Lyrik ist oft nicht einfach – kryptische Wort(un)getüme, in welche ich mich hineinfinden muss/will. Da das Wort „Teddy“ im Titel vorkommt, habe ich mich ohne groß zu überlegen und mit Spannung an dieses Lyrik-Büchlein herangewagt.
Ein quadratisches, rund 80 Seiten umfassendes und mit einer CD ausgestattetes Buch. Man kann also auch lesen lassen. Das Äußere des Paperbacks in freundlichem Schwarz ist mit einer schon grüblerisch machenden Grafik versehen: Froschmensch und Hasemensch in inniger Umarmung verschmolzen. Der Inhalt ist in vier Kapitel unterteilt: Sonett, Sonettenkranz, Schüttelreime und Limericks – was freundlicherweise im Buch erklärend beschrieben wird (für all die potentiellen Leser, für welche grundsätzlich alles „Gedicht“ ist, wenn es nicht in Romanform erscheint).
Von den auswendig zu lernenden Pflicht-Gedichten aus der Schulzeit sollte man sich gedanklich vor dem Lesen verabschieden. Jan Lindners Sprache ist schwierig. Eine Herausforderung. Manchmal recht grob, ja – unfein. Frech, sarkastisch. Und sprengt die strengen Ketten „ordentlichen“ Reimens. Es ist also kein leichtes Lesen – sondern eine Auseinandersetzung mit szenischen Wortverflechtungen.
Dabei werden im Kapitel I „Die Siedlung am Fluss“ – Sonettenkranz – geschichtliche Episoden aneinandergereiht. Beklemmende Episoden über den Alltag in einer Menschensiedlung, mit Krieg, Tod, Unglück, Naturgewalten. Drastische Worte. Zerstörung. Der Alltag, der täglich um uns und in uns ist. Es bringt nichts, sich die Welt schönzureden. Wir werden die Welt auch nicht ändern. Aber ehrlich sollten wir zu uns selbst sein.
Im Kapitel II „Liminade à la Rüttelscheim“ sind es dann Limericks und Schüttelreime, die derb-deutlich daherkommen und mich zu einem – zugegeben: etwas dreckigen – Grinsen verführen. Ein Beispiel:
Der Täter bekommt noch Bewährung
dank seiner preziösen Erklärung:
„Es war echt vermessen
den Walter zu essen –
ich änder‘ jetzt meine Ernährung.“
„Ach letztens der Günder aus Aachen, das muss ich dir nune ma saachen…“ – das sind die ersten beiden Zeilen von „Dor Audounfall“, die beweisen, dass auch Mundartiges durchaus makaber-witzig sein kann. So düster die Stimmung des Kapitel I auch war, hier sprühen Funken von hinterhältig kichernden Zeilen in Limericks und Schüttelreimen. Ein Gegenpol zu so manchem rosaroten Schlagertext oder sonstigen oberflächlichen Worthülsen unserer Tage.
Kapitel III „Vorm schwarzen Tor“ – ein Sonettenkranz, der sich mit Vergangenheit, Erinnerung, Gewissen und Schuld beschäftigt. Hier findet sich auch das Sonett VII „Der Teddybär“. Namensgeber für das Buch.
„…und zieht ein altes Kuscheltier hervor:
Das grient von ausgefransten Fäden schief.
Die losen Augen ploppen vor das Tor
und rolln noch weiter, rolln wie Geistesblitze:
Dort im Gemäuer schimmert eine Ritze!“
Manchmal steht man vor seinem eigenen Leben, dessen Vergangenheit nicht änderbar ist und sich oft genug er-mahnend vor die Gegenwart schiebt. Jan Lindner – noch jung an Jahren – beschäftigt sich erstaunlich tief mit diesem Thema. Ein sehr nachdenklich machendes Kapitel.
Poröse und pompöse Schnulzen werden im Kapitel IV besungen „Die Schlange“. Ja, über die Schlage gibt es auch ein Wortmenü und handelt vom gegessen werden, letztendlich. Aber es gibt auch eine „Ode an den Vogel: Der Broiler“, und auch hier wird jemand gegessen, letztendlich. Nein, es geht nicht nur um essen und gegessen werden. Es geht vor allem um die Rituale darum herum. Oder auch um die Moral. Das Kapitel schenkt aber auch noch anderes Freches.
Und schon bin ich durch. Durch Worte, Sätze, Reime Strophen… „So etwas gab es zu meiner Zeit nicht!“. Nein, das hier, das ist etwas Neues, der Zeit entsprechend, die sich auch von Tag zu Tag ändert. „Der Teddy mit den losen Kulleraugen“ führt mich durch abenteuerliche, frische und herausfordernde Gedankenwelten, die sich in gereimter Schriftlichkeit präsentieren. Zwar bedient sich Jan Lindner, der übrigens graduierter Philosoph ist, klassischer Formen der Lyrik, doch scheint es eher ein Spiel mit Masken zu sein. Man muss den Blick dahinter wagen.
So kann ich für mich sprechen: diese Lyrik gibt und verlangt viel. Doch was sich mir eröffnet hat, wird sich einem anderen Leser neu erschließen. Das ist spannend, überraschend und geht gegen den täglichen medialen Wortmüll an.
Was noch zu erwähnen wäre: es gibt ein Vorwort „Zum tröstenden Geleit“. Tja… also was ich nicht studiert habe: Philosophie, Philologie, Germanistik – beispielsweise. Demzufolge schaute ich in diese Sätze wie das berühmte Schwein ins Uhrwerk. Also ich empfehle, das Vorwort zum Schluss zu lesen. (Oder auch gar nicht.) So bleibt man offen für das Leseabenteuer. Völlig unwissenschaftlich genießen. Das geht!
Für die beiliegende CD hat der Autor alle Gedichte selbst eingesprochen. Ruhig, fast unberührt erscheint das. Distanziert?
Meine Leseempfehlung für Selbst-Denker: „Der Teddy mit den losen Kulleraugen“.
Buch mit CD, 88 Seiten/60 min., 16,5 x 13.5 cm
ISBN: 978-3-943876-60-4