Unmittelbar neben dem heute noch in seiner ursprünglichen Funktion genutzten Amtsgericht von Berlin Köpenick befindet sich eine ehemalige Haftanstalt. Das 1901 für 52 Inhaftierte (9 Frauen und 43 Männer) erbaute Gefängnis war einer jener Orte, an dem vom 21. bis 26. Juni 1933 die SA ohne jegliche Konsequenzen durch Polizei oder Justiz politische Gegner und Juden gefangengehalten, gefoltert und ermordet hat. Diese abscheulichen Gräueltaten gingen als „Köpenicker Blutwoche“ in die Geschichte ein. Nach Ende des zweiten Weltkriegs diente das Gebäude zuerst als Männerjugendhaftanstalt (bis 1954) und anschließend als Militäruntersuchungsgefängnis (bis 1959). Von 1964 bis 1991 nutzte das DDR-Fernsehen die vier Geschosse des massiven Bauwerks mit gelblichen Klinkern und kleinen vergitterten Fenstern als Kostümfundus und Schneiderei. Ob die Schneiderinnen den Aufenthalt als angenehm empfanden, ist mehr als fraglich. Seit 1977 steht das einstige Gefängnis unter Denkmalschutz. Die angeschlossene Villa und der Frauentrakt sind heute Gedenkstätten der „Köpenicker Blutwoche“.
Nach einer informativen Einführung durch den Guide von go2know betreten wir voller Spannung und mit einer gewissen Ehrfurcht den leicht bogenförmigen Komplex – und schlüpfen gedanklich in die Rolle eines Inhaftierten, der einen der schmalen Gänge entlang geführt wird. Diffuses Licht sickert durch ein Glasdach, das sich über dem zentralen Treppenaufgang erhebt. Die Farbe an den Wänden ist rissig und blättert ab. Trotzdem: durch die einfache Beschaffenheit ließe sich dieses Bauwerk wahrscheinlich umgehend wieder in Betrieb nehmen.
Schon der erste Blick in eine der winzigen Zellen lässt ein gewisses Gefühl der Beklemmung aufkommen. Die vor dem inneren Auge auftauchenden Bilder sind erschreckend. Die schwere Tür fällt ins Schloss, der Schlüssel dreht sich und der Riegel wird vorgeschoben. Plötzlich ist man umgeben von dicken Mauern. Der Wärter blickt noch kurz durch den Türspion, ehe sich seine Schritte langsam entfernen, das Klappern des Schlüsselbunds in der Ferne verhallt und Einsamkeit den Raum erfüllt.
Ein schmaler, an die Wand hochklappbarer Holzrahmen mit Holzlatten diente als Bett. Manche Zellen haben zwei dieser „Klappbetten“ an gegenüberliegenden Wänden angebracht. Zwei Menschen auf etwa sechs Quadratmeter – eine mehr als unangenehme Vorstellung. An manchen Türen deuten vier Einschübe (für Namen oder Nummern?) gar auf eine vierfache Belegung hin. Nein, man mag sich dieses stumpfsinnige Absitzen der Zeit in solch beengten Verhältnissen nicht vor Augen führen. Die dicken Wände, durch welche die Kälte dringt, wirken erdrückend. Ein einziges kleines, auf Kopfhöhe angebrachtes Fenster lässt während unseres vormittäglichen Besuchs ein wenig Licht in den kleinen Raum. Die Vergegenwärtigung der zu anderen Tageszeiten oder bei wolkenverhangenem Himmel vorherrschenden Düsternis und der damit zusätzlich einhergehenden Tristesse ist jedoch nicht schwer. Runde Abdrücke auf dem Zellenboden zeugen von der „sanitären Ausstattung“. Die Insassen mussten für die Verrichtung ihrer Notdurft einen Eimer nutzen. Auch sonst waren die Zellen äußerst spartanisch eingerichtet. Für einen Schrank war kein Platz vorhanden. Regalbretter mussten für damalige Besitztümer ausreichen. Kritzeleien wie die allseits bekannten Striche, mit denen Gefangene die Tage zählten, sind Hinweise auf vergangene Zeiten.
Mit Taschenlampen bewaffnet schleichen wir durch einen dunklen Kellergang. Hier befindet sich nicht nur die alte Feuerung aus den 40er-Jahren, sondern auch eine lichtlose Bestrafungszelle – das sogenannte „Loch“. Ein menschenunwürdiger Ort. Strafe muss sein, aber so?
Beim Verlassen der Baus ziehen wir die frische Luft in die Lungen, machen lange Schritte auf das Ausgangstor zu und lassen das Zeugnis der Vergangenheit hinter uns…
Text: Edith Oxenbauer und Marcus Rietzsch
Fotos: Marcus Rietzsch
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