Bernard Sumner – New Order, Joy Division und ich

Als Bernard Sumner, Peter Hook und Terry Mason im Juni 1976 beschlossen, eine Band zu gründen, ahnte keiner, wie nachhaltig sich diese Entscheidung auf die Musikwelt auswirken sollte. Obwohl „Joy Division“ keine vier Jahre existierte und 1980 bereits Geschichte war, reicht ihre Bedeutung bis in die Gegenwart. Auch 35 Jahre nach dem Freitod von Sänger Ian Curtis berufen sich Musiker und neu gegründete Bands auf den starken Einfluss der Band aus Manchester. „Joy Division“ sind eine Legende. Und Bernard Sumner ist Teil dieser Legende. Aber Joy Division ist nur ein Stück seiner Geschichte, die er auf etwas über 300 Seiten niedergeschrieben hat.

Bernhard Sumner berichtet von seiner Kindheit im Arbeiterviertel Salford, von einer zuweilen wenig liebevollen, im Rollstuhl sitzenden Mutter, einem grauen Manchester, aber auch von Zeiten des Zusammenhalts, schönen Erlebnissen und tollen Großeltern. Erinnerungen zwischen kindlicher Unbeschwertheit und dunkler Trostlosigkeit, die jedoch nur noch in seinem Kopf vorhanden sind:

„Alles war verschwunden. Sogar die Schule war abgerissen worden. Es war fast so, als würde jemand alles dran setzen, meine Erinnerungen auszulöschen. Alles Greifbare, all die Dinge, die man berühren, fühlen, sogar riechen konnte – sie waren weg und würden nie mehr zurückkommen.“

Selbstverständlich lässt Bernhard Sumner den Leser am Schlüsselerlebnis – dem Besuch eines später zum Mythos gewordenen Konzerts der „Sex Pistols“ – teilhaben. Eines der Konzerte, die nicht nur für die Gründung von „Joy Division“ verantwortlich sein sollte, sondern einer jungen, hoffnungslosen Generation Mut machte:

„An jeder Straßenecke schienen ältere Menschen zu stehen, die uns daran erinnern wollten, wie beschissen wir doch seien. Dann kamen die Sex Pistols und gaben uns das Gefühl, dass wir es waren, die richtig lagen. Sie zeigten uns nicht nur das, sondern auch, dass wir überhaupt schon die ganze Zeit lang Recht gehabt haben. Punk verlieh uns zum ersten Mal eine Stimme – und diese Stimme schrie dort direkt vor mir und aus voller Lunge. Es war eine Rechtfertigung für unsere Haltung und vermittelte uns gleichzeitig, dass wir doch etwas wert waren.“

Punk schlug ein, weil viele Jugendliche von ausgeblasenen Musikern, die sich meilenweit von ihrem Publikum entfernt hatten, und von deren unüberschaubaren Konzeptalben die Nase voll hatten. Punk war anders. Und Punk konnte jeder:

„Man muss weder ‚Rock around the clock‘ noch ‚Heartbreak Hotel‘ spielen können, um eigene Musik zu machen. Du suchst Dir stattdessen einfach ein paar Akkorde zusammen, erstellst ein paar eigene Tonleitern – und ab geht die Post!“

Bernard Sumner nimmt den Leser mit in eine Zeit der Veränderungen und des Umbruchs und gibt die eine oder andere Anekdote, welche schmunzeln lässt, wieder. Der Gitarrist und Sänger erzählt von der Suche nach einem geeigneten Sänger, den ersten Aufnahmesessions und einer Vinylpressung, die schrecklich klang. Im weiteren Verlauf seiner Autobiografie äußert er sich zu der inneren Zerrissenheit und der Epilepsie von Ian Curtis und dessen ersten Selbstmordversuch, den Erfolgen, die man mit der wegweisenden Platte „Unknown Pleasures“ hatte und dem dramatischen Ende der Band.

„Er hat es getan, Bernard. Er ist tot. Ian ist tot.“

Doch damit endet nicht die Geschichte von Bernard Sumner. Mit Ian Curtis war zwar auch „Joy Division“ gestorben, doch eines war klar: Die verbliebenen Bandmitglieder wollte weiterhin gemeinsam Musik machen. So wurde die Band „New Order“ aus der Taufe gehoben. Ein neuer Lebensabschnitt begann. Bernard Sumner berichtet von der spannenden Entdeckung neuartiger, elektronischer Musik (Acid House, Rave), den Zwistigkeiten mit Peter Hook, dem Club „Fac 51 The Haçienda“, der über Jahre betrieben wurde, aber nur Verluste machte und einzig durch die Einnahmen der Band am Leben erhalten werden konnte. Erwähnung finden auch die Bandprojekte neben „New Order“, bei denen er neue Kraft und Inspiration fand. Der leidenschaftliche Musiker beschreibt Exzesse und ausgefochtene Kämpfe. Und natürlich die Veröffentlichung von „Blue Monday“ – wohl eines der genialsten Stücke, die jemals geschrieben wurden und die meistverkaufte Maxisingle aller Zeiten. Erstaunlich ist die Tatsache, dass anfänglich jedes verkaufte Exemplar aufgrund zu hoher Produktionskosten für die Plattenhülle (gestaltet wie eine Floppydisk inkl. Lochung) Verlust abwarf.

„New Order, Joy Division und ich“ lässt sich durchaus in einem Rutsch lesen. Allerdings stellt es eine Bereicherung dar, zwischen den Kapiteln in der eigenen Musiksammlung zu kramen oder einschlägige Seiten im Internet zu besuchen und Stücke von Joy Division, New Order, Electronic oder Bad Lieutenant anzuhören. Die unterschiedlichen Stimmungen der Titel unterstützen das Gelesene und untermalen die Erinnerungen von Bernhard Sumner musikalisch. Schließlich ist die Musik zentrales Thema.

Seine Worte wirken „echt“ und teils „frei Schnauze“ zu Papier gebracht. Hier liegt aber auch der Schwachpunkt der Biografie. Haben die Gedankensprünge noch einen gewissen Charme und gestalten die Erzählungen lebhaft, wirken manche Formulierungen wenig abwechslungsreich als auch etwas schwerfällig und hölzern. Hier hätte ich mir ein Eingreifen des Lektors oder des Übersetzers gewünscht. Trotzdem habe ich das Buch „verschlungen“. Teilweise zurückversetzt in eine Zeit, als Musik scheinbar noch etwas bewegen konnte. Als Subkulturen noch aufrüttelten und der Gesellschaft den Spiegel vorhielten.

Neben einem Stichwortverzeichnis befindet sich im Anhang die Mitschrift einer Aufnahme, die ein paar Wochen vor Ians Tod entstanden ist. Bernard Sumner befasste sich zu jener Zeit mit Hypnose und so kam es, dass er Ian Curtis in Trance versetzte und dessen Aussagen mitschnitt.

Ob nun in Filmen wie „Control“ und „24 Hour Party People“ oder Büchern von Deborah Curtis, Mick Middles und Peter Hook – die Geschichte Joy Divisions und Manchesters Musikszene der 80er und 90er Jahre wurde bereits mehrfach beleuchtet. Doch fügt diese Autobiografie eine weitere, persönliche Sichtweise hinzu. Bernard Sumner erzählt SEINE Geschichte und lässt den Leser an den Geschehnissen rund um Joy Division, New Order und dem Haçienda aus seiner Sicht teilhaben.

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