Über Joachim Witt müssen wohl keine erklärenden Worte verloren werden. Noch immer gehört der „Goldene Reiter“ zum Repertoire eines jeden Konzerts. Und egal, zu welcher subkulturellen Strömung man die präsente Zuhörerschaft zählen mag – in jedem Fall scheinen die Anwesenden textsicher zu sein. Nach der Ära der Neuen Deutschen Welle wurde es etwas stiller um Joachim Witt, ehe er mit „Bayreuth I“ 1998 laut und hart mitten in die schwarzalternative Musikszene sprang. Bei den Musikfernsehsendern lief das Video zum Stück „Die Flut“ auf Dauerrotation. Weitere Alben folgten. Und nun „Neumond“. Weitgehend verschwunden ist die Härte. Kein brachialer gewaltiger Bombast. Der markante Kurzhaarschnitt ist mehr als ein Jahrzehnt später einer wallenden Frisur gewichen. Die optische Veränderung symbolisiert den Weg eines weiteren Entwicklungs- und Reifeprozesses. Zwischen „Bayreuth I“ und „Neumond“ liegen nicht nur über 1,5 Jahrzehnte, sondern auch diverse Erfahrungen. Die Stücke präsentieren sich noch immer machtvoll, mit Druck. Mit Texten, über die man nachdenkt, die nahe gehen. Sozialkritisches, Menschliches. Doch klingen heute sowohl die Melodien als auch die Worte melancholischer, ja reifer. Wut, Verzweiflung, Träume und Hoffnungen sind wie gewohnt dargestellt, nur eben… etwas weicher, nachsichtiger. Der eigenen Aussage nach entspringen viele Stücke Joachim Witts Autobiografie. Es klingen viele Emotionen durch, so etwas wie „Altersweisheit“ vielleicht. Wenn man in der demografischen Pyramide weiter oben steht, sieht man das „Darunter“ aus einer anderen Sicht. Noch immer klingt Witt pathetisch. Noch immer singt er für die Liebe und die Ehre und den Stolz.
Das Schicksal – lassen wir diese Bezeichnung für das Auf und Ab des Lebens gelten – hat auch einen Joachim Witt „gezeichnet“. Ein Künstler, der auf der Bühne mit seinem Alter kokettiert, Gebrechlichkeit vortäuscht, dann aber auch dröhnt, dass „er es noch kann“. Energiegeladen und doch auch nachdenklich zurücknehmend. „Neumond“ ist ein Produkt seines heutigen Denkens und Fühlens. Düsterer Pop mit kräftigen Rhythmen und hymnischen elektronischen Passagen. Unverkennbar der Einfluss von Martin Engler (Mono Inc.), der an dieser Veröffentlichung mitgearbeitet hat.
Fans von Joachim Witt haben sowieso jedes Album zu Hause – und werden auch „Neumond“ schon längst hinzusortiert haben. Anderen, die Wert auf ernstere Texte, dunkle Melodien und eine kraftvolle Stimme legen und keine Angst vor Pop und Melodramatik haben, werden mit diesem Album mehr als nur gute Unterhaltung haben.