Live in Berlin: HENKE + Coma Divine

4. Oktober 2012

BERLIN, K17

Vor etwa einem halben Jahr waren „Henke“ gemeinsam mit „Coma Divine“ schon einmal im K17 in Berlin zu Gast. Und nun schon wieder? Langweilig? Nein, den Besuch im Rahmen des zweiten Teils der Tour 2012 ist alles andere als langweilig zu bezeichnen.

Gegen 21.00 Uhr, also wirklich erfreulich pünktlich, erschienen die Mitglieder der Band „Coma Divine“ auf der Bühne. Sängerin Sonja Kraushofer (bekannt durch „L’âme Immortelle“ und „Persephone“), unübersehbar mit ihrer wüsten feuerroten Frisur und in einem pompösen barock wirkenden Kleid, stand umgehend im Mittelpunkt.

Ihre musikalischen Begleiter in bewährter Formation: Ashley Dayour, Gitarrist (sonst Frontmann bei „Whispers In The Shadow“), Martin Höfert („Persephone“ und ehemals „Sopor Aeternus“) am Cello, Bassist Franz Heinrich Lirsch und Schlagzeuger Wolfgang Luckner vervollständigten die Band.

„Coma Divine“ boten abwechslungsreiche Musik. Rockig, hart mit brachialen Gitarrenklängen. Dazu ein Cello zwischen schwebend und verzerrt. Eine aparte Mischung. Und die voluminöse Gesangsstimme von Sonja drängte darüber, zerrte, weinte, schrie, flüsterte. Gefühle pur. Mal ein Wutanfall, mal Traurigkeit. Sonja setzte aber nicht nur ihre Stimme flexibel ein. Sie dehnte, wiegte, beugte sich. Mal wie ein Halm im Sturm, mal wie eine sich windende Kobra. Ein Temperamentsbündel, dem eine gediegene Musical-Ausbildung anzumerken ist. Eine ausdrucksstarke Frau stand da auf der Bühne. Und sie riss mit…

Nach einer kurzen Umbaupause ging es mit eindrucksvollen Stücken weiter: die Band „Henke“ erklomm die Bühne. Frontmann und Namensgeber Oswald Henke – seit über 20 Jahren mit auffallend kritischen Texten und verschiedenen Bands präsent (Goethes Erben, Artwork, Erblast) – wird nicht müde gegen die Verwahrlosung des Geistes „anzusingen“. Und gegen die galoppierende Dummheit in der Welt. Singen… nun ja, wie man es nimmt. Schreien, kreischen, flüstern. Drohend, triumphierend, verzweifelnd. Die Welt ist nicht schön. Nein, sie ist nicht schön…

Viele Titel vom bevorstehenden Album „Maskenball der Nackten“ wurden präsentiert. Und lassen das neue Werk mit Spannung erwarten. Aber auch Interpretationen „alter“ Stücke seiner früheren Projekte erfreuten das Publikum und weckten nostalgische Gefühle. Demzufolge schlugen die Wellen der Begeisterung besonders hoch.

Der rasende Dämon erschien in dem Augenblick, als Oswalds Fuß den Bühnenboden betrat. Wie besessen sprang er herum oder kauerte sich schmerzvoll zusammen. Der tägliche Irrsinn um uns herum wurde umgesetzt in nachdenklichen Worten, mitreißender Musik und Bewegungsexzentrik. Gefühle mit dem Körper und der Mimik ausgedrückt. Das Gesicht wutverzerrt, vom Schmerz zerrissen, diabolisch grinsend, angstgeweitete Augen. Fast braucht man keinen Text, um zu verstehen…

Ja, manchmal möchte man seine Ohnmacht, seine Wut herausschreien. Man ist aber wohlerzogen… Henke riss gemeinsam mit seinen vier Musikern (Tobias Schäfer, Stefan Söllner, Tom Bola und Benjamin Küfner) die Zuhörer in einen emotionalen Ausbruch. Wenigstens hier. Es tut gut, wenn man Gleichgesinnte um sich herum sieht. Wenn man spürt, es gibt sie noch, die denkenden, fühlenden Menschen. Menschen, welche die hässliche Fratze menschlicher Kälte und Unvernunft zumindest erkennen. Die Befreiung war zu spüren, wie der eine oder andere mitsangen, aufstampften, die Fäuste ballte oder Worte und Töne einfach mit geschlossenen Augen in sich aufnahm.

Wie schon im ersten Teil der Tour bot Oswald Henke im Duett mit Sonja Kraushofer den David-Bowie-Klassiker „Helden“ dar. Wenn man bedenkt, wann dieses Lied gesungen wurde: Als die Mauer noch stand. Und was seither alles geschehen ist. Da krauchte ein Schauer über den Rücken und die Augen konnten schon ein wenig feucht werden. Erinnerungen.

Bei all den neuen und alten Stücken weiß man gar nicht, was extra herausgestellt werden sollte. „5 Jahre“ vielleicht. Ein früher Text. Zum ersten Mal habe ich diesen live gehört. „… ich will hier raus!“. Das Finale des Songs gebrüllt. Wahre Panik.

Und mein derzeitiger Lieblingstitel: „Manisch aggressiv“. Oh ja, ich bin ebenfalls manisch aggressiv. Die Bandmitglieder mit quietschgelben Pulswärmern und Henke mit einem neongrünen Leuchtstäbchen. Ansingen gegen Wadenpuschel und sinnentleerte Rumsbums-Texte.

Selbstverständlich gab es die vom Publikum gewünschten Zugaben. Mehr oder weniger einsichtsvoll ließ dieses nach sechs Zugaben und insgesamt 23 Stücken die Musiker verdienten Feierabend machen. Es war ein toller Abend. Auch wenn die Themen nicht durchgehend leicht und „schön“ waren.

Ach so, eines noch: Die beim Song „Vergessen“ von der Bühne schwebenden Papierflieger waren perfekt konstruiert – diese segelten wirklich weit in den Raum hinein. Und von dort auch wieder auf die Bühne. Irgendwie sind wir doch alle Kinder.

Fotos: Marcus Rietzsch

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