Nocturnal Culture Night 2015

Die Krupps

04. - 06. September 2015

DEUTZEN, KULTURPARK

Das zehnte Mal Nocturnal-Culture-Night (kurz: NCN). Das zehnte Mal in Deutzen. Fast immer am ersten Wochenende des Monats September. Wir erlebten schon Sonnenbrandtage und Nächte, in denen ein kurzärmeliges Oberteil ausreichte. Wir kennen auch regnerische und kalte Festivaltage, an denen bereits am frühen Abend der Atem einen kleinen Nebel bildet. In diesem Jahr dominierten die Wolken. Schirme waren somit immer griffbereit. Glücklicherweise kamen diese nur einige Male und nicht dauerhaft zum Einsatz. Letztendlich scheint das angekündigte Wetter aber kaum eine Rolle zu spielen: Das Maximum der möglichen Besucherzahl (etwa 3000) wurde im Jubiläumsjahr fast erreicht. Parkplatztickets waren schon lange nicht mehr zu bekommen. So wurde ein dritter (kostenfreier) Platz eingerichtet, um allzu wildem Parken entgegenzuwirken.

Was wohl beweist: das Konzept stimmt. 100 Prozent Freiluft. Kein Hangar, keine Arena. Mit allen Widrigkeiten, die daraus entstehen können und die sich Macher wie Besucher stellen. Neben diesem „Alleinstellungsmerkmal“ drückt natürlich die interessante Auswahl der auftretenden Bands dem Festival ihren Stempel auf. Beim NCN findet der Besucher Künstler, die nicht Jahr für Jahr auf den Plakaten der „großen“ Festivals auftauchen. Wie beispielsweise „Raison d’etre“, „Deutsch Nepal“ oder „Naevus“, die zahlreiche Fans von Ambient- und Neofolkklängen anlockten.

Das „familiäre“ Festival präsentierte sich – nunmehr mit vier Konzertbühnen – abwechslungsreicher denn je. Die Stimmung darf ohne Übertreibung als grandios bezeichnet werden. Was sicher nicht unwesentlich an der Überschaubarkeit der Besucherzahl und des Geländes lag. Und selbstverständlich an dem erwähnt breiten Musikangebot, welches so manche Neuentdeckung in entspannter Atmosphäre ermöglichte. Kurzum: ein Wohlfühlwochenende.

Veranstalter Holger Troisch kündigte bei der traditionellen Verabschiedungszeremonie bereits das elfte NCN an. Für all die Mühe und Arbeit seines Teams gab es reichlich Applaus. Viele der Mitarbeiter, einschließlich Holger Troisch selbst, haben einen festen Job. Um dieses einzigartige Familienfest auf die Beine zu stellen, geben sie ihre Freizeit und ihr Herzblut. Herzlichen Dank.

Doch nun zum Anfang: Am späten Nachmittag des Freitag (bei der Warm-up-Party am Donnerstag mussten wir leider passen) fanden wir uns pünktlich in Deutzen ein. Anwohner standen in kleinen Gruppen vor ihren Häusern. Offensichtlich haben hier auch einige Festivalbesucher Quartier gefunden. Unter einem kleinen Partyzelt saß wie auch schon im vergangenen Jahr eine Gruppe „braver Bürger“ und betrachtete wohlwollend die vorüberziehenden Besucher. Am Einlass hatte sich bereits eine Schlange gebildet, die jedoch zügig abgearbeitet wurde. Bevor die ersten Bands die Bühnen betreten sollten, war noch etwas Zeit, um Neuerungen zu erkunden. Umwälzungen waren nicht zu erkennen. Bekanntes etwas angepasst oder erweitert. Anderes unverändert: Bühne 1, das Amphitheater. Wo jeder – auch der etwas kleiner geratene Mensch – die Möglichkeit hat, das Treiben auf der Bühne nicht nur akustisch, sondern auch visuell zu verfolgen. Die Lage der zweiten Bühne in einer Ecke erscheint vielleicht nicht so günstig, was der allgemeinen Stimmung aber keineswegs schadet. Man arrangiert sich mit den vorhandenen Gegebenheiten. Von einem Mäuerchen aus oder vom Park kann man bei großem Andrang immer noch einen Blick auf diese Bühne erhaschen. Bei der kleinen Kulturbühne wurde der Gastronomiebereich erneuert. Und irgendwie schien die Bühne größer als im Jahr zuvor zu sein. Warum auch immer. Optische Täuschung? Egal. Die Weidenbogenbühne kurz vor dem Durchgang zum Mittelaltermarkt ist klein und in erster Linie für aufstrebende bzw. besondere Bands u. a. aus dem Bereich „Minimal“ gedacht. Oder auch für Lesungen (in diesem Jahr beispielsweise Lydia Benecke und Anja Borges mit Christian von Aster als Überraschungsgast). Große Segel bilden eine Art Dach. Leider ist das Segel direkt vor der Bühne vom letzten Sturm total zerfetzt worden.

Der um die große Bühne herumführende Weg wurde stärker frequentiert als im Vorjahr. Ein Biergarten mit vielen Bänken und Tischen lud dazu ein, den müden Knochen eine Ruhepause zu gönnen. Leider war nur ein kleiner Teil überdacht.

Als eine teils heiß diskutierte Neuerung stellten sich die betreuten Toiletten-Container heraus. Betreut heißt: jemand kümmert sich um Ordnung und Sauberkeit. Das ist mehr als erfreulich. Allerdings geht das nun nicht mehr kostenfrei. Darauf reagierten einige Besucher mit Unverständnis. Andere konnten die Entscheidung und Argumentation der Veranstalter hingegen durchaus nachvollziehen. Amüsant war das Angebot der Flatrate-Tickets: zehn Mal pinkeln, nur sieben Mal bezahlen.

Der Mittelaltermarkt wirkte in diesem Jahr etwas trostlos. Besucher aus den umliegenden Ortschaften waren kaum zu entdecken. Aber auch Festivalbesucher verirrten sich nur in überschaubarer Zahl auf den kleinen Mittelaltermarkt. Für diesen Umstand vermutlich nicht unerheblich dürfte das konkurrierende umfangreiche Getränke- und Speisenangebot auf dem Festivalgelände gewesen sein. Es lockte aber auch kein Programm, wie beispielsweise eine Feuerschau, zu einem längeren Verweilen. Schade.

Eventuell war aber auch die vielversprechend klingende Liste der auftretenden Künstler verantwortlich. Vier Bühnen und immer war irgendwo irgendetwas los. Gab es in den vergangenen Jahren doch mal einen dem Individualgeschmack geschuldeten „musikalischen Leerlauf“, so war dieses Jahr kaum eine Pause möglich. Und das war durchaus gut so. Hier und da mussten allerdings auch schwere Entscheidungen getroffen werden: „The Beauty Of Gemina“ auf der Parkbühne oder „Ash Code“ auf der Weidenbogenbühne? „Whispers In The Shadow“ auf der Amphibühne oder „Raison d’etre“ auf der Kulturbühne? „Das Ich“ oder „No More“? Aber es gibt sicherlich Schlimmeres als sich zwischen interessanten Musikprojekten entscheiden zu müssen. Fast 60 Künstler traten beim Jubiläumsfestival auf. Laut Veranstalter ist damit das Maximum erreicht. Mehr soll es in Zukunft nicht geben.

Am Freitag „empfing“ uns eine junge Formation aus Leipzig: Die Klänge von „Perfection Doll“ waren gewöhnungsbedürftig. Wir gewöhnten uns nicht. Anschließend sorgten „Severe Illusion“ aus Schweden mit differenzierten harten Elektroklängen und einem irre wirkenden, in Frischehaltefolie verpackten Sänger für das erste musikalische Aha-Erlebnis.

Severe Illusion

In der Folgezeit ging es Schlag auf Schlag: „Oberer Totpunkt“ aus Hamburg, die sich zu viert auf die kleine Weidenbogenbühne gequetscht hatten, wussten mit düster-scharfsinnigen Texten und viel Energie zu begeistern.

Oberer Totpunkt

„Legend“, die von vielen erneut gewünscht und umgehend nach ihrem gefeierten Auftritt im letzten Jahr abermals verpflichtet wurden, riss gleichermaßen das zahlreich anwesende Publikum mit.

Legend

Nach einer kurzen musikalischen Verschnaufpause zogen „Merciful Nuns“ die Zuhörer in einen dunklen Strudel. Düsterer Gothic Rock par excellence.

Merciful Nuns

Nostalgische Gefühle löste der temperamentvolle und mitreißende Auftritt von „Psyche“, die bereits seit über drei Jahrzehnten aktiv sind, aus. Sänger Darrin Huss präsentierte sich wie immer sympathisch und mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Und so manch älterer Gast bekam beim Hören des einen oder anderen Dark-Wave-Klassikers feuchte Augen. Auf der Amphi-Bühne zogen „Die Krupps“ am späten Abend wohl einen Großteil der Besucher, die auf dem Gelände waren, an. Metal Machine Music – laut und unbändig. Allerdings übertönten die Gitarren die Maschinen deutlich. Wer der gitarrenlastigen und metalorientierten Schaffensphase der 90er Jahre, in der Alben wie „Paradise Now“ und Titel wie „To The Hilt“ entstanden sind, nicht so viel abgewinnen kann, dürfte durchaus ein wenig enttäuscht gewesen sein. Alle anderen erfreuten sich – trotz einiger technischer Problemchen – an einem energiereichen und stimmungsvollen Auftritt.

Die Krupps

Der Samstag begrüßte uns grau, trübe und feucht. Das sollte unsere Laune jedoch nicht verderben. Entsprechend gekleidet und mit Schirmen bewaffnet hätten wir auch einem Sturm getrotzt, was jedoch glücklicherweise nicht nötig war. Miesepetrige Stimmung hatte keine Chance, wusste uns der intensive Auftritt von „No Sleep By The Machine“ doch sofort zu fesseln. Was für ein Start in den zweiten Festivaltag: Differenzierte Klangwelten, die für eine ganz besondere Atmosphäre sorgten. EBM in der Tradition von „Skinny Puppy“ und „The Klinik“. Und ein Sänger, dessen eindringlicher Blick wohl Metall zum Schmelzen bringt. Einfach phantastisch.

No Sleep By The Machine

Auch bei „Deviant UK“ stand der Sänger, der mit seinem Äußeren doch etwas auffiel, sich selbst offenbar nicht ganz ernst nahm, im Mittelpunkt. In erster Linie punktete er aber aufgrund einer verflixt guten Stimme.

Deviant UK

Die dunkel-wavigen Klänge der türkischen Senkrechtstarter „She Past Away“ krochen langsam aber stetig in den Körper. Einziger Wehrmutstropfen: Die wiederholt relativ langen Pausen zwischen den einzelnen Stücken rissen den Zuhörer oftmals aus der zuvor aufgebauten Atmosphäre.

She Past Away

Konnte man bis zu diesem Zeitpunkt auf Regenschirm bzw. -jacke verzichten, öffnete der Himmel alle seine Schleusen, als „Whispers In The Shadow“, die Bühne betraten. Und trotzdem lieferte die österreichische Formation einen intensiven Auftritt voller dunkler gitarrenlastiger Klanggebilde.

Whispers In The Shadow

Nur nebenbei drangen die hervorragenden Töne von „Sixth June“ in mein Ohr – traf ich doch einen sehr lieben Bekannten. Aber das wünschenswerte Treffen von Freunden ist beim überschaubaren NCN an der Tagesordnung. Gewohnt düster, melancholisch und vor allen Dingen eindringlich zeigten sich „The Beauty Of Gemina“ aus der Schweiz.

The Beauty Of Gemina

Ebenfalls äußerst beliebt und mit vielen Ohrwürmern aus den Anfangstagen: „In Strict Confidence“ mit einem Vintage-Set.

In Strict Confidence

Wer beim Konzert von „Oomph!“ ebenso auf eine Rückbesinnung auf alte Tage gehofft hatte, wurde enttäuscht. Titel der ersten Platten brachten es kaum auf die Setlist. Nichtsdestotrotz kreierte die Wolfsburger Band eine euphorische Stimmung. Auf Kommando wurden Arme geschwenkt, lauthals mitgesungen oder Feuerzeuge bzw. leuchtende Mobiltelefone hochgehalten. Diesem vielfachen Animationsprogramm konnten wir jedoch nichts abgewinnen.

Oomph!

Zum Abschluss des Tages gab es noch ein vielbeachtetes „Schmankerl“ für die Nachtschwärmer, welches sehr gut ankam: „Henric De La Cour“.

Henric de la Cour

Am Sonntag zeigte sich für ein paar Minuten die Sonne. Wir waren begeistert und überstanden so auch den obligatorischen Regenschauer. Was dabei half: die Bands, die sich vom wechselhaften Wetter auch nicht sonderlich beeindrucken ließen. In altmodisch-seriöser Kleidung servierte „EGOamp“ einen Gute-Laune-Song nach dem anderen. Man fühlte sich ein wenig an die Ära der Neuen Deutschen Welle (mit ihren durchaus guten Seiten) erinnert.

EGOamp

Waviger Post Punk von „Lizard Pool“ ließ die gute Laune weiter wachsen. Positiv überraschte uns „E-Craft“. Lange hatten wir diese Bands aus den Augen (und Ohren) verloren. Die rhythmusorientierte Musik drang ohne Umwege in unsere Beine.

E-Craft

Auch die elektronischen Klänge von „Decoded Feedback“ animierten zum Nicken und Stampfen. Als „Das Ich“ auf der zweiten Bühne zum Mitmachen aufforderten, fanden die Massen kaum Platz. Selbst die kleine Grünfläche war voller begeisterter Menschen. Sänger Stephan Ackermann scheint sich besser als erwartet von seiner Krankheit erholt zu haben. Mit einem diabolischen Grinsen, einem lockeren Spruch auf den Lippen und der alten Energie zog er das Publikum in seinen Bann.

Das Ich

Den großen, heftigen Abschluss des Festivals boten „Projekt Pitchfork“. Drei komplette Schlagzeuge waren ein überzeugendes Argument, jeden Takt mitzuwippen und bis zum letzten Klang hingerissen zuzuhören.

Project Pitchfork

Was für ein Festival. Drei Tage, drei Abende mit lauter und leiser Musik. Mit ein wenig Sonne und einigen Regenschauern. Unser Zimmer für das nächste NCN ist bereits gebucht. Die Konzerte, die Menschen, die Mannschaft, die Stimmung – das wollen wir unbedingt auch am ersten Septemberwochenende 2016 erleben.

Auf ein Wiedersehen nächstes Jahr im Kulturpark Deutzen.

Fotos: Marcus Rietzsch

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