3. Januar 2014
DRESDEN, DREIKÖNIGSKIRCHEDer Winter ist an diesem Januarabend zwar gnädig, trotzdem richten wir uns auf keine allzu hohe Raumtemperatur ein. Das Neujahrskonzert von „Land Über“ und Lisa Morgenstern sollte schließlich in der besonderen Umgebung einer Kirche stattfinden. Und kuschelig warm ist es in einem Gotteshaus ja eher selten.
Die Dreikönigskirche präsentiert sich – integriert in einen großen Gebäudekomplex – streng, schlicht und schmucklos. Einzig der Altarbereich beherbergt eine alte Skulpturengruppe.
Das verbindende Element der beiden angekündigten Konzerte ist Benni Cellini – bekannt als Mitglied der Band „Letzte Instanz“. Gut gelaunt und bezaubernd „zurückhaltend“ begrüßt er das Publikum und stellt sogleich seinen Mit-Musiker Karl Helbig vor.
„Land Über“ definieren ihre Musik selbst als Jazz-Pop – minimalistisch, sphärisch, romantisch. Benni entlockt seinen Celli Klänge auf vielfältigste Weise: Streichen, Zupfen, Klopfen, Trommeln, Streicheln. (Eines der Celli hat die bekannte bauchige Form, sichtbar aus Holz, das andere wirkt hingegen sehr modernistisch, ist schmal und deutlich kleiner). Fremd klingen manche Töne, seltsam, eigenartig. Aber wunderschön und in einem sehr harmonischen „Gespräch“ mit dem Saxophon von Karl Helbig. Auch dieses Instrument bricht aus herkömmlichen Strukturen aus. Manchmal weht ein Ton nur wie sanfter Windhauch. Dass man Landschaften vertonen kann, haben die beiden Musiker bewiesen. Benni verrät den interessierten Zuhörern vieles über die Inspirationen, die letztendlich zu den jeweiligen Stücken geführt haben. Die erzeugten „Klangflächen“ sollten mit der Seele gehört werden, raten „Land Über“.
In einer kurzen Pause zum Durchatmen und Füße vertreten findet Benni Cellini genug Erholung, um erneut zum Cello zu greifen. Erneut entlockt er seinem Instrument irreale Töne: teilweise scheint das Cello zu schreien und aufzubegehren. Doch diesmal steht die junge Lisa Morgenstern, die durch den Mittelgang an den Stühlen der erwartungsvollen Gäste vorbei Richtung Bühne schreitet, im Mittelpunkt. Lächelnd begrüßt sie das Publikum, ehe die Zuhörerschaft in ein tiefes Schwarz gerissen wird. Das Piano „spricht“ die traurigen und zornigen Texte passend zu Lisas weit modulierender Stimme. Die Körpersprache unterstreicht die Stimmung der Lieder. Das Schmerzhafte, Verletzliche oder auch aufbegehrend Trotzige wird hör- und sichtbar. Mal steile Falten auf der Stirn, mal ein Augenaufschlag, ein prüfender Blick, abwesende Gestik. So springen die Gefühle schnell über. Man zieht die Schultern zusammen, oder versteckt aufsteigende Tränen. Denn Lisa erzwingt mit ihrem Gesang, ihrem Spiel, ihren Texten in ihren Zuhörern ein Echo, ein Echo von innen.
Lisa wandelt zwischen Schüchternheit und Stärke, Verletzlichkeit und Wut. So manchen mag die Emotionalität dieser Künstlerin unvorbereitet treffen und überwältigen. Aber auch wer Titel wie „Eskalation“, bei dem Lisa schlussendlich in ein Schluchzen verfällt und ihre Wut und Trauer hinausschreit, kennt, kann sich ihrer Wirkung kaum entziehen. Zu leidenschaftlich, zu intensiv ist das Dargebotene.
Und obwohl die Songstrukturen alles andere als herkömmlich anmuten, setzen sich Titel im Hirn fest und hallen noch eine Weile nach. Und wer nun dachte, dass das „Schwarz“ nicht dunkler werden könnte, wurde zum Abschluss eines Besseren belehrt. Mit „Lieber Tod“ und einer grandiosen Zugabe in Form einer zweisprachigen Interpretation von „Trauriger Sonntag / Gloomy Sunday“ (in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts vom ungarischen Pianisten Rezso Seress komponiert) entführt Lisa das Publikum in die tiefsten Tiefen der menschlichen Seele.
Mit teils stehenden Ovationen und vielen ergriffenen Gesichtern endet ein besonderer Abend mit beeindruckenden Künstlern.
Text: Edith Oxenbauer & Marcus Rietzsch
Fotos: Marcus Rietzsch