Elena Helfrecht (geboren 1992) wuchs in ländlicher Idylle abseits der großen Stadt auf, wo sie von den dunklen Wäldern und Sagen Bayerns beeinflusst wurde. Nach ersten Anfängen mit dem Zeichenstift entdeckte sie schon bald die Fotografie, die eine große Leidenschaft in ihr entflammte. Über viele Jahre eignete sie sich sämtliches Wissen dazu selbst an. Ihre Bildwelten verfolgen das Ziel, menschliche Emotionen und Gedanken zu visualisieren. Mit dem Medium der Fotografie fängt sie die Realität ein und verändert diese digital, um zu zeigen, was sich hinter der materiellen Oberfläche der Dinge versteckt. Um ihre Ideen möglichst akkurat und detailgenau festzuhalten, nimmt sie bei vielen ihrer Bilder sowohl die Rolle des Fotografen als auch die des Modells ein. Ihre Arbeiten hinterfragen die traditionelle Definition von Schönheit und untersuchen, was uns menschlich macht. 2014 schließt sie ihren Bachelor für Kunstgeschichte und Buchwissenschaft ab.
Ihr Portfolio weist einen sehr unterschiedlichen Stil auf. Das hat seinen Grund, denn die Aufnahmen entstanden über einen längeren Zeitraum hinweg. Ein Zeitraum, in dem sich Elena weiterentwickelte. Trotzdem zeigt sich in den Arbeiten „so etwas wie eine Handschrift“, wie sie es selbst formuliert. Eine bewusst bevorzugte Darstellung gibt es nicht, jedoch ertappt sie sich hin und wieder dabei, dass sie beispielsweise verhältnismäßig oft Körperdetails zeigt. Viele Bilder entstünden instinktiv, aus einem Gefühl heraus. Aber Elena sucht auch neue Herausforderungen, wie beispielsweise die Straßenfotografie.
Menschen so abzulichten, dass ihr Innerstes, das Verletzliche, das Individuelle herausgearbeitet wird, ist nicht einfach. Eine gewisse Scheu zwischen Fotografin und Modell kann nur abgebaut werden, wenn eine große Vertrauensbasis geschaffen wird. „Aus emotionaler und psychischer Sicht ist das sehr anstrengend für mich, weil ich mich dabei komplett öffne und verletzlich mache. Dabei gehe ich ganz und gar auf den Menschen ein. Ich habe mich oft selbst als Model verwendet, weil ich keine Angst haben muss, wie weit ich bei mir gehen darf; weiß, wie vorsichtig ich mit mir umgehen muss, was ich verkraften kann und was nicht.“ Die Rolle des eigenen Modells zu übernehmen hat noch einen weiteren Vorteil: die eigene Person steht immer zur Verfügung. So lassen sich viele Projekte verwirklichen. „Die Verarbeitung von Gefühlen und Ereignissen, die ich damit bei mir selbst bewirke, spielt natürlich auch eine große Rolle.“ Aber im Dialog mit anderen Menschen, die sich als Modell zur Verfügung stellen, ist die Herausforderung größer. Es entstehen mehr Emotionen und Neues. Das beeinflusst und beeindruckt stark. „Nach einem Shooting bin ich sehr ausgelaugt und erschöpft, aber es hat sich jedes Mal sehr gelohnt. Fotografie ist Konservierung. Ich finde es wundervoll, wenn man so Geschichten und Gefühle festhalten kann.“ Da Elena sich selbst in ihren Bildern sehr offen zeigt, gewinnt sie auch das Vertrauen der Modelle. Sie wird von Menschen angesprochen, die sich ablichten lassen wollen. Oder der Zufall bringt einen Kontakt zustande. Auch Freunde sind oft bereit, vor dir Kamera zu treten. Nur „werben“ geht Elena nicht: „Überreden ist grenzwertig, denn ich will ja, dass Modelle genauso profitieren wie ich. Jemand, der überredet werden müsste, würde sich sehr wahrscheinlich nicht wohlfühlen.“
Was ist Sinn, Ziel, Triebkraft für Elenas Bildwerke? „Meine Bilder erzählen Geschichten und geben abstrakten Emotionen ein greifbares Gewand – ein Gewand, das aus meiner persönlichen Realität geschneidert ist. Dabei interessiere ich mich nicht für Makellosigkeit, sondern für Geschichten und die Schönheit, die ich in allem wahrnehme. Ich möchte zeigen, was hinter Oberflächlichkeiten oft übersehen wird. Aber das ist nur ein Antrieb von vielen. Die Fotografie hilft mir selbst dabei, Eindrücke und Emotionen zu verarbeiten. Ich habe eine recht eigene Ästhetik entwickelt, die viele nicht unbedingt als ‚schön‘ bezeichnen würden oder nachvollziehen können – allerdings unterscheide ich persönlich zwischen ‚hübsch‘ und ‚schön‘. Schönheit bedeutet für mich unter anderem Einzigartigkeit und hinterlässt einen bleibenden Eindruck – Schönheit erzählt und berührt.“
Elenas Bilder sind manchmal verstörend, manchmal rätselhaft. Es sind menschliche, psychologische Motive. Unterschiedliche Empfindungen. Auch wenn sie nicht immer schön sind. Gefühle werden nach außen gekehrt und sichtbar gemacht.
Was treibt die Fotografin an? Nachdenken über Menschenschicksale, nahe und ferne. „Diese Gedanken waren bestimmt einer von vielen Auslösern. So, wie ich versuche, mich selbst zu verstehen, versuche ich auch, andere Menschen zu verstehen. Jede Handlung und jedes Gefühl eines Menschen, und mag das noch so irrational erscheinen, hat ihre Ursachen und jeder Mensch handelt fast ausschließlich seinen Erfahrungen gemäß. Der Mensch und das, was ihn letztendlich als solchen definiert, ist ein Rätsel, das mich mein Leben lang beschäftigt und, wie ich denke, auch beschäftigen wird.“
Was ist für Elena eine „gute“ Fotografie? Subjektiv betrachtet gebe ein Bild, welches Emotionen ausdrückt, weitaus mehr, als ein technisch einwandfreies Bild. Eine gute Fotografie solle etwas im Betrachter bewegen, zum Nachdenken anregen, eine bestimmte Stimmung erzeugen – ein Bild solle vor allem ein Gefühl übertragen.
Auch Vorbilder gibt es: „Hunderte, vielleicht tausende. Da ich mich viel mit der Kunstgeschichte auseinandersetze und mich auf die Fotografie dabei spezialisiere, entdecke ich jeden Tag neue Künstler, die mich bewusst und unbewusst beeinflussen. Joel-Peter Witkin bewundere ich unglaublich, genauso wie Gregory Crewdson, Floria Sigismondi, August Sander oder Helmut Newton (zusammen mit seiner Frau, die als Fotografin meiner Meinung nach deutlich unterschätzt wird). Mein Regal steht voller Kunstbände.“
Zahlreiche Veröffentlichungen und Auszeichnungen kann Elena schon vorweisen. Doch welche sind ihr besonders wichtig? „Eine schwierige Frage. Sicher freut man sich und ist stolz – aber eigentlich ist das alles nur ein Mittel, um eine Botschaft in die Welt zu schreien und Menschen zu erreichen. Wirklich wichtig ist mir eher das Feedback, das ich von Menschen bekomme, denen meine Kunst hilft. Private Nachrichten, Mails, in denen mir Menschen mitteilen, wie gut ihnen meine Bilder tun und dass ich tatsächlich in der Lage dazu bin, etwas zu bewirken und zu verbessern. Das tut gut.“
Aber etwas Konkretes lässt sich dann doch benennen: „Das Cover für Ted Chiangs ‚Das wahre Wesen der Dinge‘ bedeutet mir recht viel“. Dadurch lernte sie Benswerk kennen (die sie sehr bewundert). In Zusammenarbeit kam das Buchcover zustande.
Die Frage, ob Fotografie dank der digitalen Technik heutzutage beliebig geworden ist, da eine Bilderflut wie ein Tsunami durch das Internet rast, betrachtet Elena Helfrecht aus zwei Richtungen.
So sieht sie sowohl Vor- als auch Nachteile. Der Vorteil sei, dass auf Informationen und neue Bilder schnell zugegriffen werden könne. Das sei bei Studium und Forschung hilfreich.
Für den Konsumenten allerdings sei es schwieriger geworden, Relevantes aus der Masse herauszufiltern.
„Die digitale und damit auch erschwinglichere Technik bietet jedem die Chance, das Werkzeug zu nutzen. Damit ist dieser Aspekt (fast) nicht mehr von rein finanziellen Mitteln abhängig.“ Doch gehöre eben mehr zu einem guten Bild als nur Technik zu bedienen: „… kunstvolle Fotografie ist weitaus mehr, als einfach nur den Auslöser zu betätigen.“
Kürzlich wurde eine Schwarz-Weiß-Fotografie von Peter Liks – zu sehen ist das einfallende Licht in einen Canyon in den USA – für 5,2 Millionen Euro ersteigert. Letztendlich heißt es, ein Kunstwerk sei so viel Wert, wie jemand bereit ist zu zahlen. Doch wie steht Elena zu solchen Summen? „Das Bild ist vermutlich sein ‚Phantom‘, darüber habe ich auch schon einiges gelesen. Über das Thema könnte ich eine ganze Arbeit schreiben, denn das beschäftigt mich auch privat sehr. Es stimmt, dass Kunst immer nur so viel wert ist, wie jemand bereit ist, zu bezahlen – genauso wie jedes Wirtschaftsgut (und auf dem Markt ist auch Kunst nichts anderes). Natürlich sind die Summen unverhältnismäßig und wenn ich daran denke, wie viele gute Künstler trotz ihrer Leidenschaft, Zeit und der Stärke ihrer Kunst nicht ansatzweise davon leben können, neige ich schnell dazu, wütend zu werden. Viele Kunstwerke werden leider nicht gekauft, weil sie gefallen, sondern weil sie als Investition angesehen werden. Peter Liks´ ‚Phantom‘ gefällt mir selbst von einem ästhetischen Standpunkt aus sehr gut – aber ich würde es mir nicht für 5,2 Millionen Euro kaufen (natürlich nur gesetzt dem Fall, ich hätte das Geld). (…) Es heißt, dass in der kommerziellen Kunstwelt 10 % die Kunst und 90 % das Marketing ausmacht. Das ist leider zu einem gewissen Grad wahr. Ich mache selbst Kunst, aber ich will nie Geld damit verdienen – zumindest nicht erstrangig (wenn nebenbei ein bisschen Geld reinkommt, ist das natürlich schön). Ich studiere Kunstgeschichte auch aus dem Grund, weil ich sehe, wie viele großartige Künstler an der Vermittlung und am Marketing ihrer Kunst scheitern. Ich möchte irgendwann gerne dazu in der Lage sein, qualitativ hochwertige Kunst (natürlich ist dieser Begriff extrem subjektiv – ich definiere das durch die Emotionen, die die Kunst im Betrachter weckt) für jemanden vermarkten zu können. Ich will Künstlern dabei helfen, dass ihre Arbeit auch angemessen entlohnt wird.“
Wenn man selbst Kunst macht, liegt der Vorteil auf der Hand: Sie ist ihr eigenes Versuchskaninchen, kann immer wieder Neues ausprobieren. Wenn man selbst kreativ ist, sei der Umgang unter Künstlern deutlich leichter.
Elena Helfrecht, eine junge, begabte Fotokünstlerin, die ihren eigenen Weg geht. Wer ihrer emotionalen Bildhaftigkeit folgen möchte, ist hiermit herzlich eingeladen.