Vom Kamel, dem Löwen und dem Unschuldigen Kind – Laibach: „Also Sprach Zarathustra“

20. März 2018

LEIPZIG, TÄUBCHENTHAL

Der Saal war in Rot getaucht, schon beim Betreten vernahm man den bedrohlichen Klang eines entfernten Fliegers – dem einer tiefen Jericho-Trompete ähnlich. Wie Suchscheinwerfer wanderten die Lichtkegel über die Bühne im steten Wechsel auf das Publikum zu. Langsam hin und zurück. Es wurde Bestandteil des allgemeinen Ablaufs vor dem Konzert. Bis wir es schon ausgeblendet hatten, während wir uns unterhielten, die Garderobe abgaben, Getränke bestellten. Die entfernten Flieger wurden lauter, bis es im Zwerchfell spürbar wurde. Der Bass nahm uns zum Einleiten des Konzertes buchstäblich die Luft.

Eine brachiale Lautstärke, ein unverkennbarer Marschrhythmus, eine kühle Performance verbunden mit philosophischen Texten und prophetischer Anmut. Wie ein Prediger sprach Milan Fras vom Untergang. Das Publikum lauschte zum trancegebenden Klang der Musik – der Klangkulisse, die diese widersprüchlich scheinende Verbindung von militärischem Marsch, martialischer Kraft und den sphärischen warmen Klängen, wie sie in „Vor Sonnen-Aufgang“ und in Mina Špilers künstlerischer Darbietung eine unverkennbare Verbindung eingingen. Regenschauer, die das Konzept zu einem Gedicht der Romantik werden ließen. Ihre Stimme ein klarer, heller Gegensatz zu Milan Fras bedrohlichem Bass, mit einer durchdringenden Kraft, die der heftigen musischen und visuellen Untermalung in nichts nachstand. Ausschnitte aus Nietzsches Werk „Ein Buch für Alle und Keinen“ flogen über die Leinwände. „Wir haben das Glück erfunden.“

Laibach nennt sich die Gruppe, die mit „Also Sprach Zarathustra“ einen Philosophen künstlerisch in ihr Werk aufnahm, der nach fast zwei Jahrhunderten nichts an Aktualität eingebüßt hatte, ebenso wenig wie Laibach nach über zwei Jahrzehnten. Zu meinem Erstaunen war ich trotz dieser Tatsache die jüngste Besucherin. Laibach erreicht keine unbekümmerte, unbeschadete Generation, trotz moderner musischer Umsetzung, die sie im Dark Ambiente und Martial Industrial zu einem Pionier heutiger elektronischer Musik macht. So simpel die zugrunde liegenden synthetischen Klänge und Rhythmen waren, so komplex war das Konzept, dass es mich nicht mehr überraschte, Laibach auf einem ganz anderen Niveau – fern bekannter Partygänger und als Insidertipp – zu erleben.

Laibach ist nicht einfach nur eine Band. Das Stilmittel Musik ist ein Teil ihrer künstlerischen Ausdruckskraft, die sich nicht nur in Konzerten und Performances, sondern auch in Installationen und den Bildenden Künsten findet. Gegründet 1980 und benannt nach dem einst deutschen Wortlaut der slowenischen Hauptstadt Ljubljana stellt das Quartett ein Wegbereiter des Künstlerkollektives Neue Slowenische Kunst (NSK) dar, welches 1984 ins Leben gerufen wurde. Gemeinsam mit den Künstlern der Gruppe IRWIN und der Theatergruppe Scipion Nasice Sisters entwickelten sie sich zu einer politischen, sozialen und kulturellen Plattform in Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs in Jugoslawien.

Laibachs künstlerischer Stil zeichnet sich durch den Begriff der Retro-Avantgarde aus, welcher seinen Ursprung im Schaffen der Gruppe findet. Durch die Bezugnahme auf totalitäre und diktatorische Elemente mit Arbeiten im Stile des Sozialistischen Realismus, Avantgarde, einem uniformen militanten Auftreten, provoziert und erwirkt die Gruppe eine Konfrontation mit verdrängten und beschönigten Traumata der Vergangenheit, erzwingt eine Aufarbeitung der Kriegs- und Nachkriegszeit, der man sich nicht entziehen kann. Dabei beschreitet Laibach den Weg deren Kommunikation, die sie ihrer Kritik unterworfen haben: In der Sprache des Autoritarismus, ummanteln sie sich im übersteigertem Maße mit den Sinnbildern der Unterdrückung und des Totalitarismus, um ein sich aus der Verantwortung ziehen zu unterbinden und eine Auseinandersetzung der präsentierten Thematiken zu erzwingen.

Es wurden Klingen gewetzt, mit dem Megafon Ausdruck verliehen, der Geigenbogen zur Hand genommen. Die musische Darbietung kennt keine Regeln, keine Leitthemen, sondern wird selber zum Instrument und der Intentionen der Gruppe unterworfen. Wir befanden uns nicht auf einem Konzert, viel mehr folgten wir Sinnbildern, die alle einem Zweck dienten. Die extreme Lautstärke, das grelle Licht unterbrachen den Rhythmus, zu dessen Teil wir wurden, fegten uns hinweg und rissen uns aus dem Strom der ineinander verwobenen Töne und Klänge, die ihre Bedrohlichkeit nie verloren.

So schleichend, wie sie gekommen waren, so plötzlich war es vorbei. Nach einer grandiosen Zugabe, zu deren Beginn sich meine bloße Neugier schon längst in Faszination und Begeisterung gewandelt hatte, verschwand der Spuk und wir befanden uns wieder nur in einem Saal, vor uns eine Bühne mit ganz normalen Musikinstrumenten, als wären wir auf einem Konzert gewesen.

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