Mit einer gewissen Ratlosigkeit sitze ich vor dem Monitor meines Computers. Das Blatt des Textverarbeitungsprogramms ist jungfräulich weiß. Aufdringlich blinkt der Cursor in der linken oberen Ecke und mahnt mich, meine Gedanken zum im September erschienenen Album mit dem verheißungsvollen Titel „Music Complete“ niederzuschreiben. Dem ersten Album von „New Order“ seit zehn Jahren. Und dem ersten ohne Bassist Peter Hook, der 2007 ohne Absprache mit seinen Bandkollegen das Ende der 1980 gegründeten Gruppe und somit indirekt seinen Ausstieg verkündet hat. Wiederholt habe ich die elf Titel durch die Boxen gejagt. Wiederholt die Frage gestellt, wie ich „Music Complete“ nun eigentlich finde. Und keine eindeutige Antwort gefunden. Ich bin hin- und hergerissen. Nein, Peter Hooks Bassspiel vermisse ich nicht. „Music Complete“ ist eindeutig „New Order“. Allerdings deutlich elektronischer als seine beiden Vorgänger. Bernard Sumner, Tom Chapman (der Peter Hook am Bass ersetzte), Gillian Gilbert, Stephen Morris und Phil Cunningham blicken zurück und zitieren sich selbst.
„Music Complete“ enthält zahlreiche Momente, die Erinnerungen, Emotionen und Assoziationen wecken. Beispielsweise der Song „Restless“, welcher das Album eröffnet: eine typische New-Order-Gitarrenpopnummer, die exemplarisch für „New Order“ steht. Oder „Unlearn This Hatred“ – ein Dancepop-Song, der an die Zeit, als man Mitinhaber des Clubs „Haçienda“ in Manchester war und den House entdeckte, erinnert. Kurzzeitig tauchen auch „Frankie goes to Hollywood“ und Giorgio Moroder vor meinem geistigen Auge auf. Der abschließende Titel „Superheated“ klingt sehr stark nach „Pet Shop Boys“.
„New Order“ präsentieren auf diesem Album die gewohnte Qualität. Synthetische Streicher, Bernard Sumners sehnsuchtsvoller brave-Junge-Gesang (was keineswegs despektierlich gemeint ist), tanzbare Rhythmen. Das alles ist nett, melodisch, melancholisch. Allerdings ebenso glatt. Ein paar Kanten wären wünschenswert gewesen. Um nicht falsch verstanden zu werden: „Music Complete“ macht Spaß und ein zweites „Blue Monday“ zu erwarten, wäre vermessen.
Die Platte hat durchaus auch seine überraschenden Augenblicke. Wenn beispielsweise Gastsänger Iggy Pop einen Text rezitiert und mich dessen Spoken-Word-Performance ein klein wenig an Barry White denken lässt. Oder wenn ein weiterer Gast – Giacomo Cavagna – die Worte „Tutti Frutti“ mit tiefer Stimme ins Mikrophon haucht. Hier hat auch Elly Jackson (La Roux), die bei einem weiteren Song die Vocals übernimmt, einen Gastauftritt. Ebenfalls mit von der Partie ist Brandon Flowers von „The Killers“.
Nach vielen Hördurchgängen kommt die Platte langsam bei mir an – ohne jedoch wirklich hängenbleiben zu können. Ich habe meinen Frieden mit „Music Complete“ gemacht. Wie könnte man Musikern, die für herausragende Songs wie „Blue Monday“ oder „Crystal“ – von den grandiosen Stücken der kurzen aber überaus kreativen Joy-Division-Phase gar nicht zu sprechen – böse sein?