Nocturnal Culture Night 2016

03. - 05. September 2016

DEUTZEN, KULTURPARK

Nach dem Festival ist vor dem Festival. Als am Sonntag kurz nach 22 Uhr die letzten Klänge verklungen waren, verkündete Holger Troisch, Veranstalter und gute Seele des Nocturnal-Culture-Night-Festivals, dass der Kulturpark Deutzen für die nächsten Jahre gebucht sei und das NCN an jener Stelle weiterhin seine Heimstätte finden wird. Unsere Unterkunft haben wir sogleich für unbestimmte Zeit gebucht.

Doch blicken wir auf die drei Tage des nunmehr elften NCN zurück.

Liebeserklärung an ein Festival und seine Macher

Das Festival in Deutzen darf durchaus als familiär bezeichnet werden. Mit einer Grenze von etwa 2500 Besuchern bewegt man sich in einem überschaubaren Rahmen. Und man kennt sich. Die Frauen und Männer der Sicherheit nicken einem freundlich zu. Mehr oder weniger namhafte Musiker huschen über das Gelände oder sind in ein Gespräch mit Besuchern vertieft. Man freut sich über das eine oder andere bekannte Gesicht. So mancher Gast kommt seit Jahren regelmäßig mit der Garantie nach Deutzen, um einem abwechslungsreichen Programm bestehend aus neuen Namen, selten auftretenden Künstlern und dem einen oder anderen Urgestein in angenehmer Atmosphäre beiwohnen zu können. Im Gegensatz zu manch anderem Szenefestival stehen nicht die „üblichen Verdächtigen“ auf den vier Bühnen. Die Begeisterung ist allgemein spürbar und potenziert die eigene Freude am vielfältigen Line-up.

Im Vergleich zu den Vorjahren gab es einige Änderungen. So wich der Mittelaltermarkt der sogenannten Weidenbogenbühne und fand auf einer Wiese neben dem ebenfalls verlegten Eingang einen neuen Platz. Anders als in den vergangenen Jahren verschlug es uns jedoch kaum auf jenen Markt. Das dichte Programm ließ uns dafür keine Zeit. So fehlte zwar ein Ruhepol für Gemüt und Füße, aber in Anbetracht der diversen musikalischen Höhepunkte vermissten wir nichts. Die Verlegung der Weidenbogenbühne schaffte mehr Raum und Ruhe für die interessierten Zuhörer. Auch die Sortierung der Genres und Verteilung auf vier Bühnen war einen gute Idee. Aufgrund eines breit gefächerten Musikgeschmacks bescherte uns dies jedoch so manches Entscheidungs- und damit Herzproblem.

Eine negative Begleiterscheinung des dichten Programms ist leider der Umstand, dass die speziellen, zuweilen etwas leiseren Angebote auf der Kulturbühne gelegentlich im Geräuschwettstreit mit dem Soundcheck der sich in unmittelbarer Nähe befindlichen Parkbühne unterlagen. Vor allen Dingen die Band „Quellenthal“ mit ihrem sehr ruhigen Folk musste stellenweise ziemlich leiden. Eine Problematik, die man wohl in Kauf nehmen muss.

So, nun aber zum Anfang.

Tag 1: Freitag

Der gut organisierte Einlass verschaffte uns einen schnellen Zugang zum Gelände, so dass wir uns trotz einer zuweilen abenteuerlichen Anreise rechtzeitig vor der Parkbühne einfinden konnten, um der eröffnenden Band „Discodeath“ zu lauschen. Oftmals benötigen wir eine gewisse „Warmlaufzeit“, bevor uns das Flair eines Festivals packt. Das elfte NCN bescherte uns aber einen Kaltstart mit quietschenden Reifen. Der tanzbare, von den 80ern inspirierte elektronische Wave fing uns sofort ein. Und dann ging es Schlag auf Schlag. Auf der lauschigen Kulturbühne boten „Vortex“ sehr spezielle, aber nicht uninteressante Klangwelten jenseits des Alltäglichen. Hier kamen Kieferknochen zur Klangerzeugung zum Einsatz, Ketten wurden rasselnd auf eine Trommel niedergelassen. Apokalyptisch und rituell. Zurück zur Parkbühne, wo Laura Carbone für Begeisterung sorgte. Eingängiger, düsterer Pop voller Leidenschaft, der schnell in seinen Bann zog. Der Auftritt verstrich wie in Zeitraffer.

Doch das Programm gönnte uns keine Ruhephase. Während des kurzen Wegs zur Amphibühne stellten wir fest, dass wir „Aeon Sable“ verpasst hatten. Der Fluch mehrerer Bühnen mit parallelen Auftrittszeiten diverser sehens- und hörenswerter Künstlern. Doch die musikalische Darbietung von „Tying Tiffany“ ließ gar keine schwermütigen Gedanken hinsichtlich eventuell noch bevorstehender Überschneidungen aufkommen. Die quirlig-mädchenhafte Italienerin lieferte eine tolle Vorstellung ab. Die Rhythmik fuhr in die Beine, die Stimme setzte sich im Kopf fest. Eingängig und Mitreißend.

Da unterdessen „Torul“ und „Sonar“ zeitgleich auf der Weidenbogen- und der Parkbühne standen, gestatteten wir uns erstmals eine kleine Verschnaufpause, ehe uns „Garden Of Delight“ in ihre dunkel-mystischen Klangwelten entführten. Die Besucher freute es, dass sich die 2008 aufgelöste Band nochmals anlässlich ihres 25jährigen Gründungsjubiläums zusammengefunden hat. Die sonore Stimme von Artaud Seth, der überaus gelöst und entspannt wirkte, vermochte Gänsehaut hervorzurufen. Viel Nebel und weißes Licht verstärkten diese Stimmung noch.

Ein Höhepunkt jagte den nächsten, weshalb wir nach dem Ende von „Garden Of Delight“ sogleich zur Parkbühne eilten, um keinen Ton von „Agent Side Grinder“, deren musikalische Wurzeln unüberhörbar in den 80er-Jahren liegen, zu verpassen. Die Bühne wirkte für die fünf Musiker und ihre Instrumente fast ein wenig zu klein. Die Augen wandern zwischen dem schlaksigen Sänger Kristoffer Grip, deren kantige Bewegungen ein klein wenig an Joy Divisions Ian Curtis erinnerten und den vier anderen Musikern hin und her. Es war durchaus beeindruckend, wie die unterschiedlichsten Töne erzeugt wurden. Neben modularen Synthesizern kommen auch Tape Loops und eine Art Metallspirale zum Einsatz. Experimentell und trotzdem eingängig. Elektronischer Post Punk par excellence.

Ein kräftezehrendes, aber überaus befriedigendes Programm. Schon zu jenem Zeitpunkt als die Sterne der Nacht des Freitags über dem Deutzener Kulturpark am Himmel leuchteten und wir die Auftritte von „Klangstabil“ und „Kite“ entspannt und glücklich aus der Ferne verfolgten, stand fest: Das NCN 2016 ist ein voller Erfolg. Wir waren zufrieden, doch der Akku stand mittlerweile auf null.

Tag 2: Samstag

Den zweiten Festivaltag, der uns wie schon der Vortag Sonne und sommerlichen Temperaturen schenkte, ließen wir ein wenig langsamer angehen. So wanderten wir gelöst über das schöne Gelände (kein Vergleich zu einer betonierten Fläche vor den Toren einer Stadt), informierten uns über das reichhaltige Angebot an Speisen und warfen kurze Blicke auf die Auslagen der Händler. Nebenbei schenkten wir der einen oder anderen Band unsere Ohren, ehe die erste schwere Entscheidung auf uns wartete: Schwelgerischer Post-Punk von „Bleib Modern“ oder klassischer EBM von „NZ“. Wir entschieden uns für Ersteres und wurden nicht enttäuscht. Mitreißend und wohlklingend. „Bleib Modern“ – ein Name, den man sich merken sollte.

Anschließend spielten „Unzucht“ und „Morthound“, wobei wir unsere Kräfte für die kommenden „Aufgaben“ aufhoben.

„The Exploding Boy“ war uns bereits sehr gut bekannt als Garant für packende Auftritte und so wurden die Menschen vor der Weidenbogenbühne erwartungsgemäß in eine grandiose Stimmung versetzt. Mittlerweile zu sechst und dadurch noch ein Stückchen intensiver wussten die Schweden zu begeistern. Großartige Melodien, melancholisch, ein grandioses Songwriting, keinerlei Leerlauf, ein erstklassiger Titel folgte dem anderen.

„The Fair Sex“ gaben sich nach langer Konzertpause wieder die Ehre und entführten auf eine Zeitreise in die musikalische Vergangenheit der Band. Myk Jung präsentierte sich agil wie eh und je und riss die Besucher mit. Der gesuchte Kontakt zum Publikum war schnell hergestellt und der Funke sprang umgehend über. Stolz stellte der Sänger seine zwischenzeitlich 22jährige Tochter vor, die ihren Herrn Papa bei einigen Songs stimmlich unterstützte.

Nach dieser ausgezeichneten Vorstellung mussten wir verschnaufen, bevor ein weiterer Höhepunkt anstand. Eigentlich hätten sie schon vor einigen Jahren ihr NCN-Debüt feiern sollen, doch es kam anders. Aus gesundheitlichen Gründen mussten „Zeromancer“ ihren Auftritt 2011 absagen. Doch nun konnte dieser endlich nachgeholt werden. Die Bühnenbreite voll ausnutzend gab sich Sänger Alex Møklebust temperamentvoll und die Menge wogte mitmachend. Die Dynamik der Musiker war eindrucksvoll. Die vielseits bekannten Songs versetzten die Zuhörer in Ekstase.

„Schön und jung und stark
Schön und jung und stark
Du bist schön und jung und stark
Nimm dir was du willst
Nimm dir was du willst
Solang du nur noch kannst
Verschwende deine Jugend
Verschwende deine Jugend“

Unsere Jugend ist wie die der beiden Protagonisten von „DAF“ offiziell längst vorbei. Und so verschwendeten wir zumindest keinen Augenblick und saugten Gehörtes und Gesehenes auf. „Der Mussolini“, „Alle gegen Alle“, „Verschwende Deine Jugend“ – Hit folgt auf Hit. Sänger Gabi Delgado-Lopez – mit unvermindertem Bewegungsdrang, der sich auch unmittelbar auf das Publikum übertrug – zog die Zuhörer magisch an. Die bekamen nicht genug und stimmten abschließend „Der Räuber und der Prinz“ an. DAF ließen sich nicht zweimal bieten und kamen zurück, wobei Gabi Delgado-Lopez den direkten Kontakt zu den Fans suchte und den Sicherheitsgraben auf- und abschritt.

Den zweiten Festivaltag schlossen „ASP“, welche die zum Mitklatschen und Singen bereite Menge zu begeistern wussten, musikalisch ab.

Tag 3: Sonntag

Beim Betreten des Kulturparks am Sonntag öffnete der Himmel erstmals seine Pforten. Doch mit Regenjacke oder -schirm ausgestattet, trotzten wir solchen Tücken wie gewohnt. Was auch wichtig war, denn selbst der kurze Zeitaufwand für den Weg zum Auto, um sich zwischendurch ggf. mit trockener Kleidung zu „versorgen“ wurde zum Opfer. Wollte man doch keinen der vielen guten Auftritte verpassen. Wie beispielsweise den von „2nd Face“, einem vielversprechenden Newcomer, der aufgrund der frühen Spielzeit und des Regens leider nicht die verdiente Aufmerksamkeit erntete.

„Kunst und Wahnsinn“ heißt ein Song der Elektro-Formation „Pankow“. Manche waren vom Wahnsinn begeistert, andere hatten mit dem künstlerischen Ansatz der bereits seit 1982 aktiven Band aus Italien ihre Probleme. So teilten sich auch unsere Meinungen. Aber eines mussten auch Kritiker zugeben: Die Musik ist allemal außergewöhnlich und durchaus tanzbar.

Zwischen den einzelnen kurzen Regenschauern schafften wir es, einseitigen Sonnenbrand zu bekommen. Während des Auftritts von „The Cassandra Complex“ brannte das goldene Rund heftig vom Himmel. Die offensichtliche Freude von Sänger Rodney Orpheus über die Begeisterungsfähigkeit des anwesenden Publikums war fast rührend. Seine jugendlich wirkende Bühnenpräsenz bildete einen entzückenden Kontrast zu seinen real zählbaren Lebensjahren und des getragenen Anzugs inklusive Hemd und Krawatte. Äußerst sympathisch.

„The Cassandra Complex“ waren so fesselnd, dass es „Winter Severity Index“ trotz hoher Qualität schwer hatten, uns mit ihren fragil-kühlen Songstrukturen aus der Reserve zu locken.

Sonja Kraushofer – ebenso agil wie dämonisch-verrückt und mit faszinierender Stimme – stand bei „L’âme Immortelle“ im Mittelpunkt. Ihre Theatralik, ihre fast „wilden“ Bewegungen bannten die Blicke. Und so dominierte sie nicht nur stimmlich das Geschehen auf der Bühne. Was wohl auch erklärt, dass sich das Publikum diesem Sog willig hingab.

Anschließend erfreute „Selofan“ die Liebhaber kühler und minimalistischer Klänge, während „Megaherz“ – mit üblicher clownesker Kriegsbemalung – synchron einen Teil der Besucher vor der Weidenbogenbühne versammelten und in Bewegung versetzen konnten. Alte Songs wurden besonders bejubelt.

Den mehr als würdigen Abschluss gestalteten „Fixmer/McCarthy“. Unsere leichten Bedenken bzgl. der Techno-Lastigkeit wurden vom Tempo, den Melodien, der Stimme und der Präsenz von Sänger Douglas McCarthy, der im Übrigen kaum zu altern scheint, mehr als nur weggerissen. Was für ein fantastischer musikalischer Ausklang.

Zu Haus angekommen und den Bericht schreibend fällt auf, das wieder mal alles viel zu schnell vorbei war. So blättern wir in Erinnerungen schwelgend im Programmheft, wobei wir auf einen kleinen Fragebogen und die folgende Frage stoßen: „Welche Bands haben Dir am besten gefallen?“ Zwei Antworten sind zulässig. ZWEI?! Ernsthaft? Unmöglich. Noch klingt die letzte Band vom Sonntagabend im Ohr. Doch da waren doch noch DIE Band, und DIE, und DIE… Welche zwei die „besten“ waren? Die Frage ist beim besten Willen nicht zu beantworten.

Fazit

Die Bandauswahl war exzellent und bot für Musikliebhaber jenseits der eingetretenen Festivalpfade eine tolle Mischung. Vier voll bespielte Bühne haben ihre Vor- und Nachteile: Einerseits konnte eine gewisse Entzerrung festgestellt werden, andererseits standen einige schwere Entscheidungen an. So hat uns das NCN auch etwas gelehrt: den Auftritt der einen oder anderen ungeliebten Band zu schätzen.

Es ist nicht nur das besondere Engagement der gesamten NCN-Mannschaft um Holger Troisch, dem wir unsere höchste Anerkennung zollen, sondern ebenso die spannende und ausgezeichnete Auswahl der Bands. Dieses Festival darf durchaus als exklusiv bezeichnet werden.

Text: Edith Oxenbauer und Marcus Rietzsch
Fotos: Marcus Rietzsch

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