Es kam. Kam mit der Post. Und dann lag es vor mir: Ein Taschenbuch mit insgesamt 176 Seiten und dem Titel „Albträumer“. Schon das Bild auf dem Umschlag – ein Baby mit Perücke, Schnäuzer und Kinnbart – ließ Befürchtungen aufkommen. Schnell den Klappentext beäugt: „Ein Reporter liebt eine Frau. Kurz darauf zündet sie sich an. Dann passieren verschiedene Dinge. Ein Bär räumt in einer Diskothek auf, ein echter Bär. Der Schützenverein rettet die Nacht. Irgendwie stecken alle unter einer Decke, sie ist kariert. Am Ende passiert noch etwas Unerwartetes. Völlig absurd und dabei schrecklich realistisch entfesselt Andy Strauß in diesem Roman ein Feuer über einer längst abgehängten Region.“
Aha. Gut, das Buch werde ich dann nicht am Abend lesen. Aber dann nach dem Frühstück tauche ich in 24 Albträume ein. Wer hatte nicht schon mal einen Albtraum?! Absurde Situationen, mit bekannten Personen angereichert, die dort nicht hingehören. Und man tut Dinge, die in der Realität unmöglich wären. Beinahe unmöglich. Denn möglich ist alles.
Es gibt Brüche und Irritationen, was Grammatik und Orthographie betreffen, was ich zunächst für ein zu flüchtiges Lektorat hielt. Mit Fortschreiten der Albtraumlesung scheint es dann doch etwas Gewolltes zu sein. Die Wortwahl lässt oft stutzen – „wie ist das gemeint“ – und ganze Passagen zweimal lesen, schadet da keineswegs, um zu verstehen. Das ist kein Querlesen-Buch. Man muss sich anstrengen.
Die Träume haben Überschriften. Überschriften, die an sich schon zu denken geben. Deren abgrundtiefer Sinn sich nach dem Lesen eines Albtraumes dann noch einmal verändert: sarkastisch und makaber. Und in dem Tohuwabohu der bizarren Albtraumwelten verweben sich die Handlungen der Personen. Mal aus dieser, mal aus einer anderen Perspektive betrachtet. Da muss der Lesende aber auch gut aufpassen, um die Protagonisten zu erkennen und zuordnen zu können. Erst wenn sich einem dieser Kreis der Handelnden zu einem gemeinsamen Bild fügen, erkennt man das Hamsterlaufrad, worin sich alles und alle bewegen. Vorangestellt im Buch ist ein einleitendes Vorspiel, einige nachdenkliche ernste Überlegungen in und über eine Entbindungsstation. Und es endet mit einem Nachspiel in derselben; allerdings weniger nachdenklich als drastisch.
Albträume sind Bilder und Erlebtes im Kopf. Zugegeben: total unsortiert. Aber unbestritten erfindet der Kopf nichts, er nutzt nur das mehr oder weniger freiwillig Angesammelte. Die aufgeschriebenen Albträume des Andy Strauß kommen stellenweise auf dem Niveau von Privatfernseh-Comedy-Beiträgen daher. Und ja, auch das ist unser Alltag. Und wir muten das unserem Kopf zu. Es gibt genug Zuschauer, die dabei amüsiert sind. Mehr noch: begeistert. Und so gesehen könnte man bei diesen Albträumen einfach nur kreischend lachen. Könnte man. Man. Ich nicht. Diese skurrile Sprache, diese monströse Albtraumwelt lässt reichlich Realität durchblicken. Schwarzer Humor? So ähnlich. Schmutziger Humor trifft es eher. Erschrecken wir nicht manchmal vor unseren eigenen Träumen? Und suchen wir nicht das Körnchen Wahrheit darin? Irritierend. Und nun aufgeschriebene Albträume.
In Kurzform ein Beispiel zu geben fällt schwer. Ein Versuch: ein Albtraum um eine Kliniknachtschicht. Rekordsuche für aufeinanderfolgende „ruhige“ Nächte. Für den Rekord kann man auch mal einen Menschen vor der Kliniktür verbluten lassen. Realistisch wirkender Albtraum oder albtraumhafte Realität? Oder – zweiter Versuch eines Beispiels – damit Apfel (der Oberkommandant Adam) Augen, Mund und Körper bekommt, werden ein Mann und ein Hund entsprechend zerlegt und die Teile hinzugefügt. Auch irgendwie logisch. Oder?
Doch nur mit den darum angeordneten Worten bilden sich die akrobatischen Sätze und daraus die 24 Albträume zuzüglich Vor- und Nachspiel.
Für potentielle Leser, die sich irgendwie für „normal“ halten, ist dieses Buch nur bedingt geeignet. Also ich würde abraten. Für zwanghaft Absurdgeschichtenleser jedoch ist „Albträumer“ ein Muss.
U-Books
www.u-books.de
ISBN 978-3-86608-137-6