Eine Karte fällt aus dem Buch heraus. Weiß mit ein wenig Grau. Sie zeigt ein Glas Wasser mit einer Handvoll Tabletten. Auf der Karte stehen folgende Worte: „Man muss auch was zu Ende bringen können.“ Bereits hier dürfte jeder Berufsoptimist auf Abstand gehen. Dieses Bild wiederholt sich auf dem Umschlag des Buchs „Schwarzer Frost“. Oha, das wird wohl keine leichte Kost.
Der Klappentext:
„Ein Musikjournalist steht in seiner Wohnung vor dem Plattenregal und überlegt. Er hat Besuch von seinem Kollegen Lohwald, einem berühmten TV- und Radiomoderator. Langsam wird ihm immer klarer, wie sehr er seinen Gast verabscheut. Er fasst einen Entschluss: Er wird Lohwald töten. Hier und jetzt. Dass er das Potential dazu hat, weiß er. Denn seit jeher fühlt er diese Kälte, die ihn taub werden lässt und ihn jeglicher Menschlichkeit beraubt. Doch dann, als er bereits an der Durchführung seines morbiden Planes feilt, entdeckt er plötzlich etwas an seinem Gast, das ihn verstört…
Ein misanthropisch-existentialistischer Exkurs in die kaputte Psyche eines Medienschaffenden, der sich in einem gnadenlosen Monolog selbst zerfleischt.“
Der 1977 geborene Autor David Wonschewski war selbst in der Medienbranche tätig – zehn Jahre lang als Musikjournalist bei einigen der größten deutschen Privatsender. Er hat offensichtlich tiefe Einblicke genommen. Emotionale Brutalität bei einer oberflächlichen Gleichgültigkeit – das gebiert Seelenkrüppel.
Der Otto-Normalverbraucher hat meist keine Vorstellung davon, wie es bei den Medien hinter den Kulissen zugeht. Er sieht und hört nur das Ergebnis. Und fragt sich dann hin und wieder, wie krank die Macher eigentlich sind. Aber auch das wäre nur eine oberflächliche Bemerkung.
Der „Held“ im „Schwarzer Forst“ könnte überall in Lohn und Brot sein. Der Druck zwischen den Hierarchien der Arbeitswelt deformiert die Seele. Die aktuellen Statistiken zeigen es auf. Das Besondere in der Medienbranche ist die extreme Abhängigkeit von Einschaltquoten und Werbekunden.
Wie kann man sich schwarzen Frost vorstellen? Eine Kälte, die jegliches Gefühl umhüllt. Nichts kann mehr heraus, nichts kann mehr herein. Schwarzer Frost ist wie im Koma: die Menschen draußen sind nur Schemen und in ihrem Verhalten unverständlich. Und in einem selbst ist die Sprache erstarrt. Es gibt keine Gemeinsamkeiten zwischen DENEN und MIR. Frost. Sie hören mich nicht. Ich höre sie nicht. Es gibt nur noch ein Denken, Grübeln, Rekapitulieren, Sezieren.
Das Buch besteht aus drei Teilen: „Vor Lohmann“, „Lohmann“ und „Nach Lohmann“. Wobei „Nach Lohmann“ nur noch wenige Seiten sind. Der Protagonist, ein Musikjournalist, ein gefühls- und bindungsunfähiger Egomane. Selbstverliebt und überheblich. Er erwartet Besuch. Besuch von Lohmann. Lohmann, sein Widerpart im Sender. Der hassenswerte hässliche widerliche Lohmann kommt zu Besuch, damit man sich mal ausspricht. Bitteschön: worüber?
Der Journalist versinkt in einem sprunghaften Gedankenmonolog. Wie bei den viel zu schnellen Schnitten moderner Filme. Seine Freundin, Ex-Freundin. Sein Freund, toter Freund. Die Kollegen, unfähige Kollegen. Die Frauen, Frauensucht, Frauensuche ohne Lust. Die Glückspillen vom Psychotherapeuten, die nicht glücklich machen. Ein Monolog mit kreisenden Gedanken. Scheibchenweise Vergangenheit. Scheibchenweise Lohmann. In Lohmann personifiziert sich der gesamte Hass auf die Welt, auf die Menschen, auf die Dummheit, auf diese überbordende Langeweile und Sinnlosigkeit. Lohmann, das Böse, Gemeine schlechthin. Das muss weg. Ein Crescendo des Vernichtungswillens in der geschlossenen Welt im Kopf. Und dann kommt Lohmann. Alt, fett, hässlich, zynisch. DAS muss weg, DAS ist ekelhaft. Ein paar tatsächlich gesprochene Satzbrocken unterbrechen die Gedankenmühle des Erzählers, die jedoch weiter mahlt und mahlt und alles zerfleischt. Jäh, unerwartet, fallen dann Worte, die den Erzähler erreichen. Wirklich erreichen. Er benähme sich seltsam, man mache sich Sorgen um ihn. Damit bricht etwas zusammen. Dieses „Ich werde Lohmann töten“ passt nicht damit zusammen. Und in all dem Wirbel im Kopf: Lohmann ist das, was ich mal sein werde.
„Nach Lohmann“ – Lohmann stellt dem Erzähler ein Glas Wasser hin…
Der Mensch „Erzähler“ ist gnaden- und grenzenlos in seinen Gemeinheiten, Boshaftigkeiten, Abgeschmacktheiten. Und zerbricht gerade selbst daran. Er zieht andere herunter und landet selbst ganz unten. Irgendwann begegnet einem solch ein Typ, zumindest in abgespeckter Form.
Interessant sind Einschübe, die absolut wertfrei sind – und gerade deshalb auch bezeichnend. Ein Vogel fliegt am Fenster vorbei. Etwas später wieder ein Vogel. Ob es wohl derselbe ist. Wen interessiert das? Ist das wichtig? Krause Gedanken aus einem krausen Hirn. Depression.
„Schwarzer Frost“ ist wahrlich keine Lektüre für ausschließlich Frohsinnige. Die dunklen Seiten eines Menschen werden ausgeleuchtet, teilweise freigelegt. Eine Kälte, der man nicht entrinnen kann. Der Leser muss sich einlassen und trotzdem Abstand halten. Die Bezeichnung „Schwarzer Frost“ ist unglaublich passend für diese alles Menschliche zertrampelnden Typen. Diese unfehlbaren überklugen auf Sockeln Stehenden. Es gibt sie. Sie sind mitten unter uns.
Leseempfehlung? Begrenzt: „Zutritt nicht für jedermann.“
Buch, Softcover 240 Seiten
ISBN: 978-3-940767-97-4