Live in Berlin: Winter Serverity Index + Mushy

Winter Severity Index
Winter Severity Index

16. Februar 2013

BERLIN, NAHERHOLUNG STERNCHEN

Naherholung Sternchen. Der Name des Etablissements, das die Death#Disco-Veranstaltungsreihe seit einiger Zeit für sich entdeckt hat, weckt in mir Assoziationen zu nostalgischer DDR-Romantik im vorbildlich-sozialistischen Wohngebiet, Dauer-Campern und spießbürgerlicher Gemütlichkeit. Doch sollte man sich von dem Namen nicht beirren lassen. Ist es doch immer wieder spannend, eine neue Örtlichkeit zu „entdecken“. Zwar prangen über der Eingangstür die Worte „Director´s Lounge“, doch der im weltweiten Netz zu findenden Plan ist eindeutig. So wagen wir uns ins Innere, lassen die in den oberen Räumlichkeiten stattfindende Veranstaltung links liegen, um sogleich über eine schmale Treppe in den verwinkelten Keller zu gelangen. Unten angekommen nahmen freundliche Damen die dicke Garderobe entgegen. An einer Wand sorgte eine alte, vermutlich vor dem Sperrmüll gerettete Stehlampe für dezentes Licht. In einem Raum kann es sich der erschöpfte Besucher in diversen, gepolsterten Sitzmöbeln – die ihre besten Tage auch hinter sich haben – gemütlich machen. Ein weiterer Raum beinhaltet DJ-Pult und Mini-Bühne. Solide, die Kellerdecke tragende Säulen erweisen sich je nach eigenem Standort für eine grenzenlose Sicht als eher unvorteilhaft. In einem alten Lichtschacht hängt eine kleine Discokugel, die allerdings außer Betreib war. Einige Lampen sorgen für bunt-flackerndes Licht. Das Ambiente ist rustikal. Alternativ.

Obwohl der Raum recht klein wirkte, war genug Platz für die Hörerschaft. Die Sängerin und Musikerin Valentina Fanigliulo aka „Mushy“ eröffnete den Abend. Unterstützt wurde sie von einem konzentriert an den Knöpfen drehenden und auf Tasten tippenden jungen Mann. Dargeboten wurden ruhige, sehr verträumte Klangwelten. Trotz der eher verhaltenen Melodien ist die Stimme voluminös. Valentina Fanigliulo drückte ihre Gefühle in starker Gestik und Körpersprache aus. Auch wiederholte Ausflüge ins Publikum unterstützten den leidenschaftlichen Auftritt.

Nach der obligatorischen Pause betrat Valentina Fanigliulo – nun Herrscherin über Tasten und Knöpfe – nochmals die Bühne. Diesmal zusammen mit Sängerin/Gitarristin Simona Ferrucci, dem Kopf der früher aus vier Damen bestehenden Band „Winter Severity Index“. Simonas samtig-dunkle Stimme war betörend. Dazu melancholisch-wavige Klänge, bei denen man wiederholt die Augen schloss, um sie perfekt in sich kriechen zu lassen. Bilder von einsamen Landschaften entstanden vor dem geistigen Auge. Mit einem Hauch von Einsamkeit und Stille. Hätte nur das kaum auszublendende Stimmengewirr nicht immer wieder diese Bilder platzen lassen. Mit der Zeit machte mich diese Respektlosigkeit gegenüber den Musikerinnen auf der Bühne und den Hörwilligen davor in gewisser Weise aggressiv. Wiederholt stellte ich mir die Frage, was Menschen zu einem Konzertbesuch veranlasst, wenn sie sich eigentlich unterhalten wollen. Gäbe es hierfür nicht bessere Orte und Anlässe? Zumindest das geniale Stück „The Wiser“ konnte ich in vollen Zügen genießen. Kurzzeitig waren die Dauerquatscher in unmittelbarer Nähe mit dem Holen von Getränken beschäftigt.

Dennoch: Ungeachtet der unangenehmen Geräuschkulisse war dieser ruhige und emotionale Dark Wave absolut unterhaltsam und hörenswert. Kurz und knapp: Eine Ohrenfreude.

Fotos: Marcus Rietzsch

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