Live in Berlin: HENKE + Coma Divine

8. April 2012

BERLIN, K17

Ostersonntag. Die einen verbrachten den Tag mit der Suche nach bunt bemalten Eiern, die angeblich ein mysteriöser Hase versteckt haben soll, die anderen freuten sich auf das Abschlusskonzert des ersten Tourteils von „Coma Divine“ und „Henke“ im K17 in Berlin.

Überaus pünktlich betraten gegen neun Uhr einige bekannte Gesichter die Bühne. Unverkennbar und allen voran die rothaarige Sonja Kraushofer (ansonsten bei L’âme Immortelle und Persephone aktiv). Daneben – die typische Kopfbedeckung tief ins Gesicht gezogen – der Saitenbändiger Ashley Dayour, u.a. bekannt als Frontmann von Whispers In The Shadow. Im Hintergrund nahm Martin Höfert (Persephone und ehemals Sopor Aeternus) mit seinem Cello Platz. Das musikalische Quintett wurde durch den Bassisten Franz Heinrich Lirsch und den Schlagzeuger Wolfgang Luckner vervollständigt. Irgendwo zwischen alternativem Rock und metallischer Härte präsentierten „Coma Divine“ eine Mixtur aus dunklem Bass, treibender Rhythmik, verzerrten Cellomelodien und harten Gitarrenriffs. Insbesondere der Einsatz des Cellos und vielfache Wechsel versahen die zuweilen rauen Klänge mit einer ungewöhnlichen Note. Ganz im Mittelpunkt agierte Sonja Kraushofer, die in ruhigeren Passagen gedankenverloren und sehnsüchtig den Blick „gen Himmel“ schweifen ließ, ansonsten aber voller Energie zu stecken schien. Impulsiv und leidenschaftlich „wand“ sie sich auf der Bühne. Stellenweise eingängige Refrains wie bei „Burn, Sister“ sorgten für einen schnellen Wiedererkennungsfaktor. Dieser stimmungsvolle Auftakt und erster Teil des Abends ging schnell vorbei. Für Sängerin Sonja Kraushofer sollte der Abend jedoch noch nicht beendet sein…

Seit 2009 ist Oswald Henke, Jahrgang 1967, nun gemeinsam mit vier Musikern – Tobi, Stefan, Benni und Tom – unter dem Namen „Henke“ unterwegs. Präsentiert und interpretiert werden Stücke von „Goethes Erben“, „Artwork“, „Erblast“ und – wie an diesem Abend – zunehmend besondere neu komponierte Songs. Vor allem bekannt wurde der Sänger durch seine 1989 gegründete Band „Goethes Erben“. Doch auch andere Projekte, die er initiierte oder bei denen er auch „nur“ mitwirkte – Musiktheater, Theater, Schauspieler, Regisseur, Kolumnen- und Bücher-Schreiber, andere Band-Projekte – zeugen vom Können und Ideenreichtum dieses Multitalentes.

Nach einer kurzen Umbaupause begleiteten erwartungsvolle Blicke und Beifall den Sänger und seine Musiker auf dem Weg auf die Bühne. Und schon befand man sich mittendrin in emotionsgeladenen Texten und mitreißender Musik. Oswald Henke lebte und fühlte dieses Konzert. Dämonisches Kreischen, trauriges Hauchen, schmeichelndes Flüstern, triumphierendes Donnern – dieser Sänger reißt sein Publikum mit in die Tiefen menschlicher Unvernunft und Unvermögen. Reißt mit in hässliche und verstörende Geschichten. Die Welt ist nicht schön und es gibt viele schlechte Menschen – Augen und Ohren davor zu verschließen ändert diese Welt nicht. Henke machte sich Gedanken, die er dann in seinen Worten formuliert den Hörenden nahe brachte. Doch nicht nur mit Worten in unterschiedlichster Modulation – Henkes Körpersprache war mindestens genau so nuancenreich. Er sprang wütend wie ein Flaschenteufel herum, kauerte sich schmerzgebeugt, wand sich wie ein Gefolterter, stemmte sich trotzig gegen Zwänge. Faszinierend anzuhören und anzusehen. Der bildgewordene Wahnsinn der Welt. Man wünschte, sich genau so ausdrücken zu können. So die eigene Wut, die eigenen Zweifel, die eigenen Ängste herauszuschreien und die körperliche Erstarrung gegen ein kräftiges Aufstampfen einzutauschen. Aber jedem ist es nicht gegeben. So gesehen spiegelte Oswald Henke so manchen Gast vor der Bühne wider.

Und so lebte und fühlte das Publikum bei jedem Titel mit. Oft brandete Beifall inmitten eines Stückes auf. Das Gefallen durfte gar nicht so lange mit Händen bekundet werden, wie man wollte. Denn schon erklangen die ersten Töne des nachfolgenden Songs.

Die Titel selbst sind teils bekannt und auf den bisher publizierten Tonträgern zu finden, teils auch unbekannt und werden erst auf dem nächsten Album „Maskenball der Nackten“ veröffentlicht werden. Auch einige Klassiker mit besonderem Wiedererkennungswert durften selbstverständlich nicht fehlen. Wie „Nichts bleibt wie es war“ und „Himmelgrau“. Sonja Kraushofer gab in einem grandiosen und Gänsehaut verursachenden Duett mit Oswald Henke dem David Bowie Klassiker „Helden“ ihre Stimme und bei dem vorher intonierten Song „Orangenschiffchen“ bot sie dieselben auf einem Tablett dem Publikum dar. Ein kollektiver Lacher ergab sich, als Oswald das Lied „Ich protestiere“ mit einem deutlichem „Nicht“ beendete.

Zugaben wurden gefordert. Und selbstverständlich geliefert. Mehrere. Ein sichtlich ermatteter aber zufriedener Oswald verließ dann nach 23 Stücken gemeinsam mit seinen hervorragenden Musikern, denen ein ebenso großes Lob gebührt, endgültig die Bühne.

Für die Band und für die anwesende Hörerschaft war es ein wundervoller, begeisternder Abend. Einfach ein Hochgenuss. Wenn auch hier und da ein bitterer, der unter die Haut gehenden Themen wegen.

„Gothic ist tot oder an einem Wendepunkt angelangt; HENKE ist Alternativedarkmusic.“ – so liest man es auf Henkes Website. Da mögen sie durchaus Recht haben.

Danke Oswald Henke und Band für solch Worte, solche Musik, solchen Ausdruck.

Abschließend sei noch der Eindruck, es habe sich im Gegensatz zu so manch anderem Konzert ein merklich kultivierteres Publikum eingefunden, zu erwähnen. Keine lauten Gruppengespräche oder sonstiges rücksichtsloses Verhalten störten die tolle Atmosphäre. Ein rundum gelungener Abend.

Text: Edith Oxenbauer & Marcus Rietzsch
Fotos: Marcus Rietzsch

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