Beim dritten Werk aus David Wonschewskis Feder soll es sich offiziell um einen Liebesroman handeln. Doch der Klappentext weckt anfänglich Zweifel in mir:
„Als Janusz Jaroncek wegen Mordes an seiner Jugendliebe Uta Wensch festgenommen wird, stürzen sich Mediziner, die Justiz und auch die Medien auf ihn und seinen Fall. Alles scheint eindeutig: Ein durchgedrehter Stalker bringt sein unerreichbares Opfer nach jahrelanger Observation um.
Doch Jaroncek beteuert seine Unschuld. In den Verhören schweigt er, bis ihm plötzlich eine Beamtin vorgesetzt wird, deren Willen er sich nicht entziehen kann…
Es geht nicht um diesen Mord.
Nein, es geht um mehr. Um viel mehr.
Es geht um Liebe.“
Also doch ein Liebesroman? Durchaus. Der Protagonist liebt verzweifelt und leidenschaftlich. Jedoch auf eine ganz eigene, ihm spezielle Art. Ist es ein Kriminalroman? Ja. Auch. Denn seine ewig Angebetete ist tot. Kein Suizid. Fremdverschulden. Hat Janusz seine verehrte Uta getötet? Wenn ja: warum? Selbstzerfleischung, Selbsthass, Verblendung und Wahn rasen wie Tsunamis durch den Kopf dieses keinesfalls gesellschaftstauglichen Menschen. In seinen Gedankenmonologen rennen Unschuldsbeteuerungen gegen die Seelenverstümmelung seiner Kindheit an. Nein! Niemals bringt man den Menschen um, den man liebt. Oder doch? Aber was bleibt einem dann noch?
Die Erzählung ist psychologisch sehr tiefgehend aufgebaut. Hat David Wonschewski in den Kopf dieses Janusz geschaut? Menschliche Gefühle, die erschrecken und abschrecken. Denn ein Mensch ist Janusz. Er macht sich Gedanken um die Welt und die anderen Menschen. Geschickt verpackt in diesen Denkstrudel sind politische und gesellschaftliche Fragen. Fragen über die der „normale“ Mensch auch nachdenkt. Das beunruhigt. Diese Gemeinsamkeit mit einem… ja was? Stalker? Mörder? Armen Irren? Dumm ist er nicht. Aber Janusz findet sich in der äußeren Welt nicht zurecht. Ein Kauz, ein seltsamer Mensch, der an Ecken herumsteht und laute Selbstgespräche führt. Er lebt, denkt und fühlt in einer inneren Welt. In welcher er sich aber offensichtlich auch nicht zurechtfindet. Janusz weiß, dass er „anders“ ist. Aber Janusz ist trotzdem von der Richtigkeit seines Denkens und Tuns überzeugt. Ein unlösbarer Widerspruch. Die Weiblichkeit (Uta vor allem) fasziniert ihn. Aber gleichzeitig ist Janusz verschreckt. Denn das Weibliche hat eine unverständliche Magie.
Liebe wäre ein guter Grund, am Leben zu sein und zu bleiben… Aber WIE soll und kann man lieben? Der Protagonist ist dermaßen zerrissen, dass er sich im Labyrinth seiner Gefühle nicht zurechtfindet. Die Frage, wer er ist, was er denkt, was er getan hat, lässt sich nicht beantworten. Sezierend durchstreift Janusz seine Gehirnwindungen. Legt hier etwas frei. Verändert dort etwas. Und findet doch nicht sich selbst.
240 Seiten Selbstreflexion. Monologe? Dialoge? Rede und Antwort real oder fiktiv? Welche Psyche steckt hinter dieser Selbstzerstörung? Sich in Janusz hineinzufinden, ist nicht ganz einfach. Der Leser muss sich hineinmogeln, um diese Denkweise besser nachvollziehen zu können. Das heißt nicht, dass man sie versteht. Janusz ist so etwas wie ein Virus, den man sich eingefangen hat. Man muss sich arrangieren.
David Wonschewski zeichnet ein sehr detailliertes Bild von der Persönlichkeit dieses Mannes. Es hilft beim Verstehen. Beim Nachvollziehen. Jedoch ist es keine Entschuldigung, kein Freibrief dafür, Täter mit „mildernden Umständen“ von ihrer Tat freizusprechen. Aber es ist ein weites Feld, um Schuld und Sühne gerecht gegeneinander abzuwiegen.
Wenn ich es recht betrachte, ist „Zerteiltes Leid“ ein Ein-Personen-Stück. Andere Personen wabern eher gestaltlos durch das Gedankenwirrwarr von Janusz. Den Leser trotzdem fesseln zu können und ihn nicht mehr loszulassen, ist eine große Kunst.
Nichts scheint klar zu sein, wer ist gut und wer ist böse? Ein Buch, welches den Leser in solche Überlegungen stürzt, welches auch nach der letzten gelesenen Seite nicht aus dem Kopf heraus will, ist ein wertvolles und anspruchsvolles Buch.
ISBN: 978-3-943876-85-7
Edition Periplaneta