Nachdem wir bereits in einer alten Fleischfabrik, einem ehemaligen Elite-Internat und einer leerstehenden Fahrlehrerschule auf Entdeckungsreise gehen könnten, führt uns eine weitere von go2know angebotene Tour zu den ehemaligen Kinderheilstätten ins nördlich von Berlin gelegene Lychen.
Strahlend blauer Himmel erwartet uns und verspricht auch in den Gebäuden genügend Licht, um schöne Fotoaufnahmen zu machen. Doch vor der Erkundung versorgt der Guide von „go2know“ die anwesenden Fotografen und Geschichtsinteressierten mit spannenden Details zur Geschichte der Hohenlychener Heilstätten.
Größtenteils aus Spenden finanziert und unter Leitung des Deutschen Roten Kreuzes wurde im Jahre 1902 in einem Kiefernwaldstück nahe der Stadt Lychen mit dem Bau einer Lungenheilstätte für Kinder begonnen. Die Anlage wurde ständig erweitert, so auch durch ein Frauensanatorium. Der englische Landhausstil dürfte für die aus Berlin stammenden Dritter-Hinterhof-Mietskasernen-Bewohner wie die Siedlung aus einem Paradies erschienen sein. Licht, Sonne, frische Luft und der Zenssee. Eine kleine Kapelle entstand bereits 1904 mit den Mitteln aus einer Stiftung. Eine für damalige Zeiten sehr moderne Schwimm- und Badehalle, die auch für Wasseranwendungen geeignet war, verfügte über ein verschiebbares Glasdach. An warmen Tagen hatten die Patienten beim Schwimmen den freien Himmel über sich. Eine großzügig bemessene Sporthalle war ebenso als Kinosaal oder für jegliche Veranstaltungen nutzbar. Mit Errichten einer Wetterstation wurden zudem Zusammenhänge zwischen Wetter- und Krankheitsverläufen beobachtet. Auch sollen zu dieser Zeit Lehrausbildungen organisiert worden sein – als Drucker, Stickerin oder Krankenschwester.
Während des ersten Weltkriegs diente Hohenlychen als Lazarett, in denen die vielen Verwundeten der erbarmungslosen Schlachten versorgt wurden. Aufgrund der politischen Lage und der sinkenden Zahl der Tuberkulosefälle gab es in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts starke Veränderungen. Hauptsächlich wurden nun Sportverletzungen und Arbeitsunfälle behandelt. Aus der Heilanstalt wurde das Reichssportsanatorium. Das medizinische Personal kümmerte sich fortan um Nationalspieler und Spitzensportler. Weltruf erlangten die hier erreichten Rehabilitationen bei Meniskusschäden. Hohe Parteifunktionäre dieser Zeit waren in Hohenlychen zu Gast. Ebenso besuchten internationale Delegationen das Sanatorium. Sogar als Urlaubsdomizil war der idyllisch gelegene Ort beliebt. Nach Ende des zweiten Weltkriegs übernahmen die Sowjets das von Bomben verschont gebliebene Häuserensemble, welches später eine Neunutzung als Lazarett und Geburtsstation fand. Zuvor schaffte man jedoch Einrichtungen und medizinisches Interieur weg. Die kleine Kapelle wurde zum Treibstofflager umfunktioniert. 1993 endete auch diese Episode.
Nach dem Abzug der Russen blieben viele Liegenschaften sich selbst überlassen. Jahrzehnte Wind, Wetter und Zerstörungswut ausgesetzt, verfallen grundsolide und schöne Bauwerke zusehends. Nur teilweise gelang die Wiederbelebung. Wie beispielsweise in Beelitz, Wünsdorf und ebenso in Hohenlychen, wo einige der zahlreichen Gebäude saniert wurden und werden.
Einige Bauwerke existieren nicht mehr. Leerstand, Vandalismus und Brandstiftung dürften hierfür ursächlich sein. Wo hingegen andere Häuser wieder genutzt werden. So bewohnt beispielsweise der neue Eigentümer der ehemaligen Heilstätten ein wundervoll hergerichtetes Chefarzt-Haus. Entsprechend kann man sich eine Zukunft mit instandgesetzten und bewohnten Gebäuden gut vorstellen, was so auch geplant ist. Ein auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindliches Verwaltungsgebäude steht schon auf „Start“ für die erhaltenden Baumaßnahmen. Ferner hat sich ein Bürgerverein der Kapelle angenommen, die nun wieder geöffnet ist und nicht mehr wie eine Tankstelle riecht. Das Leben kehrt zurück.
Nach der interessanten Reise in die Vergangenheit und einem kurzen Blick in die Zukunft gilt es den Ist-Zustand zu erkunden und die faszinierenden Details von Baukunst und der Umsetzung von sozial-hygienischen Erkenntnissen zu entdecken.
Bei den zugänglichen Gebäuden sind die Fassadenteile der oberen Etagen mit Fachwerk gestaltet. Augenscheinlich ist das Holz noch in gutem Zustand. Die großen Fenster der Veranden und Balkone lassen viel Licht und Luft herein. An Wänden und Türen stehen kyrillische Schriftzeichen. Ferner lässt ein gewisser „Bastelwahn“ – hier eine eingezogene Wand, da ein Durchbruch – auf die russischen Vorbesitzer schließen. Insgesamt sind die großzügigen Flure und lichten Räume aber in ihrer ursprünglichen Anordnung zu sehen. Wer oder was auch immer an jener Stelle einmal „einziehen“ mag – es wird ein Glück für die Nutzer und für die Häuser. Gegenwärtig steht jedoch der Erhalt im Vordergrund. Zerschlagene Fenster sind mit Folien, Brettern oder Türblättern verschlossen. An anderen Stellen hat die Zeit schwere Wunden geschlagen. Mitunter eindringende Nässe wirkte sich negativ aus.
In einem Untergeschoss entdecken wir kleine dunkelblaue Wandfliesen, unterbrochen von Fliesen mit stilisierten Tiermotiven. Eine Art Laubengang zwischen zwei Gebäudeteilen scheint nur eine Besenreinigung und etwas Farbe zu benötigen. Das fast ovale Treppenhaus mit einem zierenden Treppengeländer stellt für viele Besucher DEN Blickfang dar. Eines von vielen schönen Motiven bzw. Ansichten.
Am Nachmittag endet unser Streifzug. Das Tor wird wieder versperrt. Der Eigentümer bekommt seinen Schlüssel zurück. Wir werfen noch einen Blick zurück. Teils mit Wehmut, weil die von uns „erschlossenen“ Fotomotive bald der Vergangenheit angehören dürften. Teils mit Hoffnung, dass diese schönen Häuser gerettet werden.
Text: Edith Oxenbauer und Marcus Rietzsch
Fotos: Marcus Rietzsch
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