Jan Lindner – Auf Teufel komm Rausch

Den Lyrik-Band „Der Teddy mit den losen Kulleraugen“ von Jan Lindner las ich im April des Jahres 2013. Lyrik ist schwierig. Man versucht, die Gedankengänge der Schreibers nachzuvollziehen, vermengt sie mit eigenen Emotionen und Assoziationen. Sprechen Absender und Adressat die gleiche Sprache? Wie gesagt, schwierig. Nun liegt wieder ein Buch von Jan Lindner vor mir. Diesmal handelt es sich um Prosa. Wird es dadurch leichter? Nicht wirklich. Nur anders.

Der Klappentext:
„Eigentlich ist das Sonett die bevorzugte Ausdrucksform des Leipziger Autors Jan Lindner. Aber auch seine Prosa hat es in sich. Neben dem Hang zum Absurden zeigt sich eine allgegenwärtige Düsternis in den Herzen und Köpfen seiner Protagonisten. Seine Erzählungen haben etwas von Edgar Allan Poe, erinnern an Twin Peaks und nehmen den Leser mit ins Niemandsland zwischen Alptraum, Rausch und Neurosen.“

Düsternis? Ja, irgendwie. Eine skurrile Düsternis. Und jede der kleinen Geschichten ist eine Metapher. Eine Metapher für wirkliches, gelebtes Leben. Hat man erst die Lebenswirklichkeit in den Texten entdeckt, muss man sich nur noch ein wenig umsehen. So ist „Auf Teufel komm Rausch“ kein Druckwerk, dem man sich mal eben nebenbei widmen kann.

Das kleine Buch gliedert sich in vier Teile, in denen man die seltsamsten Geschichten findet:

I. Punsch in your Face
II. Lailah
III. Zwischen Kind und Wahnsinn
IV. Der kolorierte Trunkenbold

Schon der Titel der ersten Geschichte ist bizarr: „In Kaktus we trust“. Im Mittelpunkt steht „der friedliebende Stamm der Kaktianer“, welcher wohl durch jede andere Gemeinschaft ersetzt werden könnte. Gottheit der Kaktianer ist der große Kakadu. Und wie jeder religiöse Oberguru erteilt er unbrauchbare Ratschläge. Was letztlich zum Untergang der Kaktianer führt. Und? Klingt das so unbekannt?

Aber auch die weiteren Texte weisen einen gewissen Grad an Merkwürdigkeit auf:

In „Der Mann, dessen Name Dieter war, hieß Dieter“ geht es um Liebe, verlorene und ersehnte.

„Sieben deftige Gründe, warum man nicht mit Brot über die Straße gehen sollte“ enthält keine Spur von Düsternis. Eher eine überbordende, ausufernde Phantasie. Vielleicht habe ich diese Geschichte nicht richtig verstanden – aber ich habe mich gekringelt vor Lachen.

Muss man Angesicht des folgenden Titels noch Worte verlieren? „Eintracht Prügel vs. Hangover 96 / Im Eifer des Gezechs – Ein Spielbericht zum sozialen Abstiegsduell aus der Veltins Plattenbau-Arena“. Man denke an die wochenendlichen Fan-Schlachten…

„Leilah“: Momentaufnahmen einer eigentlich unmöglichen Liebesgeschichte.

In „Matrjoschka“ vermischen sich kindliche und traumhafte Visionen. „Welches Tier würdest du gerne sein?“

Ein bedrückende Situation elterlichen Streits wird in „Marianne und der Weihnachtsmann“ geschildert – und wie sich Kinder eine Art Fluchtraum schaffen.

Der viel zu fette Junge in „Der kleine Franklin“ steht wohl als Beispiel für viele heutzutage eigentlich verwahrloste Kinder. Bewegungsarmut und Ersatzbefriedigung durch maßloses Essen.

Der kolorierte Trunkenbold“ als Teil IV ist sehr verwirrend. Eine Selbstbeschau: Suche nach der eigenen Sicht auf die Welt, die Sicht der Welt auf einen selbst. Vermögen und Unvermögen. Selbstzweifel, sich im Gegensatz befindliche Ichs. Man muss sich schon sehr auf sich selbst einlassen, um diesen Weg mitzugehen. Ein Zitat: „Kein Ding ist unmöglich, solange wir nicht an die Grenzen der Vorstellbarkeit zu stoßen drohen, solange wir nicht selbstzufrieden ankern in den stillen Gewässern der Gewohnheit.“ Ein Ausbrechen aus sich selbst? Die Fassade nach innen durchbrechen? Eine wunderbare Geschichte, welche gerade durch die geschraubte altertümliche Sprache eine Distanz schafft, bis man die Nähe zulassen kann. „Hingegen kann es doch stets ins Leere nur laufen, wenn wir bestrebt sind, vermeintliche falsche Entscheidungen, verpassten Chancen hinterherzutrauern und uns furchtbar daran abzuwetzen – wir werden es nicht rückgängig machen können und so bleibt uns als Ausweg lediglich zu geloben, es in Zukunft besser zu machen und daran zu wachsen.“  Ein wahrer, echter Blick auf das Ich, auf das Individuum, mit all seinen Fehlern und Schwächen, mit seiner Vergangenheit und Zukunft.

Was hat es nun mit der im Klappentext angekündigten „allgegenwärtigen Düsternis“ auf sich? Wenn menschliches Verhalten und Fühlen an sich schon finster ist, kann man wohl von einer „allgegenwärtigen Düsternis“ sprechen. Drehen sich die Geschichten doch um menschliche Handlungsweisen und Emotionen. Aber diese Finsternis kann es nur geben, wenn irgendwo Licht ist. Jan Lindner hat in seinen Geschichten den Menschen verklausuliert verpackt. Wer gerne über seinen selbstgewählten Tellerrand blickt, dem sei „Auf Teufel komm Rausch“ sehr empfohlen.

Die Geschichten:
In Kaktus we trust
Der Mann, dessen Name Dieter war, hieß Dieter
7 deftige Gründe, warum man nicht mit Brot über die Straße gehen sollte
Eintracht Prügel gegen Hangover 96
Leilah
Matrjoschka
Mariann und der Weihnachtsmann
Der kleine Franklin
Der kolorierte Trunkenbold

Taschenbuch, 130 Seiten, 18 x 12 cm
ISBN: 978-3-943412-23-9
Edition Subkultur

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