Lydia & Mark Benecke – Aus der Dunkelkammer des Bösen

Das Buch erschien offiziell am 11.11.11 – ob um 11.11 Uhr ist nicht bekannt, könnte aber möglich sein. Familie Benecke lebt in Köln, was man gewiss nicht unbeschadet übersteht. Rheinischen Frohgemut sucht man in der Dunkelkammer des Bösen jedoch vergebens. Und das ist auch gut so.

Mark Benecke beantwortet Fragen nach Gruselfaktor, Entsetzen und Mitgefühl bei seinen forensischen Untersuchungen in dem Sinne, dass er sich mit Dingen beschäftigt, nicht mit Menschen. Der weltweit bekannte Kriminalbiologe gibt seine Erkenntnisse nicht nur in Büchern, sondern ebenso in Vorträgen an ein interessiertes Publikum weiter. Diese sind spannend, interessant, wissensstanderweiternd. Oftmals gestaltet sich so ein Vortrag – trotz der thematisch eigentlich ernsten Ausrichtung – auch irgendwie humorvoll; nicht zuletzt aufgrund der lockeren, spontanen und chaotischen Art des Vortragenden.

Als ich der Buchvorstellung „Aus der Dunkelkammer des Bösen“ der beiden Autoren beiwohnte, wurden Fragen aufgeworfen. Etwas, das man gerne verdrängt, abstempelt, in eine der untersten Gedächtnisschubladen verbannt. Lydia Benecke stellt keine Fragen nach dem „Wie“, sondern nach dem „Warum“. Die Psychologin holt die Erzeuger der „Mordspuren“ ans Licht. Und dies ist keineswegs „lustig“, sondern stimmt nachdenklich.

Blut, Körperteile, Maden – das weckt die Schaulust im Menschen. Den sanften Grusel. Ein – letztendlich nicht wirklich unangenehmer – Schauer; man ist schließlich nur Zuschauer. Man wird zum Gaffer. „Die Gesellschaft braucht Täter wie Wolfgang Priklopil, um dem Bösen, das in ihr wohnt, ein Gesicht zu geben.“ (Natascha Kampusch, die über acht Jahre in einem Kellerverlies gefangen gehalten wurde)

Auf der Rückseite des Buches steht: „In der Dunkelkammer des Bösen rücken wir ganz nah heran an erstaunliche Verbrechen. Wir treffen auf Killer wie Dr. Holmes, den ersten bekannten Serienmörder der USA. 1893 baute dieser Gaskammer, Krematorium und Präparationstische, um Hunderte von Menschen zu foltern und zu töten. Wir widmen uns Vergewaltigern, Nekrophilen, Sadisten, Sexualmördern und anderen Tätern. Wir schauen in ihr Innerstes und wir besuchen sie im Knast. Wir fragen uns: Wie entstehen ‚Monster’? Gibt es kaltblütige Killer wirklich, oder sind sie Opfer der Umstände? Müssen Täter pädophil sein, um sich an Kindern zu vergehen? Was steckt hinter den Fällen Fritzl und Kampusch, und waren das grausige Ausnahmen?“
Das Buch beinhaltet neben der berühmten Untersuchung von Hitler-Resten mit detektivischen Forschungen einige besondere Kriminalfälle, die von forensischer Seite betrachtet werden. Lydia Benecke geht darüber hinaus der Frage nach, wer oder was die Täter sind. Natürlich sind es monströse Fälle und monströse Täter. Und wenn dies durch die Medien rauscht, regen wir uns schrecklich auf. Wie furchtbar und wie böse. Am nächsten Tag gibt es neue Themen und neue Aufreger. Was soll´s, das war halt ein Monster. Hat nichts mit uns zu tun. Nichts mit unseren Nachbarn, Freunden, Familienmitgliedern. Niemals. Ganz bestimmt nicht.

So sehr die Mordspuren beeindrucken und vor allem Mark Beneckes Intelligenz und Können, daraus die Taten abzulesen, so erschreckender sind die psychologischen Profile.

In der Dunkelkammer entwickeln sich aus den Monstern Menschen. Die uns deshalb nicht besser gefallen, aber zumindest nachvollziehbarer handelten. Auch wenn für Normale die Taten absolut unverständlich sind. Aus der Empfindungswelt dieser Menschen (eine vermutlich selbstschützende Abwehr in mir scheut sich, diese… Typen „Menschen“ zu nennen – aber auch sie wurden mal als etwa 3 kg leichte glitschige Fröschlein entbunden und waren „unbeschrieben“) handeln sie folgerichtig und aus ihrer Sicht vollkommen normal. Die in diesem Buch beschriebenen Täter waren alle in ihrer Kindheit und Jugend Opfer; ähnlichen Taten ausgesetzt, die sie später selbst verübten. Was nicht heißt, dass alle Kinder, die Opfer wurden, zwangsläufig zu Tätern werden. „Viele Täter wären – wie man an Beispielen in diesem Buch sehen kann – wahrscheinlich nicht zu Tätern geworden, wenn sie als Kinder nicht selbst Opfer schlimmer Lebensumstände gewesen wären.“

Bei den beschriebenen Kriminalfällen begannen die Täter teils sehr früh zwei Leben zu führen. Ein normales und nettes Leben. Nebenher entwickelten sich jedoch unaufhaltsam aus Ideen, Gelüsten, Vorstellungen die grauslichen Realitäten. Davon bekam das Umfeld jedoch gar nichts mit; über Jahre hinweg.

Nun muss nicht gleich jeder merkwürdige Nachbar ein Massenmörder sein, aber ein sich merkwürdig verhaltendes Kind sollte unsere Aufmerksamkeit bekommen. Ohne Verfolgungswahn aber auch ohne Augen-zu-und-geht-mich-nichts-an.
Allgemeinverständlich werden verschiedene psychische Störungen/Erkrankungen klassifiziert. Ich war sehr versucht, einen ehemaligen Chef wiedererkennen zu wollen, ebenso wie einen Bekannten. Man sollte sich aber hüten, oberflächlich und laienhaft psychologische Gutachten über den Schreibtisch hinweg zu verkünden. Aber es gibt Systematiken, die Lydia Benecke bei ihren Gesprächen mit Tätern zur Grundlage nimmt, um ein Profil zu erarbeiten.

„Aus der Dunkelkammer des Bösen“ – Spuren, Motive, Profile, Täter, ungeklärte Umstände. Verschiedenste Blickwinkel auf einen „Fall“. Es ist kein leichtes Unterfangen, dieses Buch zu lesen. Man muss etwas aushalten können. Einerseits ist es auch spannend. Aber eben kein Krimi für das halbe Stündchen vor dem Schlafengehen. Ein verstörendes Konglomerat des vielfach vorhandenen Bösen unter uns. Niedergeschrieben und gedruckt. Und es frisst sich in den Kopf und in den Bauch. Dabei sieht man doch so gerne lieber weg.

Wer eine literarische Unterhaltung sucht, wird mit diesem Buch den falschen Griff tun. Wer aber hinter das Leben, hinter die Umstände, hinter die Motive blicken möchte, der wird „in der Dunkelkammer des Bösen“ alles finden.

Bastei Lübbe Verlag
ISBN 978-3-7857-6046-8
www.benecke.com
www.benecke-psychology.com

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