und Melancholie schlicht und einfach kein „Dead Can Dance“-Album. Es gibt keinerlei „Hach“-Momente, kein Staunen und verwundertes Innehalten. Und beim Konzert vor Ergriffenheit weinen, wie noch auf der Tour zu „Anastasis“ geschehen, wird wohl auch niemand mehr. Hier hat Perry sein eigenes Ding durchgezogen. Für alle Fans ist das ein herber Verlust.