Farblos – Nothing left for us to see

Die Tage werden kürzer und die Bäume verlieren ihr Laub. Wie knochige Finger strecken sich die kahlen Äste dem dunklen, wolkenverhangenen Himmel entgegen. Nebel taucht die Landschaft in eine sinistere Farblosigkeit. Die herbstliche Jahreszeit bietet den perfekten Rahmen für die düster-melancholische Klangwelt des Ein-Mann-Projekts mit dem passenden Namen „Farblos“.

Das Debütalbum des 1982 geborenen, ehemaligen Studenten deutscher und englischer Sprach- und Literatur-Wissenschaften besticht durch dunkelromantischen Dark Wave und nachdenkliche, teils wehmütige Texte. Florian Karnsteins zurückhaltende, gefühlvolle Stimme liegt über den Synthesizermelodien und bildet mit dem eingängigen Bassspiel – welches als charakteristisch bezeichnet werden kann – eine gelungene Symbiose. Leicht erliegt man der Illusion von weiten, menschenleeren Räumen, deren Wände nur zu erahnen sind und in denen sich eine schwermütige Atmosphäre ausbreitet. Worte aus Hermann Hesses Gedicht „Im Nebel“ kommen mir in den Sinn: „Leben ist Einsamsein / Kein Mensch kennt den andern / Jeder ist allein.“

Der „überzeugte und stolze Anhänger der Schwarzen Szene ohne Angst vor Etiketten“, wie sich Florian Karnstein auf seinem Blog „Otranto Archive“ (Untertitel: schwarze Romantik und Grufti-Gedanken) beschreibt, agiert dabei ganz in der Tradition der 1980er-Jahre. Dahingehauchte Worte („Wanem“), ein treibender Rhythmus („Kalt (in the end)“), ein Hauch von mittelalterlicher Melodie („Spiegelscherben“) oder eine aus der Ferne an das Ohr des Hörers dringende, mystisch klingende Stimme („Reisen“) sorgen für Abwechslung, ohne den eingeschlagenen Pfad zu verlassen.

Und wer jetzt noch nicht davon überzeugt ist, dass es sich lohnt, die Ohren weit zu öffnen und sich „Nothing left for us to see“ zu widmen, dem sei gesagt, dass auch schon der legendäre Musikjournalist Mick Mercer „Farblos“ in seiner Radiosendung vorstellte. Wenn das mal kein Gütesiegel ist.

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» Farblos @ Bandcamp

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