Lisa Morgenstern – Verwandlungen

Zusammengewürfeltes Mobiliar, kleine flackernde Kerzen, große bunte Bilder an den Wänden und ruhige, teils mit ihren Klapprechnern beschäftigte junge Menschen bestimmten die Szenerie, als wir an einem regnerischen Tag in einem Café nahe dem Tempelhofer Feld in Berlin-Neukölln auf die Sängerin und Musikerin Lisa Morgenstern warteten.

Es ist noch nicht lange her, als Lisa Morgenstern zurückgezogen in der „Kreuzmühle“ im Harz wohnte und arbeitete. Wie in einem Versteck. Bevor Freunde sie ermutigten, ihre besonderen Kompositionen und ihre ernsten Texte der Öffentlichkeit zu präsentieren. Nach einem Jahr in einem Studio in Hannover entstand neben der dortigen Arbeit das vielbeachtete erste Album „amphibian“, dessen Lieder die große Begabung einer jungen Frau widerspiegeln. Einer Frau, die nicht nur das Klavierspiel beherrscht, sondern deren variationsreiche Stimme in den Bann zieht und deren Schaffen sich schwerlich in eine Genre-Schublade stecken lässt. Alternative Klassik? Dunkle Chansons? Auf alle Fälle Musik mit viel Tiefgang und großer Emotionalität. Mittlerweile sind zweieinhalb Jahre vergangen, in denen es ruhiger um Lisa Morgenstern wurde. Was hat sich in dieser Zeit verändert? Wie sehen die Zukunftspläne der Künstlerin aus? Die Freude war groß, Lisa Morgenstern mit Fragen zum bevorstehenden Album, Konzerterinnerungen und Publikumsreaktionen zu löchern.

Nach einer herzlichen Begrüßung fanden wir uns schnell in einer regen Unterhaltung wieder. All unsere sorgfältig gesuchten und formulierten Fragen gingen in der freimütigen und vertrauensvollen Rede der stets lächelnden und natürlich auftretenden Lisa Morgenstern auf. Sensibel und ohne Allüren befand sie sich in Erzähllaune und richtete sogleich ihren Blick in die Zukunft.

Das in Arbeit befindliche zweite Album wird den Namen „Chameleon“ tragen. Chamäleons sind faszinierende Wesen und ein perfektes Sinnbild für eine wechselhafte Persönlichkeit. Sie sind launische Einzelgänger, richten ihren Blick in alle Richtungen und vor allem wechseln sie ihre Farbe. Sind sie wütend, neigen sie zu einer abwehrenden schwarze Farbe. Sie können aber auch ganz in ihrer Umgebung abtauchen. Ist der Titel des Albums ein Hinweis auf Lisas „bunte Seiten“, die Einzug in ihre Klangwelten finden? Diese Frage scheint nicht leicht zu beantworten zu sein:

„Was ist bunt? Was ist düster? Ich bin in der jetzigen Phase des Schreibens nicht ganz so traurig wie beim letzten Album – da ging es mir nicht wirklich gut. Das hat man – glaube ich – deutlich gehört.“ Allerdings ist das aktuell Entstehende „zwar immer noch irgendwie traurig, aber auf eine andere Weise. Der Unterschied ist, dass in der Traurigkeit so etwas wie Hoffnung zu hören ist.“

Lisa hat sich verändert. Sie sei ruhiger geworden und nicht mehr so „explosiv“ und aufbrausend. Und es geht ihr „auf jeden Fall besser. Es ist ja nicht so, dass es einem dauerhaft schlecht geht, wenn man eine traurige Phase hat. In Momenten, in welchen man Musik macht, lässt man die Gefühle auch mal raus, man lässt sie zu. Es ist ein unterbewusster abstrakter Prozess beim Schreiben. Gefühle, die normalerweise nicht an die Oberfläche dürfen, sollen und dürfen auch mal rauskommen.“

Ein nicht zu vernachlässigender Faktor dürfte der Wechsel des Wohnorts sein. Vom beschaulichen Harz bis hin in den Trubel der Großstadt. In der Kreuzmühle, wo ihr Debüt entstanden ist, war sie in erster Linie von „Gruftis“ umgeben. Der Umzug nach Berlin, wo sie gegenwärtig in einer Wohngemeinschaft mit „poetischen“ Italienern zusammenlebt, war eine bewusste Entscheidung. Gewiss hat Berlin sie beeinflusst und verändert, aber sie ist nach ihrer eigenen Definition „immer noch irgendwie ein Grufti.“

Indessen bietet die deutsche Hauptstadt zahlreiche Inspirationsquellen und vielfältige Möglichkeiten. Mit leuchtenden Augen berichtet Lisa von einem spannenden Konzertexperiment, welchem sie kürzlich beiwohnen konnte. Der klassische Komponist Max Richter setzte sein achtstündiges Werk „Sleep“ – was für sich gesehen schon überaus ungewöhnlich ist – auf der Bühne um. Die Konzertbesucher konnten in bereit gestellten Betten – Schlafsack und Kissen musste jeder mitbringen – von Mitternacht bis acht Uhr morgens liegend der Musik von Max Richter lauschen.

Das war ein so wunder-wunderbares Erlebnis. Ich bin so froh, dass ich in Berlin bin, wo man solche Events wahrnehmen kann. Wenn man sich wünscht, dass ein Künstler mal vorbeikommt, ist es höchstwahrscheinlich, dass er Berlin nicht auslassen wird.“

Ein anregendes Ereignis, welches sich auf ihr Schaffen auswirkt: „Ich denke schon, dass sich solche Eindrücke in meinen Liedern auch widerspiegeln. Man adaptiert solche Sachen. Man kann und will sich nicht dagegen wehren. Aber etwas nachmachen ist überhaupt nicht meins.“

Und so wird sich möglicherweise manche „Berliner“ Inspiration auf dem zweiten Album wiederfinden. Inwiefern sich die Klangwelten des zweiten Albums allerdings vom Debüt unterscheiden, wird zu hören sein. Eine definitive Neuerung stellt jedoch der Einsatz analoger Synthesizer, deren Möglichkeiten Lisa Morgenstern während einer Zwangspause vom Klavier für sich entdeckt hat.

„Ich konnte im vergangenen Winter drei Monate nicht Klavier spielen. Zwar gab ich noch einige Konzerte – was aber keine gute Idee war. Ich hatte Probleme mit der Hand.“

Für den „Kompliziertmensch“ Lisa Morgenstern – zumindest was das Klavierspielen betrifft – war der Umgang mit den simplen analogen Synthesizern eine spannende Erfahrung, die eine neue Klangseite eröffnete. Einen ersten – wie Lisa betont für das Album nur teilweise repräsentativen – Eindruck bietet das über achtminütige Stück „Levitation“, welches mit dem aus Argentinien stammenden und ebenfalls in Berlin lebenden Cellisten Sebastian Plano entstanden ist.

» Levitation

Sebastian Plano wird obendrein das neue Album produzieren. Lisa hat sich gewünscht, dass mal jemand zu ihr sagt:

Lisa, das ist viel zu kompliziert. Lass den Zuhörer auch mal atmen, lass doch alles erst einmal bei ihm ankommen, was da gerade passiert.“

Und in Sebastian Plano hat sie diese Person gefunden. Der gebürtige Argentinier wird somit das neue Album produzieren und versuchen, alles aus Lisa herauszukitzeln. Beim Schreiben der Lieder muss Lisa hingegen allein sein. Denn die Momente, in denen ein Song entsteht sind sehr intim und „wenn man mit sich alleine ist, können die Gefühle tiefer gehen. Das ‚Musik machen‘ wird tranceartiger.“

Vor der Veröffentlichung setzt sich Lisa dem Votum der Hörer aus. Mittels Crowdfunding-Aktion soll „Chameleon“ finanziert und verwirklicht werden. Wir haben keine Bedenken, dass das anvisierte Ziel erreicht wird. Gleichwohl beschleichen Lisa bisweilen Zweifel. „Es darf doch nicht am Geld scheitern!“ Eine gewisse Unruhe ist vorhanden. Es ist eine Angst, die da ist – aber auch eine schöne Aufregung, weil man sich selber die ganze Zeit richtig in den Po treten kann. Und man will ja auch etwas Gutes liefern. In dieser Form ist das Gefühl ähnlich wie auf der Bühne – emotional nackt machen. Eine unheimlich ehrliche Angelegenheit.“

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Einen kleinen Ausblick gewährt sie uns noch: „Auf ‚Chameleon‘ wird es keinen einzigen richtigen Beat geben. Es ist für meine Begriffe schon vieles rhythmisch, aber ein elektronischer Beat – der ist verschwunden. Dafür sind andere Elemente hinzugekommen.“

Im Rampenlicht

Das Ausnahmetalent freut sich darauf, die neuen Titel live zu präsentieren. Die erste Möglichkeit bietet ein Konzert im Grünen Salon der Volksbühne in Berlin. Mit alten aber vor allen Dingen neuen Liedern dient der Auftritt am 2. Juni als Auftakt, Test und Experiment zum bevorstehenden Album. Höchstwahrscheinlich erleben wir dann Lisa pur – ohne die Unterstützung anderer Musiker.

Was nicht bedeutet, dass Lisa Morgenstern die Bühne ungern mit anderen Musikern – zuletzt mit Benni Cellini (Cello) und Katharina Parczyk (Vilonie, 2ter Gesang) – teilt. Während eines Auftritts versucht sie dennoch, die Anwesenheit dieser Personen auszublenden. Obwohl selbstverständlich eine Bindung vorhanden ist.

Das Warten vor den Konzerten ist in Gesellschaft deutlich angenehmer und gelöster: „Benni ist in dem was er macht sehr speziell. Das bin ich ja auch. Das ergänzt sich von daher ganz gut. Was ich an Benni so unheimlich mag, auch wenn wir zusammen so schrecklich traurige Musik machen, dass er mir immer so gute Laune macht. Er wird auf „Chameleon“ auch zu hören sein.“

Dahingehend entlockt der Cellist, welcher seine Haupttätigkeit bei der Band „Letzte Instanz“ findet, der Musikerin des Öfteren ein Grinsen. Es ist zudem ein schönes Gefühl, wenn noch jemand nervös durch den Raum tigert und man mit seinen Emotionen nicht allein ist. Und es ist großartig, gemeinsam zu musizieren. Aber sie fühlt dabei ebenso eine zusätzliche Last:

„So richtig interagieren kann ich nicht, weil ich so tief abtauche und die Wahrnehmung weg ist. Die armen müssen immer wieder raten: ‚Welches Lied kommt jetzt und wie spielt sie es überhaupt?‘ Ich kann mich immer super darauf verlassen, dass er reagiert und das hinbekommt. Aber es ist dieser Verantwortungsgedanke, der im Hinterkopf bleibt.“

Bayreuth 22.11.2013

 
Fühlt sich Lisa Morgenstern auf der Bühne verletzlich?

„Verletzlich? Ist verletzlich wirklich das Entscheidende? Diese Worte kommen oft – zerbrechlich und verletzlich. Mich macht das alles viel stärker. Nur weil ich emotional zerbrechen KANN, weil ich es zulasse, mache ich mich ja nicht schwach.“

Spiegelt das optische Auftreten – weißes Kleid und barfuß – nicht ebenso eine gewisse Verletzlichkeit wider:

„Dass das so herüberkommt, daran habe ich gar nicht gedacht. Das Barfüßige kommt vom Tanzen. Barfuß hat man einfach die beste Standfestigkeit und das Gefühl für den Moment. Ich will wirklich NICHT Sterntaler darstellen. Ich will eine Nähe konstruieren – nein, konstruieren ist gerade das falsche Wort. Es soll gar nichts konstruiert werden.“

Ein Künstler liefert sich seinem Publikum aus. Der eine mehr, der andere weniger. Lisa macht dies ohne Netz und doppelten Boden und mit voller Hingabe:

„Es ist ein Seelenstriptease.“

Und wenn sie doch einmal einen kleinen Schutz braucht, findet sie diesen in Form ihrer langen Haare.

Gegen Fotografen, die sich besonders dicht an die Bühne begeben, hilft das allerdings nicht. Die Nähe und die Bewegung lenken in gewisser Weise an. Aber:

Ich hab mein Klavier, ich hab mein Klavier. Und dann kann ich das wieder ausblenden.“

Bei solch emotionaler Musik bleiben unerwartete Reaktionen nicht aus. Manch Konzertbesucher zeigte sich gar „erschrocken“.

„Solche Momente finde ich ganz gut. Wenn jemand empört aufsteht, hat es ja irgendetwas bewegt. Irgendwo habe ich eine Seite getroffen. Auch wenn derjenige das so nicht ins Bewusstsein dringen lässt. Beispiel: Dresden, Dreikönigskirche. Ich bekam von der Bühne mit, dass ein paar wenige ältere Leute empört aufstanden und gingen. Kopfschüttelnd und schimpfend. Aber besser so, als wenn ich das Gefühl habe, es kommt gar nichts an. Ich brauche eine ‚Antwort‘ und das ist nicht unbedingt der Applaus. Deshalb sind mir die Live-Konzerte auf eine besondere Weise wichtiger im Vergleich zur CD. Eine völlig andere Welt.“

Ein Auftritt von Lisa Morgenstern ist kaum mit einem Rockkonzert vergleichbar. Bei Letzteren wird gejohlt, gepfiffen, gebrüllt, geklatscht. Und bei Lisa? Oftmals wagen es die Konzertbesucher nicht, die Hand zu rühren und durch Klatschen „herumzulärmen“. Ist das nicht unangebracht? Man will Lisa schließlich nicht stören und sie aus ihrer Sinnlichkeit reißen.

„Ja, zwischen den Songs wird oft nicht geklatscht. (…) Ich bin wie in einem tiefen Tunnel und nehme das gar nicht wahr.“

Welche Faktoren entscheiden dann darüber, ob ein Konzert gut oder weniger gut war?

Der „Konsument“ soll für seine Gefühle einen Kanal finden und verschollene Emotionen aufbrechen lassen. Denn traurige Gefühle bekommen viel zu selten einen Katalysator. Lisa muss spüren, dass die Emotionen beim Publikum ankommen, aufgenommen und zurückgegeben werden.

Es gibt nichts Schlimmeres, als den Moment, wenn sie feststellen muss, dass sich die Gefühle, die sie transportieren will, fehlen und sich das „gewisse Etwas“ nicht einstellt. Ob technisch alles passt, spielt hierbei keine Rolle.

„Die Leute sind ja wegen der Emotionen gekommen und nicht weil ich die richtigen Töne gespielt habe. Die, die sich darauf einlassen wollen, dass sie traurig werden, die will ich auch traurig werden lassen.“

Foto: Miguel Murrieta Vásquez

 
Wie alles begann

Während unserer Unterhaltung blickten wir ebenso in die Vergangenheit. Eine musische Erziehung legte den Grundstein für Lisas Laufbahn. Bereits damals hatte sie einen Hang zum Experimentieren. Was regelmäßig einen ermahnenden Ruf aus der Küche provozierte. Es folgten Klavierwettbewerbe, eine Ballettausbildung und damit eine mehrjährige Klavier-Pause. Erst im Alter von 16 Jahren fanden Lisa und die schwarz-weißen Tasten erneut zueinander.

„Mit 10 konnte ich besser Klavier spielen als heute. Jeden Tag üben. Sonaten rauf- und runter spielen. Ja, das könnte ich heute auch noch. Aber die Herangehensweise ist doch eine ganz andere.“

Eine große Notensammlung ist die Basis, auf der sie heute ihre eigene Musik erschafft. Wenn sie gegenwärtig beispielsweise ein Stück von Beethoven spielt, interpretiert sie dieses indes neu. Nach ihrem eigenen Empfinden. Ihre frühere Klavierlehrerin würde sie vermutlich lautstark tadeln.

Bei aller musikalischen Kreativität verspürte Lisa Morgenstern allerdings keinen Drang, ihre Lieder der Öffentlichkeit zu präsentieren. Letztendlich überzeugten sie damalige Freunde wie Remo Sorge (Kreuzmühle), Oswald Henke (Goethes Erben) und Tom Manegold (Periplaneta) ihre Kunst anderen Interessierten nicht vorzuenthalten.

„Und dann hat das irgendwie angefangen. Ich wurde aber tatsächlich viel getreten.“

Aufgrund der Emotionalität und der sehr persönlichen Ebene kostete es eine große Überwindung, sich aus dem Schutz der eigenen vier Wände zu wagen und sich dem Urteil eines Publikums zu stellen. Letztendlich kann dies aber auch eine therapeutische Wirkung haben:

„Musik ist der allerbeste Weg, Dinge zu verarbeiten. Was mir auf der Bühne noch viel mehr bringt. Die Emotionen sind stärker, wenn man sie teilt. Man wird es tatsächlich zumindest für diesen Moment los. Man gibt das jemanden ab. Geteiltes Leid ist halbes Leid… man merkt, dass man nicht allein ist. Man merkt, dass die Leute auf den Emotionen mitschwimmen – und umgekehrt. Und das hilft ja beiden Seiten.“

Visualisierte Klangwelt

Emotionalität kann ebenso über Bilder ausgedrückt werden. Es war Lisas Wunsch, das Debüt mit Bildern des jungen Fotografen Manuel Estheim zu illustrieren. Das Visuelle ist wichtig.

„Warum überlegen wir denn, ob wir uns schwarz anziehen wollen oder weiß? Und für mich hat jedes Stück (Musik) eine Farbe.“

Fotografie ist eine eigene Kunstform, die unwahrscheinliche viele Möglichkeiten bietet.

„Und es ist schön, wenn man jemanden findet, der in seiner Kunst das interpretieren kann, was ich mit meiner Musik aussagen will.“

Über Manuel Estheim ist sie auf Elena Helfrecht gekommen, die mit ihren Bildern von Lisa Morgenstern die passende Stimmung einfangen konnte.

„Jetzt bewegen sich die Fotos allerdings in eine andere Richtung.“ Stichwort: „Chameleon“ und Veränderung.

Früher waren es „gruftige“ Bilder. Doch „plakative Traurigkeit auf dem Silbertablett servieren“ liegt Lisa Morgenstern fern.

Sind es nicht die eigenen, persönlichen Dinge, die wichtig sind? Und ist das nicht die ehrlichste Art, anderen Menschen gegenüberzutreten? So entstanden nun Bilder, die Lisa in alltäglichen Situationen zeigen. Beispielsweise auf dem Balkon beim Tee trinken. „Wahrhafte, echte Bilder“, wie sie betont.

Foto: Miguel Murrieta Vásquez

 
Deutsch oder Englisch?

Authentizität ist ihr von großer Bedeutung. Gelegentlich werden ihre Emotionen angezweifelt. Mit einem fröhlichen Lächeln entgegnet sie: „Es ist auf jeden Fall etwas sehr Echtes, das auch wirklich da ist. Das heißt nicht, dass es der Lisa den ganzen Tag schlecht geht und sie weint und ‚Lieber Tod‘ ruft.“

Apropos „Lieber Tod“, dem vermutlich bekanntesten und eines der ergreifendsten Lieder von Lisa Morgenstern. Viele Hörer wünschen sich deutschsprachige Stücke.

Es gibt neue deutsche Lieder, aber ich weiß nicht, ob sie auf diesem Album herauskommen werden.“

Aufgrund ihrer Direktheit und Härte stellen deutsche Texte gleichwohl weiterhin eine Ausnahme dar.

Über Englisch zu kommunizieren hat eine Weichheit, eine andere Form von Emotionalität. Die Sprache funktioniert völlig anders. Es entscheidet sich anhand der Emotionen. Welches Thema lässt sich in welcher Sprache am besten ausdrücken? Es ist nicht so, dass ich die wirklich intensiven Emotionen ausschließlich in Deutsch verarbeite. Zum Beispiel der neue Song „Levitation“ ist auf den Text bezogen sehr emotional. Eigentlich wurde ich inspiriert von einem Alptraum, wie ich durch die Wüste laufe und zu verdursten drohe und anfange, Dinge zu sehen.“

Lisa läuft und läuft und bangt, dass die Sonne bald wieder am Himmel steht, die Kräfte nachlassen und sie in einen monotonen Erschöpfungszustand gerät.

„Klar könnte ich das komplett auf Deutsch singen, aber das würde eine komplett andere Farbe ergeben. Es würde das Lied fast wieder kaputt machen. Es ist einfach zu direkt. Das klingt jetzt alles etwas profan. Sie läuft durch die Wüste. Sie verdurstet gleich. Aber es ist ein Gleichnis. Es geht ja nicht darum, dass ich tatsächlich durch die Wüste laufe. Englisch ist gnädiger bei Metaphern. Deutsch ist eine unheimlich starke Sprache, stärker als das Englische.“

Lisa fragt: „Sind die Texte wirklich sooo wichtig?“

Man denke nur an „Lieber Tod“ oder „Kannibalische Liebe“ – da passt alles. Dem Hörer gehen deutsche Texte zumeist leichter unter die Haut.

„Da sind mir die Texte in Deutsch auch einfach gelungen.“ Aber: „Deutsch kann einem Lied sehr schnell einen ‚Schlager-Touch‘ verleihen. Ihr kennt ‚Schneewittchen‘? Bei ihr ist dieser Schlager-Touch schon sehr groß. Auch sehr schön. Aber das ist nicht meines.“

Ein anderes Skript bringt eine andere Farbe, eine andere Spannung, eine andere Emotionspallette.

„Wenn ich einen Text in Deutsch schreibe, wird das starker Tobak – und anders geht es nicht. Vielleicht ist im Moment nicht die Zeit für starken Tobak.“

Vielleicht ist es das Berliner Flair. Vielleicht ist Lisa für ihre Verhältnisse momentan glücklich. Und wir dürften uns zumindest auf neue deutsche Songs auf der Bühne „freuen“. Wäre es für uns als Zuhörer überhaupt gut, oder sinnvoll, wenn alle Texte die Direktheit der deutschen Sprache kennzeichnen würden? Wie tief würde uns das ergreifen? Oder herunterziehen? Bei einem „indirekten“ Text kann man sich ganz auf die musikalische Stimmung einlassen. Mutmaßlich mehr genießen, weniger leiden?

Foto: Miguel Murrieta Vásquez

 
Musik ist unser täglicher Begleiter, bei vielen Tätigkeiten läuft sie nebenbei. Auf Lisas Lieder muss man sich hingegen voller Konzentration darin versinkend einlassen.

„Das ist das Schwere, bei dem ich mich oft frage: mein Gott, es gibt tatsächlich Menschen, die sich das anhören wollen. Und die zum Konzert kommen wollen. Warum machen die das eigentlich? Es ist ja etwas völlig anderes, als zu einem Rock-Konzert zu gehen. Es müssen nicht einmal viele Zuhörer sein – 5, 200 oder 500. Aber von denen weiß ich, dass sie sich mit meinen Liedern auseinandersetzen wollen. Es geht um die Intensität.“

Lisa ist regelmäßig erstaunt, wie viele Leute sie nicht vergessen und wiederholt zu Konzerten kommen.

„Ich habe den Eindruck, dass zu meinen Konzerten Menschen kommen, die immer wieder dabei sind. Und das sind nicht nur Menschen, die nur Schwarzes anziehen. Ich würde fast sagen, im Gegenteil – es ist weniger als die Hälfte. Das zeigt mir auch irgendwie, dass es unheimlich vielfältig ist, welche Menschen das hören. Diejenigen, die es anhören, konfrontieren sich dann halt aber auch richtig damit.“

Und so findet gar ein unmittelbarer Austausch statt:

Wenn ich einmal mit einem Zuhörer connecte, dann ist da schon irgendwie etwas Größeres als ein cooler neuer Song. Und das ist es, was es so unheimlich wertvoll macht. Das habe ich auch überhaupt nicht geahnt. Ich bin wirklich klein. Mich kennt keine Sau. Aber ich bekomme Briefe, unheimlich intensive Nachrichten. Die so klingen wie: mein Gott, wer ist das denn überhaupt! Wir müssen uns doch schon seit Jahren gekannt haben!“

Wahrscheinlich schafft es einzig die Musik, Menschen in diesem Maße emotional zu begeistern, mitzunehmen. Musik ist wie ein Katalysator. Konserviert Gefühle. Weckt Erinnerungen. „Hör mal, das ist unser Lied!“

Werden auf der Bühne Erinnerungen geweckt?

„Ja, Lisa weint dann irgendwann mal. Ich habe das Lied aus einer bestimmten Emotion heraus geschrieben. Und wenn ich es singe, sind auch diese Emotionen wieder da. Und es ‚leiert‘ sich nicht aus. Und es wird nicht vorgespielt.“

Erinnerungen vergehen nie. Und die Zeit heilt nicht alle Wunden. Man lernt nur, mit diesen Wunden umzugehen. Verdrängung führt zu Verwerfungen.

„Leute fragen mich, ob mir das denn gut tut, dass ich das immer wieder durchleben muss. Ja klar, nach mehreren Konzerten zu Haus – so ein, zwei Tage ist es dann super-düster und ich bin super-fertig. Aber das ist irgendwie so, wie wenn man als kleines Kind ins Schwimmbad gegangen ist. Den ganzen Tag geschwommen ist und sich körperlich beansprucht. Und dann zu Haus ist man körperlich erschöpft, aber trotzdem ist es gut. Es ist ein gutes Gefühl, das man da durchgeht. Das ist total wichtig.“

Wie es ihr gehen würde, nach richtig vielen Konzerten, ist offen und bleibt fraglich. Voraussichtlich bräuchte sie die doppelte Zeit, um sich zu erholen. Trotzdem wird sie sich kontinuierlich diesem Prozess aussetzen.

„Dass ich mal irgendwie einen Tag habe, wo ich denke: ja heute kann ich die ‚Eskalation‘ nicht spielen. Das geht nicht. Selbst wenn ich an diesem Tag fröhlich bin und auch beim  Konzert gut gelaunt bin und dann kommt das und dann lass ich das raus und das ist absolut echt in diesem Moment. Vielleicht spielt sie das ja nur? So dramatisch. So pathetisch. Aber nee. Ist halt irgendwie da. Das kann man immer wieder herausholen. Es ist die Musik, die das kann.“

Was wäre ein Leben ohne Musik? Für uns unvorstellbar. So fanden ein angenehmer Nachmittag und eine wunderbare Unterhaltung langsam ein Ende. Lisa Morgenstern ist ein offener Mensch. Fröhlich, auch wenn zwischendurch abermals kleine Schatten über das Gesicht huschten und der Blick ins Leere glitt. Ihre Worte und Sätze sprudelten mal temperamentvoll, mal nachdenklich. Wir freuen uns auf die neuen Titel, künftige Auftritte und wünschen Lisa alles Gute auf ihrem weiteren Weg. Vielen Dank für dieses Gespräch.

Den interessanten Ausführungen von Lisa Morgenstern lauschten: Edith Oxenbauer und Marcus Rietzsch
Fotos: Miguel Murrieta Vásquez; außer Konzertaufnahme: Marcus Rietzsch

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